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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

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Die ältern Optiker nahmen an, der Ort des Bildes I (Taf. IV. Fig. 62.) falle in den Durchschnittspunkt I des ins Auge kommenden Strales HEI mit dem aus dem Gegenstande A auf die brechende oder zurückwerfende Fläche SV gefällten Lothe ACI. Man gründete sich hiebey auf die Erfahrung, daß das Bild einer auf den Spiegel senkrecht gestellten Linie AC, jedem Auge wie HK, es stehe, wo es wolle, eine Verlängerung dieser Linie, wie CI, auszumachen scheine. Diese Erfahrung ist beym Planspiegel deutlich und unbezweifelt. Ein Stock AC, lothrecht an den Planspiegel SV gehalten, wird von jedem Auge im Spiegel in der Lage IC so gesehen, daß Stock und Bild in einer vollkommen geraden Linie ACI liegen. Bey erhabnen und Hohlspiegeln glaubte man eben dieses wahrzunehmen; auch ward behauptet, daß von einer geraden lothrecht ins Wasser gesenkten Linie, wie AI, der im Wasser befindliche Theil CI zwar verkürzt, aber doch noch immer in gerader Linie mit AC erscheine. Daraus schloß man, daß bey allen Zurückwerfungen und Brechungen jeder Punkt A sich jedem Auge in dem Lothe AI darstelle, welches von A auf die zurückwerfende oder brechende Fläche gefällt werden kan; da nun überdies das Bild dem Auge nach der Richtung des Lichtstrales EH liegen muß, der es dem Auge sichtbar macht, so folgte hieraus, daß der Ort des Bildes stets in den erwähnten Durchschnittspunkt von AI und HI falle.

Hierauf beruht alles, was die Alten von den Erscheinungen der Bilder in Spiegeln gelehrt haben. Man ist lange Zeit mit dieser mangelhaften Theorie zufrieden gewesen, obgleich schon Kepler (Paralipom. ad Vitell. p. 59 u. f.) annimmt, der Ort des Bildes sey da, wo die in beyde Augen kommenden Lichtstralen sich schneiden, und wenn man nur mit einem Auge sehe, sey für die Entfernung beyder Augen die Weite des Augensterns HK zu nehmen. Für den Planspiegel läuft dies alles auf eins hinaus; bey erhabnen und Hohlspiegeln aber ist die Erfahrung, auf welche sich die alte Theorie gründete, nicht deutlich genug, um Lehrsätze darauf zu bauen.


Die aͤltern Optiker nahmen an, der Ort des Bildes I (Taf. IV. Fig. 62.) falle in den Durchſchnittspunkt I des ins Auge kommenden Strales HEI mit dem aus dem Gegenſtande A auf die brechende oder zuruͤckwerfende Flaͤche SV gefaͤllten Lothe ACI. Man gruͤndete ſich hiebey auf die Erfahrung, daß das Bild einer auf den Spiegel ſenkrecht geſtellten Linie AC, jedem Auge wie HK, es ſtehe, wo es wolle, eine Verlaͤngerung dieſer Linie, wie CI, auszumachen ſcheine. Dieſe Erfahrung iſt beym Planſpiegel deutlich und unbezweifelt. Ein Stock AC, lothrecht an den Planſpiegel SV gehalten, wird von jedem Auge im Spiegel in der Lage IC ſo geſehen, daß Stock und Bild in einer vollkommen geraden Linie ACI liegen. Bey erhabnen und Hohlſpiegeln glaubte man eben dieſes wahrzunehmen; auch ward behauptet, daß von einer geraden lothrecht ins Waſſer geſenkten Linie, wie AI, der im Waſſer befindliche Theil CI zwar verkuͤrzt, aber doch noch immer in gerader Linie mit AC erſcheine. Daraus ſchloß man, daß bey allen Zuruͤckwerfungen und Brechungen jeder Punkt A ſich jedem Auge in dem Lothe AI darſtelle, welches von A auf die zuruͤckwerfende oder brechende Flaͤche gefaͤllt werden kan; da nun uͤberdies das Bild dem Auge nach der Richtung des Lichtſtrales EH liegen muß, der es dem Auge ſichtbar macht, ſo folgte hieraus, daß der Ort des Bildes ſtets in den erwaͤhnten Durchſchnittspunkt von AI und HI falle.

