Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

der Fähigkeiten.
gen tlich für die Wissenschaften, und verdient also
am meisten unsre Aufmerksamkeit. Sie ist nichts
anders als ein philosophisches Genie, ein gewis-
ser Trieb, der zugleich mit Fähigkeit verbunden
ist, das Individuelle aufs Allgemeine zurückzu-
führen, und dieses Allgemeine zu einem abgeson-
derten Gegenstande seiner Betrachtung zu ma-
chen.

Diese Fähigkeit äußert sich zuerst dadurch,
daß die Seele, die sie besizt, indem sie durch die
Sprache die Anzahl von Begriffen erhält, die un-
gefähr den Umfang dessen ausmachen, was man
bon sens oder den Menschenverstand nennt, sich
nicht dabey beruhigt, diese Begriffe bloß klar zu
haben, sondern von jedem Worte Beschreibung
und Erklärung verlangt. Jede Seele ist bemüht,
Gedanken in sich hervorzubringen; es ist also na-
türlich, daß, wenn sie ein Zeichen von einer Sache
bekömmt, die sie so sehr wünscht, sie diese Sache
selbst sucht. Die Einbildungskraft kam den Kö-
pfen von der ersten Art in diesem Falle zu Hülfe,
und stellte ihnen geschwind einen einzelnen Fall,

der Faͤhigkeiten.
gen tlich fuͤr die Wiſſenſchaften, und verdient alſo
am meiſten unſre Aufmerkſamkeit. Sie iſt nichts
anders als ein philoſophiſches Genie, ein gewiſ-
ſer Trieb, der zugleich mit Faͤhigkeit verbunden
iſt, das Individuelle aufs Allgemeine zuruͤckzu-
fuͤhren, und dieſes Allgemeine zu einem abgeſon-
derten Gegenſtande ſeiner Betrachtung zu ma-
chen.

Dieſe Faͤhigkeit aͤußert ſich zuerſt dadurch,
daß die Seele, die ſie beſizt, indem ſie durch die
Sprache die Anzahl von Begriffen erhaͤlt, die un-
gefaͤhr den Umfang deſſen ausmachen, was man
bon ſens oder den Menſchenverſtand nennt, ſich
nicht dabey beruhigt, dieſe Begriffe bloß klar zu
haben, ſondern von jedem Worte Beſchreibung
und Erklaͤrung verlangt. Jede Seele iſt bemuͤht,
Gedanken in ſich hervorzubringen; es iſt alſo na-
tuͤrlich, daß, wenn ſie ein Zeichen von einer Sache
bekoͤmmt, die ſie ſo ſehr wuͤnſcht, ſie dieſe Sache
ſelbſt ſucht. Die Einbildungskraft kam den Koͤ-
pfen von der erſten Art in dieſem Falle zu Huͤlfe,
und ſtellte ihnen geſchwind einen einzelnen Fall,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0065" n="59"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Fa&#x0364;higkeiten.</hi></fw><lb/>
gen tlich fu&#x0364;r die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, und verdient al&#x017F;o<lb/>
am mei&#x017F;ten un&#x017F;re Aufmerk&#x017F;amkeit. Sie i&#x017F;t nichts<lb/>
anders als ein philo&#x017F;ophi&#x017F;ches Genie, ein gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er Trieb, der zugleich mit Fa&#x0364;higkeit verbunden<lb/>
i&#x017F;t, das Individuelle aufs Allgemeine zuru&#x0364;ckzu-<lb/>
fu&#x0364;hren, und die&#x017F;es Allgemeine zu einem abge&#x017F;on-<lb/>
derten Gegen&#x017F;tande &#x017F;einer Betrachtung zu ma-<lb/>
chen.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Fa&#x0364;higkeit a&#x0364;ußert &#x017F;ich zuer&#x017F;t dadurch,<lb/>
daß die Seele, die &#x017F;ie be&#x017F;izt, indem &#x017F;ie durch die<lb/>
Sprache die Anzahl von Begriffen erha&#x0364;lt, die un-<lb/>
gefa&#x0364;hr den Umfang de&#x017F;&#x017F;en ausmachen, was man<lb/><hi rendition="#aq">bon &#x017F;ens</hi> oder den Men&#x017F;chenver&#x017F;tand nennt, &#x017F;ich<lb/>
nicht dabey beruhigt, die&#x017F;e Begriffe bloß klar zu<lb/>
haben, &#x017F;ondern von jedem Worte Be&#x017F;chreibung<lb/>
und Erkla&#x0364;rung verlangt. Jede Seele i&#x017F;t bemu&#x0364;ht,<lb/>
Gedanken in &#x017F;ich hervorzubringen; es i&#x017F;t al&#x017F;o na-<lb/>
tu&#x0364;rlich, daß, wenn &#x017F;ie ein Zeichen von einer Sache<lb/>
beko&#x0364;mmt, die &#x017F;ie &#x017F;o &#x017F;ehr wu&#x0364;n&#x017F;cht, &#x017F;ie die&#x017F;e Sache<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ucht. Die Einbildungskraft kam den Ko&#x0364;-<lb/>
pfen von der er&#x017F;ten Art in die&#x017F;em Falle zu Hu&#x0364;lfe,<lb/>
und &#x017F;tellte ihnen ge&#x017F;chwind einen einzelnen Fall,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[59/0065] der Faͤhigkeiten. gen tlich fuͤr die Wiſſenſchaften, und verdient alſo am meiſten unſre Aufmerkſamkeit. Sie iſt nichts anders als ein philoſophiſches Genie, ein gewiſ- ſer Trieb, der zugleich mit Faͤhigkeit verbunden iſt, das Individuelle aufs Allgemeine zuruͤckzu- fuͤhren, und dieſes Allgemeine zu einem abgeſon- derten Gegenſtande ſeiner Betrachtung zu ma- chen. Dieſe Faͤhigkeit aͤußert ſich zuerſt dadurch, daß die Seele, die ſie beſizt, indem ſie durch die Sprache die Anzahl von Begriffen erhaͤlt, die un- gefaͤhr den Umfang deſſen ausmachen, was man bon ſens oder den Menſchenverſtand nennt, ſich nicht dabey beruhigt, dieſe Begriffe bloß klar zu haben, ſondern von jedem Worte Beſchreibung und Erklaͤrung verlangt. Jede Seele iſt bemuͤht, Gedanken in ſich hervorzubringen; es iſt alſo na- tuͤrlich, daß, wenn ſie ein Zeichen von einer Sache bekoͤmmt, die ſie ſo ſehr wuͤnſcht, ſie dieſe Sache ſelbſt ſucht. Die Einbildungskraft kam den Koͤ- pfen von der erſten Art in dieſem Falle zu Huͤlfe, und ſtellte ihnen geſchwind einen einzelnen Fall,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/65
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/65>, abgerufen am 04.05.2024.