Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.
Das dritte Hülfsmittel besteht in der scheinbaren Größe der Gegenstände. Smith nahm es für das einzige an. Von der scheinbaren Größe aber schließen wir auf die Entfernung nur in dem Falle, wenn uns die wahre Größe der Sache aus Erfahrung bekannt ist; denn sonst läßt sich von einem aufs andere gar kein Schluß machen. Daher können wir aus den scheinbaren Größen der Sonne, des Monds und der Sterne beym bloßen Anblicke nichts über ihre Entfernung schließen; weil uns der Begrif ihrer wahren Größe fehlt, scheinen sie uns gleich weit entfernt. Irdische Gegenstände von ungewöhnlicher Größe, z. B. hohe Berge, scheinen uns immer näher, als sie wirklich sind, weil wir ihre wahre Größe zu klein schätzen, und ihnen daher wegen des großen Sehewinkels eine zu geringe Entfernung zuschreiben. Als das vierte Hülfsmittel, Entfernungen zu schätzen, giebt Porterfield die Helligkeit und Lebhaftigkeit der Farben an. Wenn wir wissen, daß zween Gegenstände einerley Farbe haben, und uns doch einer derselben heller und lebhafter, als der andere, erscheint, so werden wir die hellere Farbe für die nähere halten. Man darf hiebey nicht auf diejenige Schwächung des Lichts und der Farben sehen, welche aus der Divergenz der Lichtstralen entsteht, und sich nach dem Quadrate der Entfernung richtet; denn, obgleich das Licht in der doppelten Entfernung viermal schwächer wird, so wird doch auch zugleich das Bild des Gegenstandes im Auge viermal kleiner, und die Farbenstralen vereinigen sich in einen viermal kleinern Platz auf der Netzhaut: da es nun hiebey blos auf die Wirkung des Lichts ins Auge ankömmt, so wird dadurch die gedachte Schwächung des Lichts völlig wieder aufgehoben. Man hat also blos diejenige Schwächung des Lichts zu betrachten, welche durch den Verlust beym Durch gange durch die Luft verursachet wird. Je weiter die Gegenstände von uns ab liegen, desto blässer sehen sie aus, und desto mehr nehmen sie von der blauen Farbe an, welche der Luft in großen Massen eigen
Das dritte Huͤlfsmittel beſteht in der ſcheinbaren Groͤße der Gegenſtaͤnde. Smith nahm es fuͤr das einzige an. Von der ſcheinbaren Groͤße aber ſchließen wir auf die Entfernung nur in dem Falle, wenn uns die wahre Groͤße der Sache aus Erfahrung bekannt iſt; denn ſonſt laͤßt ſich von einem aufs andere gar kein Schluß machen. Daher koͤnnen wir aus den ſcheinbaren Groͤßen der Sonne, des Monds und der Sterne beym bloßen Anblicke nichts uͤber ihre Entfernung ſchließen; weil uns der Begrif ihrer wahren Groͤße fehlt, ſcheinen ſie uns gleich weit entfernt. Irdiſche Gegenſtaͤnde von ungewoͤhnlicher Groͤße, z. B. hohe Berge, ſcheinen uns immer naͤher, als ſie wirklich ſind, weil wir ihre wahre Groͤße zu klein ſchaͤtzen, und ihnen daher wegen des großen Sehewinkels eine zu geringe Entfernung zuſchreiben. Als das vierte Huͤlfsmittel, Entfernungen zu ſchaͤtzen, giebt Porterfield die Helligkeit und Lebhaftigkeit der Farben an. Wenn wir wiſſen, daß zween Gegenſtaͤnde einerley Farbe haben, und uns doch einer derſelben heller und lebhafter, als der andere, erſcheint, ſo werden wir die hellere Farbe fuͤr die naͤhere halten. Man darf hiebey nicht auf diejenige Schwaͤchung des Lichts und der Farben ſehen, welche aus der Divergenz der Lichtſtralen entſteht, und ſich nach dem Quadrate der Entfernung richtet; denn, obgleich das Licht in der doppelten Entfernung viermal ſchwaͤcher wird, ſo wird doch auch zugleich das Bild des Gegenſtandes im Auge viermal kleiner, und die Farbenſtralen vereinigen ſich in einen viermal kleinern Platz auf der Netzhaut: da es nun hiebey blos auf die Wirkung des Lichts ins Auge ankoͤmmt, ſo wird dadurch die gedachte Schwaͤchung des Lichts voͤllig wieder aufgehoben. Man hat alſo blos diejenige Schwaͤchung des Lichts zu betrachten, welche durch den Verluſt beym Durch gange durch die Luft verurſachet wird. Je weiter die Gegenſtaͤnde von uns ab liegen, deſto blaͤſſer ſehen ſie aus, und deſto mehr nehmen ſie von der blauen Farbe an, welche der Luft in großen Maſſen eigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0860" xml:id="P.1.846" n="846"/><lb/> die Standlinie, oder der Abſtand beyder Augen noch in Vergleichung koͤmmt, etwa bis 120 Fuß.