Hierauf beruht alles, was die Alten von den Erſcheinungen der Bilder in Spiegeln gelehrt haben. Man iſt lange Zeit mit dieſer mangelhaften Theorie zufrieden geweſen, obgleich ſchon Kepler (Paralipom. ad Vitell. p. 59 u. f.) annimmt, der Ort des Bildes ſey da, wo die in beyde Augen kommenden Lichtſtralen ſich ſchneiden, und wenn man nur mit einem Auge ſehe, ſey fuͤr die Entfernung beyder Augen die Weite des Augenſterns HK zu nehmen. Fuͤr den Planſpiegel laͤuft dies alles auf eins hinaus; bey erhabnen und Hohlſpiegeln aber iſt die Erfahrung, auf welche ſich die alte Theorie gruͤndete, nicht deutlich genug, um Lehrſaͤtze darauf zu bauen.

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[354/0368] Die aͤltern Optiker nahmen an, der Ort des Bildes I (Taf. IV. Fig. 62.) falle in den Durchſchnittspunkt I des ins Auge kommenden Strales HEI mit dem aus dem Gegenſtande A auf die brechende oder zuruͤckwerfende Flaͤche SV gefaͤllten Lothe ACI. Man gruͤndete ſich hiebey auf die Erfahrung, daß das Bild einer auf den Spiegel ſenkrecht geſtellten Linie AC, jedem Auge wie HK, es ſtehe, wo es wolle, eine Verlaͤngerung dieſer Linie, wie CI, auszumachen ſcheine. Dieſe Erfahrung iſt beym Planſpiegel deutlich und unbezweifelt. Ein Stock AC, lothrecht an den Planſpiegel SV gehalten, wird von jedem Auge im Spiegel in der Lage IC ſo geſehen, daß Stock und Bild in einer vollkommen geraden Linie ACI liegen. Bey erhabnen und Hohlſpiegeln glaubte man eben dieſes wahrzunehmen; auch ward behauptet, daß von einer geraden lothrecht ins Waſſer geſenkten Linie, wie AI, der im Waſſer befindliche Theil CI zwar verkuͤrzt, aber doch noch immer in gerader Linie mit AC erſcheine. Daraus ſchloß man, daß bey allen Zuruͤckwerfungen und Brechungen jeder Punkt A ſich jedem Auge in dem Lothe AI darſtelle, welches von A auf die zuruͤckwerfende oder brechende Flaͤche gefaͤllt werden kan; da nun uͤberdies das Bild dem Auge nach der Richtung des Lichtſtrales EH liegen muß, der es dem Auge ſichtbar macht, ſo folgte hieraus, daß der Ort des Bildes ſtets in den erwaͤhnten Durchſchnittspunkt von AI und HI falle. Hierauf beruht alles, was die Alten von den Erſcheinungen der Bilder in Spiegeln gelehrt haben. Man iſt lange Zeit mit dieſer mangelhaften Theorie zufrieden geweſen, obgleich ſchon Kepler (Paralipom. ad Vitell. p. 59 u. f.) annimmt, der Ort des Bildes ſey da, wo die in beyde Augen kommenden Lichtſtralen ſich ſchneiden, und wenn man nur mit einem Auge ſehe, ſey fuͤr die Entfernung beyder Augen die Weite des Augenſterns HK zu nehmen. Fuͤr den Planſpiegel laͤuft dies alles auf eins hinaus; bey erhabnen und Hohlſpiegeln aber iſt die Erfahrung, auf welche ſich die alte Theorie gruͤndete, nicht deutlich genug, um Lehrſaͤtze darauf zu bauen.

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/368>, abgerufen am 23.11.2024.