Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


daß er genöthigt war, die Pendelstange derselben um 1 1/4 Lin. zu verkürzen, wenn sie ihre 3600 Schwingungen in einer Stunde richtig schlagen sollte. Dagegen mußte sie bey der Zurückkunft nach Paris, weil nun die Uhr zu geschwind gieng, wieder auf die vorige Länge zurückgebracht werden. Hiedurch ward es also außer Zweifel gesetzt, daß die Schwere der Körper gegen den Aequator hin geringer werde, und man erhielt dadurch zugleich einen starken Beweis für die Wirklichkeit der Umwälzung der Erde und für das copernikanische System.

Von dieser Zeit an kam Huygens, welcher die Sätze von der Schwungkraft im Kreise zuerst bekannt gemacht hat, auf die Vermuthung, daß die mit geringerer Schwere versehenen Theile der Erde um den Aequator, mit den schwerern Theilen gegen die Pole hin nicht im Gleichgewichte stehen könnten, wenn die Erde eine vollkommne Kugel wäre. Gesetzt auch, sie sey Anfangs eine flüßige Kugel gewesen, so würden doch ihre Theile durch die tägliche Umdrehung sich desto mehr erhoben haben, je näher sie dem Aequator gewesen wären, dagegen würden die schwereren Theile um die Pole tiefer gegen den Mittelpunkt herabgesunken seyn, und das Ganze würde also die Gestalt eines um die Pole zusammengedrückten oder abgeplatteten Sphäroids (Spheroide applati) (Taf. VIII. Fig. 4.) erhalten haben. Eben das müßte erfolgt seyn, wenn auch nur die Oberfläche der Erde überall mit Wasser bedeckt gewesen wäre. Und da die Erde um den Aequator herum wirklich große Meere hat, so muß der Schwung ihnen diese Gestalt wirklich geben, welche auch das feste Land haben muß, weil es sonst vom Meere überschwemmt werden müßte.

Aus diesen Gründen erklärt Huygens (De causa gravitatis, in Opp. cura s'Gravesande. Lugd. Bat. 1724. 4. To. I.) die Erde für ein abgeplattetes Sphäroid, dessen Durchmesser durch den Aequator AQ etwas größer sey, als die von Pol zu Pol gehende Axe PS. Er führt zu Bestärkung dieses Satzes den Versuch mit einer weichen Thonkugel an, welche an eine Axe gesteckt und schnell herumgedreht. wirklich eine solche Gestalt erhält, an dem Pole der Umdrehung


daß er genoͤthigt war, die Pendelſtange derſelben um 1 1/4 Lin. zu verkuͤrzen, wenn ſie ihre 3600 Schwingungen in einer Stunde richtig ſchlagen ſollte. Dagegen mußte ſie bey der Zuruͤckkunft nach Paris, weil nun die Uhr zu geſchwind gieng, wieder auf die vorige Laͤnge zuruͤckgebracht werden. Hiedurch ward es alſo außer Zweifel geſetzt, daß die Schwere der Koͤrper gegen den Aequator hin geringer werde, und man erhielt dadurch zugleich einen ſtarken Beweis fuͤr die Wirklichkeit der Umwaͤlzung der Erde und fuͤr das copernikaniſche Syſtem.

Von dieſer Zeit an kam Huygens, welcher die Saͤtze von der Schwungkraft im Kreiſe zuerſt bekannt gemacht hat, auf die Vermuthung, daß die mit geringerer Schwere verſehenen Theile der Erde um den Aequator, mit den ſchwerern Theilen gegen die Pole hin nicht im Gleichgewichte ſtehen koͤnnten, wenn die Erde eine vollkommne Kugel waͤre. Geſetzt auch, ſie ſey Anfangs eine fluͤßige Kugel geweſen, ſo wuͤrden doch ihre Theile durch die taͤgliche Umdrehung ſich deſto mehr erhoben haben, je naͤher ſie dem Aequator geweſen waͤren, dagegen wuͤrden die ſchwereren Theile um die Pole tiefer gegen den Mittelpunkt herabgeſunken ſeyn, und das Ganze wuͤrde alſo die Geſtalt eines um die Pole zuſammengedruͤckten oder abgeplatteten Sphaͤroids (Sphèroide applâti) (Taf. VIII. Fig. 4.) erhalten haben. Eben das muͤßte erfolgt ſeyn, wenn auch nur die Oberflaͤche der Erde uͤberall mit Waſſer bedeckt geweſen waͤre. Und da die Erde um den Aequator herum wirklich große Meere hat, ſo muß der Schwung ihnen dieſe Geſtalt wirklich geben, welche auch das feſte Land haben muß, weil es ſonſt vom Meere uͤberſchwemmt werden muͤßte.