</p> <p>Das dritte Huͤlfsmittel beſteht in der ſcheinbaren Groͤße der Gegenſtaͤnde. <hi rendition="#b">Smith</hi> nahm es fuͤr das einzige an. Von der ſcheinbaren Groͤße aber ſchließen wir auf die Entfernung nur in dem Falle, wenn uns die wahre Groͤße der Sache aus Erfahrung bekannt iſt; denn ſonſt laͤßt ſich von einem aufs andere gar kein Schluß machen. Daher koͤnnen wir aus den ſcheinbaren Groͤßen der Sonne, des Monds und der Sterne beym bloßen Anblicke nichts uͤber ihre Entfernung ſchließen; weil uns der Begrif ihrer wahren Groͤße fehlt, ſcheinen ſie uns gleich weit entfernt. Irdiſche Gegenſtaͤnde von ungewoͤhnlicher Groͤße, z. B. hohe Berge, ſcheinen uns immer naͤher, als ſie wirklich ſind, weil wir ihre wahre Groͤße zu klein ſchaͤtzen, und ihnen daher wegen des großen Sehewinkels eine zu geringe Entfernung zuſchreiben.</p> <p>Als das vierte Huͤlfsmittel, Entfernungen zu ſchaͤtzen, giebt Porterfield die Helligkeit und Lebhaftigkeit der Farben an. Wenn wir wiſſen, daß zween Gegenſtaͤnde einerley Farbe haben, und uns doch einer derſelben heller und lebhafter, als der andere, erſcheint, ſo werden wir die hellere Farbe fuͤr die naͤhere halten. Man darf hiebey nicht auf diejenige Schwaͤchung des Lichts und der Farben ſehen, welche aus der Divergenz der Lichtſtralen entſteht, und ſich nach dem Quadrate der Entfernung richtet; denn, obgleich das Licht in der doppelten Entfernung viermal ſchwaͤcher wird, ſo wird doch auch zugleich das Bild des Gegenſtandes im Auge viermal kleiner, und die Farbenſtralen vereinigen ſich in einen viermal kleinern Platz auf der Netzhaut: da es nun hiebey blos auf die Wirkung des Lichts ins Auge ankoͤmmt, ſo wird dadurch die gedachte Schwaͤchung des Lichts voͤllig wieder aufgehoben. Man hat alſo blos diejenige Schwaͤchung des Lichts zu betrachten, welche durch den Verluſt beym Durch gange durch die Luft verurſachet wird. Je weiter die Gegenſtaͤnde von uns ab liegen, deſto blaͤſſer ſehen ſie aus, und deſto mehr nehmen ſie von der blauen Farbe an, welche der Luft in großen Maſſen eigen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [846/0860]
die Standlinie, oder der Abſtand beyder Augen noch in Vergleichung koͤmmt, etwa bis 120 Fuß.
Das dritte Huͤlfsmittel beſteht in der ſcheinbaren Groͤße der Gegenſtaͤnde. Smith nahm es fuͤr das einzige an. Von der ſcheinbaren Groͤße aber ſchließen wir auf die Entfernung nur in dem Falle, wenn uns die wahre Groͤße der Sache aus Erfahrung bekannt iſt; denn ſonſt laͤßt ſich von einem aufs andere gar kein Schluß machen. Daher koͤnnen wir aus den ſcheinbaren Groͤßen der Sonne, des Monds und der Sterne beym bloßen Anblicke nichts uͤber ihre Entfernung ſchließen; weil uns der Begrif ihrer wahren Groͤße fehlt, ſcheinen ſie uns gleich weit entfernt. Irdiſche Gegenſtaͤnde von ungewoͤhnlicher Groͤße, z. B. hohe Berge, ſcheinen uns immer naͤher, als ſie wirklich ſind, weil wir ihre wahre Groͤße zu klein ſchaͤtzen, und ihnen daher wegen des großen Sehewinkels eine zu geringe Entfernung zuſchreiben.
Als das vierte Huͤlfsmittel, Entfernungen zu ſchaͤtzen, giebt Porterfield die Helligkeit und Lebhaftigkeit der Farben an. Wenn wir wiſſen, daß zween Gegenſtaͤnde einerley Farbe haben, und uns doch einer derſelben heller und lebhafter, als der andere, erſcheint, ſo werden wir die hellere Farbe fuͤr die naͤhere halten. Man darf hiebey nicht auf diejenige Schwaͤchung des Lichts und der Farben ſehen, welche aus der Divergenz der Lichtſtralen entſteht, und ſich nach dem Quadrate der Entfernung richtet; denn, obgleich das Licht in der doppelten Entfernung viermal ſchwaͤcher wird, ſo wird doch auch zugleich das Bild des Gegenſtandes im Auge viermal kleiner, und die Farbenſtralen vereinigen ſich in einen viermal kleinern Platz auf der Netzhaut: da es nun hiebey blos auf die Wirkung des Lichts ins Auge ankoͤmmt, ſo wird dadurch die gedachte Schwaͤchung des Lichts voͤllig wieder aufgehoben. Man hat alſo blos diejenige Schwaͤchung des Lichts zu betrachten, welche durch den Verluſt beym Durch gange durch die Luft verurſachet wird. Je weiter die Gegenſtaͤnde von uns ab liegen, deſto blaͤſſer ſehen ſie aus, und deſto mehr nehmen ſie von der blauen Farbe an, welche der Luft in großen Maſſen eigen
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