Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.
Der erste Ursprung dieser Wissenschaft ist aus den Reisen der ältesten handlungtreibenden Völker, besonders aus den Seereisen der Phönicier herzuleiten. Als man den Bau des Schifs und die Kunst, es durch Ruder und Segel zu regieren, kennen gelernt hatte, schifte man aus Mangel einer Leitung nie bey Nacht, und wagte nicht, sich von den Küsten zu entfernen. Endlich fanden sich am gestirnten Himmel Merkmale der Weltgegenden, wozu die Phönicier den kleinen, die Griechen den großen Bär gebrauchten, den sie auch immer noch vorzogen, ob sie gleich Thales eines Bessern belehren wollte. Die Phönicier und Griechen lernten durch ihre Seereisen wenigstens den größten Theil der Küsten des mittelländischen Meeres und der anliegenden Länder kennen, aber die Berichte der Reisenden wurden aus Hang zum Wunderbaren, aus Eitelkeit und Eigennutz mit den abgeschmacktesten Fabeln vermischt, wovon sich in den geographischen Schriften der Alten auffallende Beyspiele finden. Aus den Mondfinsternissen und dem Unterschiede der Mittagshöhen der Gestirne schloß man schon frühzeitig die runde Gestalt der Erde, und bekam Begriffe von ihren Verhältnissen zur Sonne und den übrigen Planeten, welche Thales und andere griechische Weltweisen in ihren Schulen verbreiteten. Anaximander, des Thales Schüler, hat, nach den Berichten des Strabo und Diogenes Laertius, die erste Zeichnung vom Umfange der Erde und des Meeres (d. i. von den Küsten der damals bekannten Länder) gemacht, und Hekatäus die erste Erdbeschreibung abgefaßt. Pytheas ward von Massilien, dem heutigen Marseille, einer damaligen republikanischen Colonie der Phocenser, ausgesandt, um neue Entdeckungen gegen Norden zu machen. Er kam bis Thule (Island), und berichtete, er habe am längsten Tage die Sonne nicht untergehen
Der erſte Urſprung dieſer Wiſſenſchaft iſt aus den Reiſen der aͤlteſten handlungtreibenden Voͤlker, beſonders aus den Seereiſen der Phoͤnicier herzuleiten. Als man den Bau des Schifs und die Kunſt, es durch Ruder und Segel zu regieren, kennen gelernt hatte, ſchifte man aus Mangel einer Leitung nie bey Nacht, und wagte nicht, ſich von den Kuͤſten zu entfernen. Endlich fanden ſich am geſtirnten Himmel Merkmale der Weltgegenden, wozu die Phoͤnicier den kleinen, die Griechen den großen Baͤr gebrauchten, den ſie auch immer noch vorzogen, ob ſie gleich Thales eines Beſſern belehren wollte. Die Phoͤnicier und Griechen lernten durch ihre Seereiſen wenigſtens den groͤßten Theil der Kuͤſten des mittellaͤndiſchen Meeres und der anliegenden Laͤnder kennen, aber die Berichte der Reiſenden wurden aus Hang zum Wunderbaren, aus Eitelkeit und Eigennutz mit den abgeſchmackteſten Fabeln vermiſcht, wovon ſich in den geographiſchen Schriften der Alten auffallende Beyſpiele finden. Aus den Mondfinſterniſſen und dem Unterſchiede der Mittagshoͤhen der Geſtirne ſchloß man ſchon fruͤhzeitig die runde Geſtalt der Erde, und bekam Begriffe von ihren Verhaͤltniſſen zur Sonne und den uͤbrigen Planeten, welche Thales und andere griechiſche Weltweiſen in ihren Schulen verbreiteten. Anaximander, des Thales Schuͤler, hat, nach den Berichten des Strabo und Diogenes Laertius, die erſte Zeichnung vom Umfange der Erde und des Meeres (d. i. von den Kuͤſten der damals bekannten Laͤnder) gemacht, und Hekataͤus die erſte Erdbeſchreibung abgefaßt. Pytheas ward von Maſſilien, dem heutigen Marſeille, einer damaligen republikaniſchen Colonie der Phocenſer, ausgeſandt, um neue Entdeckungen gegen Norden zu machen. Er kam bis Thule (Island), und berichtete, er habe am laͤngſten Tage die Sonne nicht untergehen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0459" xml:id="P.2.453" n="453"/><lb/> gehoͤrt zur Phyſik: einzelne Abſchnitte von ihr fuͤhren auch beſondere Namen, z. B. derjenige Theil der mathematiſchen, den der Seefahrende benuͤtzt, heißt die <hi rendition="#b">Hydrographie</hi> oder <hi rendition="#b">Schifkunſt;</hi> was aus der phyſiſchen die Berge betrift, wird <hi rendition="#b">Gebirgslehre</hi> genannt, u. ſ. w.