Aus dieſen Gruͤnden erklaͤrt Huygens (De cauſa gravitatis, in Opp. cura s'Graveſande. Lugd. Bat. 1724. 4. To. I.) die Erde fuͤr ein abgeplattetes Sphaͤroid, deſſen Durchmeſſer durch den Aequator AQ etwas groͤßer ſey, als die von Pol zu Pol gehende Axe PS. Er fuͤhrt zu Beſtaͤrkung dieſes Satzes den Verſuch mit einer weichen Thonkugel an, welche an eine Axe geſteckt und ſchnell herumgedreht. wirklich eine ſolche Geſtalt erhaͤlt, an dem Pole der Umdrehung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0032" xml:id="P.2.26" n="26"/><lb/>
daß er geno&#x0364;thigt war, die Pendel&#x017F;tange der&#x017F;elben um 1 1/4 Lin. zu verku&#x0364;rzen, wenn &#x017F;ie ihre 3600 Schwingungen in einer Stunde richtig &#x017F;chlagen &#x017F;ollte. Dagegen mußte &#x017F;ie bey der Zuru&#x0364;ckkunft nach Paris, weil nun die Uhr zu ge&#x017F;chwind gieng, wieder auf die vorige La&#x0364;nge zuru&#x0364;ckgebracht werden. Hiedurch ward es al&#x017F;o außer Zweifel ge&#x017F;etzt, daß die Schwere der Ko&#x0364;rper gegen den Aequator hin geringer werde, und man erhielt dadurch zugleich einen &#x017F;tarken Beweis fu&#x0364;r die Wirklichkeit der Umwa&#x0364;lzung der Erde und fu&#x0364;r das copernikani&#x017F;che Sy&#x017F;tem.</p>
            <p>Von die&#x017F;er Zeit an kam <hi rendition="#b">Huygens,</hi> welcher die Sa&#x0364;tze von der Schwungkraft im Krei&#x017F;e zuer&#x017F;t bekannt gemacht hat, auf die Vermuthung, daß die mit geringerer Schwere ver&#x017F;ehenen Theile der Erde um den Aequator, mit den &#x017F;chwerern Theilen gegen die Pole hin nicht im Gleichgewichte &#x017F;tehen ko&#x0364;nnten, wenn die Erde eine vollkommne Kugel wa&#x0364;re. Ge&#x017F;etzt auch, &#x017F;ie &#x017F;ey Anfangs eine flu&#x0364;ßige Kugel gewe&#x017F;en, &#x017F;o wu&#x0364;rden doch ihre Theile durch die ta&#x0364;gliche Umdrehung &#x017F;ich de&#x017F;to mehr erhoben haben, je na&#x0364;her &#x017F;ie dem Aequator gewe&#x017F;en wa&#x0364;ren, dagegen wu&#x0364;rden die &#x017F;chwereren Theile um die Pole tiefer gegen den Mittelpunkt herabge&#x017F;unken &#x017F;eyn, und das Ganze wu&#x0364;rde al&#x017F;o die Ge&#x017F;talt eines um die Pole zu&#x017F;ammengedru&#x0364;ckten oder <hi rendition="#b">abgeplatteten Spha&#x0364;roids</hi> (<hi rendition="#i"><hi rendition="#aq">Sphèroide applâti</hi></hi>) (Taf. <hi rendition="#aq">VIII.</hi> Fig. 4.) erhalten haben. Eben das mu&#x0364;ßte erfolgt &#x017F;eyn, wenn auch nur die Oberfla&#x0364;che der Erde u&#x0364;berall mit Wa&#x017F;&#x017F;er bedeckt gewe&#x017F;en wa&#x0364;re. Und da die Erde um den Aequator herum wirklich große Meere hat, &#x017F;o muß der Schwung ihnen die&#x017F;e Ge&#x017F;talt wirklich geben, welche auch das fe&#x017F;te Land haben muß, weil es &#x017F;on&#x017F;t vom Meere u&#x0364;ber&#x017F;chwemmt werden mu&#x0364;ßte.</p>
