Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
der Fähigkeiten.

Viertens. Ein höherer Grad dieses Verstan-
des bringt die Gabe der Vorhersehung hervor, die
wir schon oben genannt haben, und die das ei-
gentliche Talent zu Geschäften ausmacht. Die
Zukunft liegt in dem Gegenwärtigen eingewickelt.
Man muß dieses ganz übersehen können, um jene
darinn zu finden. Wirkungen kann man nur
aus ihren Ursachen kennen: aber diese sind oft in
so vielen Dingen zerstreut; viele davon so klein,
so unmerklich, und doch in der Zusammenkunft so
erheblich, daß es unmöglich ist, sie zu bemerken,
wenn man sie sich nicht anders als deutlich den-
ken kann. Ein Kopf, der immer zergliedern und
schließen muß; dessen Fähigkeiten nur die Dinge
von derjenigen Seite fassen, von der sie sich deut-
lich machen lassen; wird diese kleinen Umstände
übersehen, er wird sich bloß an die Hauptsachen
halten, dieser ihre Kräfte untersuchen, und so ge-
nau er immer diese kann abgemessen haben, einen
falschen Erfolg herausbringen. Das ist die ei-
gentliche Gränzscheidung zwischen Theorie und
Praxis. Die erste nimmt keine andern als die

D 4
der Faͤhigkeiten.

Viertens. Ein hoͤherer Grad dieſes Verſtan-
des bringt die Gabe der Vorherſehung hervor, die
wir ſchon oben genannt haben, und die das ei-
gentliche Talent zu Geſchaͤften ausmacht. Die
Zukunft liegt in dem Gegenwaͤrtigen eingewickelt.
Man muß dieſes ganz uͤberſehen koͤnnen, um jene
darinn zu finden. Wirkungen kann man nur
aus ihren Urſachen kennen: aber dieſe ſind oft in
ſo vielen Dingen zerſtreut; viele davon ſo klein,
ſo unmerklich, und doch in der Zuſammenkunft ſo
erheblich, daß es unmoͤglich iſt, ſie zu bemerken,
wenn man ſie ſich nicht anders als deutlich den-
ken kann. Ein Kopf, der immer zergliedern und
ſchließen muß; deſſen Faͤhigkeiten nur die Dinge
von derjenigen Seite faſſen, von der ſie ſich deut-
lich machen laſſen; wird dieſe kleinen Umſtaͤnde
uͤberſehen, er wird ſich bloß an die Hauptſachen
halten, dieſer ihre Kraͤfte unterſuchen, und ſo ge-
nau er immer dieſe kann abgemeſſen haben, einen
falſchen Erfolg herausbringen. Das iſt die ei-
gentliche Graͤnzſcheidung zwiſchen Theorie und
Praxis. Die erſte nimmt keine andern als die

D 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0061" n="55"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">der Fa&#x0364;higkeiten.</hi> </fw><lb/>
        <p>Viertens. Ein ho&#x0364;herer Grad die&#x017F;es Ver&#x017F;tan-<lb/>
des bringt die Gabe der Vorher&#x017F;ehung hervor, die<lb/>
wir &#x017F;chon oben genannt haben, und die das ei-<lb/>
gentliche Talent zu Ge&#x017F;cha&#x0364;ften ausmacht. Die<lb/>
Zukunft liegt in dem Gegenwa&#x0364;rtigen eingewickelt.<lb/>
Man muß die&#x017F;es ganz u&#x0364;ber&#x017F;ehen ko&#x0364;nnen, um jene<lb/>
darinn zu finden. Wirkungen kann man nur<lb/>
aus ihren Ur&#x017F;achen kennen: aber die&#x017F;e &#x017F;ind oft in<lb/>
&#x017F;o vielen Dingen zer&#x017F;treut; viele davon &#x017F;o klein,<lb/>
&#x017F;o unmerklich, und doch in der Zu&#x017F;ammenkunft &#x017F;o<lb/>
erheblich, daß es unmo&#x0364;glich i&#x017F;t, &#x017F;ie zu bemerken,<lb/>
wenn man &#x017F;ie &#x017F;ich nicht anders als deutlich den-<lb/>
ken kann. Ein Kopf, der immer zergliedern und<lb/>
&#x017F;chließen muß; de&#x017F;&#x017F;en Fa&#x0364;higkeiten nur die Dinge<lb/>
von derjenigen Seite fa&#x017F;&#x017F;en, von der &#x017F;ie &#x017F;ich deut-<lb/>
lich machen la&#x017F;&#x017F;en; wird die&#x017F;e kleinen Um&#x017F;ta&#x0364;nde<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;ehen, er wird &#x017F;ich bloß an die Haupt&#x017F;achen<lb/>
halten, die&#x017F;er ihre Kra&#x0364;fte unter&#x017F;uchen, und &#x017F;o ge-<lb/>
nau er immer die&#x017F;e kann abgeme&#x017F;&#x017F;en haben, einen<lb/>
fal&#x017F;chen Erfolg herausbringen. Das i&#x017F;t die ei-<lb/>
gentliche Gra&#x0364;nz&#x017F;cheidung zwi&#x017F;chen Theorie und<lb/>
Praxis. Die er&#x017F;te nimmt keine andern als die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 4</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0061] der Faͤhigkeiten. Viertens. Ein hoͤherer Grad dieſes Verſtan- des bringt die Gabe der Vorherſehung hervor, die wir ſchon oben genannt haben, und die das ei- gentliche Talent zu Geſchaͤften ausmacht. Die Zukunft liegt in dem Gegenwaͤrtigen eingewickelt. Man muß dieſes ganz uͤberſehen koͤnnen, um jene darinn zu finden. Wirkungen kann man nur aus ihren Urſachen kennen: aber dieſe ſind oft in ſo vielen Dingen zerſtreut; viele davon ſo klein, ſo unmerklich, und doch in der Zuſammenkunft ſo erheblich, daß es unmoͤglich iſt, ſie zu bemerken, wenn man ſie ſich nicht anders als deutlich den- ken kann. Ein Kopf, der immer zergliedern und ſchließen muß; deſſen Faͤhigkeiten nur die Dinge von derjenigen Seite faſſen, von der ſie ſich deut- lich machen laſſen; wird dieſe kleinen Umſtaͤnde uͤberſehen, er wird ſich bloß an die Hauptſachen halten, dieſer ihre Kraͤfte unterſuchen, und ſo ge- nau er immer dieſe kann abgemeſſen haben, einen falſchen Erfolg herausbringen. Das iſt die ei- gentliche Graͤnzſcheidung zwiſchen Theorie und Praxis. Die erſte nimmt keine andern als die D 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/61
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/61>, abgerufen am 05.05.2024.