</p> <p>Der erſte Urſprung dieſer Wiſſenſchaft iſt aus den Reiſen der aͤlteſten handlungtreibenden Voͤlker, beſonders aus den Seereiſen der Phoͤnicier herzuleiten. Als man den Bau des Schifs und die Kunſt, es durch Ruder und Segel zu regieren, kennen gelernt hatte, ſchifte man aus Mangel einer Leitung nie bey Nacht, und wagte nicht, ſich von den Kuͤſten zu entfernen. Endlich fanden ſich am geſtirnten Himmel Merkmale der Weltgegenden, wozu die Phoͤnicier den kleinen, die Griechen den großen Baͤr gebrauchten, den ſie auch immer noch vorzogen, ob ſie gleich <hi rendition="#b">Thales</hi> eines Beſſern belehren wollte. Die Phoͤnicier und Griechen lernten durch ihre Seereiſen wenigſtens den groͤßten Theil der Kuͤſten des mittellaͤndiſchen Meeres und der anliegenden Laͤnder kennen, aber die Berichte der Reiſenden wurden aus Hang zum Wunderbaren, aus Eitelkeit und Eigennutz mit den abgeſchmackteſten Fabeln vermiſcht, wovon ſich in den geographiſchen Schriften der Alten auffallende Beyſpiele finden.</p> <p>Aus den Mondfinſterniſſen und dem Unterſchiede der Mittagshoͤhen der Geſtirne ſchloß man ſchon fruͤhzeitig die runde Geſtalt der Erde, und bekam Begriffe von ihren Verhaͤltniſſen zur Sonne und den uͤbrigen Planeten, welche <hi rendition="#b">Thales</hi> und andere griechiſche Weltweiſen in ihren Schulen verbreiteten. <hi rendition="#b">Anaximander,</hi> des Thales Schuͤler, hat, nach den Berichten des Strabo und Diogenes Laertius, die erſte Zeichnung vom Umfange der Erde und des Meeres (d. i. von den Kuͤſten der damals bekannten Laͤnder) gemacht, und <hi rendition="#b">Hekataͤus</hi> die erſte Erdbeſchreibung abgefaßt. <hi rendition="#b">Pytheas</hi> ward von Maſſilien, dem heutigen Marſeille, einer damaligen republikaniſchen Colonie der Phocenſer, ausgeſandt, um neue Entdeckungen gegen Norden zu machen. Er kam bis <hi rendition="#b">Thule</hi> (Island), und berichtete, er habe am laͤngſten Tage die Sonne nicht untergehen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [453/0459]
gehoͤrt zur Phyſik: einzelne Abſchnitte von ihr fuͤhren auch beſondere Namen, z. B. derjenige Theil der mathematiſchen, den der Seefahrende benuͤtzt, heißt die Hydrographie oder Schifkunſt; was aus der phyſiſchen die Berge betrift, wird Gebirgslehre genannt, u. ſ. w.
Der erſte Urſprung dieſer Wiſſenſchaft iſt aus den Reiſen der aͤlteſten handlungtreibenden Voͤlker, beſonders aus den Seereiſen der Phoͤnicier herzuleiten. Als man den Bau des Schifs und die Kunſt, es durch Ruder und Segel zu regieren, kennen gelernt hatte, ſchifte man aus Mangel einer Leitung nie bey Nacht, und wagte nicht, ſich von den Kuͤſten zu entfernen. Endlich fanden ſich am geſtirnten Himmel Merkmale der Weltgegenden, wozu die Phoͤnicier den kleinen, die Griechen den großen Baͤr gebrauchten, den ſie auch immer noch vorzogen, ob ſie gleich Thales eines Beſſern belehren wollte. Die Phoͤnicier und Griechen lernten durch ihre Seereiſen wenigſtens den groͤßten Theil der Kuͤſten des mittellaͤndiſchen Meeres und der anliegenden Laͤnder kennen, aber die Berichte der Reiſenden wurden aus Hang zum Wunderbaren, aus Eitelkeit und Eigennutz mit den abgeſchmackteſten Fabeln vermiſcht, wovon ſich in den geographiſchen Schriften der Alten auffallende Beyſpiele finden.
Aus den Mondfinſterniſſen und dem Unterſchiede der Mittagshoͤhen der Geſtirne ſchloß man ſchon fruͤhzeitig die runde Geſtalt der Erde, und bekam Begriffe von ihren Verhaͤltniſſen zur Sonne und den uͤbrigen Planeten, welche Thales und andere griechiſche Weltweiſen in ihren Schulen verbreiteten. Anaximander, des Thales Schuͤler, hat, nach den Berichten des Strabo und Diogenes Laertius, die erſte Zeichnung vom Umfange der Erde und des Meeres (d. i. von den Kuͤſten der damals bekannten Laͤnder) gemacht, und Hekataͤus die erſte Erdbeſchreibung abgefaßt. Pytheas ward von Maſſilien, dem heutigen Marſeille, einer damaligen republikaniſchen Colonie der Phocenſer, ausgeſandt, um neue Entdeckungen gegen Norden zu machen. Er kam bis Thule (Island), und berichtete, er habe am laͤngſten Tage die Sonne nicht untergehen
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