            <p>Aus die&#x017F;en Gru&#x0364;nden erkla&#x0364;rt <hi rendition="#b">Huygens</hi> (<hi rendition="#aq">De cau&#x017F;a gravitatis, in Opp. cura <hi rendition="#i">s'Grave&#x017F;ande.</hi> Lugd. Bat. 1724. 4. To. I.</hi>) die Erde fu&#x0364;r ein abgeplattetes Spha&#x0364;roid, de&#x017F;&#x017F;en Durchme&#x017F;&#x017F;er durch den Aequator <hi rendition="#aq">AQ</hi> etwas gro&#x0364;ßer &#x017F;ey, als die von Pol zu Pol gehende Axe <hi rendition="#aq">PS.</hi> Er fu&#x0364;hrt zu Be&#x017F;ta&#x0364;rkung die&#x017F;es Satzes den Ver&#x017F;uch mit einer weichen Thonkugel an, welche an eine Axe ge&#x017F;teckt und &#x017F;chnell herumgedreht. wirklich eine &#x017F;olche Ge&#x017F;talt erha&#x0364;lt, an dem Pole der Umdrehung<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0032] daß er genoͤthigt war, die Pendelſtange derſelben um 1 1/4 Lin. zu verkuͤrzen, wenn ſie ihre 3600 Schwingungen in einer Stunde richtig ſchlagen ſollte. Dagegen mußte ſie bey der Zuruͤckkunft nach Paris, weil nun die Uhr zu geſchwind gieng, wieder auf die vorige Laͤnge zuruͤckgebracht werden. Hiedurch ward es alſo außer Zweifel geſetzt, daß die Schwere der Koͤrper gegen den Aequator hin geringer werde, und man erhielt dadurch zugleich einen ſtarken Beweis fuͤr die Wirklichkeit der Umwaͤlzung der Erde und fuͤr das copernikaniſche Syſtem. Von dieſer Zeit an kam Huygens, welcher die Saͤtze von der Schwungkraft im Kreiſe zuerſt bekannt gemacht hat, auf die Vermuthung, daß die mit geringerer Schwere verſehenen Theile der Erde um den Aequator, mit den ſchwerern Theilen gegen die Pole hin nicht im Gleichgewichte ſtehen koͤnnten, wenn die Erde eine vollkommne Kugel waͤre. Geſetzt auch, ſie ſey Anfangs eine fluͤßige Kugel geweſen, ſo wuͤrden doch ihre Theile durch die taͤgliche Umdrehung ſich deſto mehr erhoben haben, je naͤher ſie dem Aequator geweſen waͤren, dagegen wuͤrden die ſchwereren Theile um die Pole tiefer gegen den Mittelpunkt herabgeſunken ſeyn, und das Ganze wuͤrde alſo die Geſtalt eines um die Pole zuſammengedruͤckten oder abgeplatteten Sphaͤroids (Sphèroide applâti) (Taf. VIII. Fig. 4.) erhalten haben. Eben das muͤßte erfolgt ſeyn, wenn auch nur die Oberflaͤche der Erde uͤberall mit Waſſer bedeckt geweſen waͤre. Und da die Erde um den Aequator herum wirklich große Meere hat, ſo muß der Schwung ihnen dieſe Geſtalt wirklich geben, welche auch das feſte Land haben muß, weil es ſonſt vom Meere uͤberſchwemmt werden muͤßte. Aus dieſen Gruͤnden erklaͤrt Huygens (De cauſa gravitatis, in Opp. cura s'Graveſande. Lugd. Bat. 1724. 4. To. I.) die Erde fuͤr ein abgeplattetes Sphaͤroid, deſſen Durchmeſſer durch den Aequator AQ etwas groͤßer ſey, als die von Pol zu Pol gehende Axe PS. Er fuͤhrt zu Beſtaͤrkung dieſes Satzes den Verſuch mit einer weichen Thonkugel an, welche an eine Axe geſteckt und ſchnell herumgedreht. wirklich eine ſolche Geſtalt erhaͤlt, an dem Pole der Umdrehung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/32
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/32>, abgerufen am 25.04.2024.