Unter der Menge besonderer Anmerkungen, die ich machen könnte, will ich nur eine einzige machen, die mir vorzüglich wichtig scheint. Die französische Sprache gebraucht lange nicht so viel Verbindungswörter, als die unsrige; sie bringt die Ideen in keinen so genauen Zusammen- hang, als die unsrige. Dadurch hat sie eine abgerissene sentenziöse Schreibart veranlaßt, wor- inne man Satz auf Satz einzeln hinwirft, und es dem Leser selbst überläßt, sich die Verbindung hinzu zu denken. Wenn der Mann, der so schreibt, in der That ein bündiger Kopf ist, der sich an eine strenge und genaue Ordnung seiner Gedan- ken gewöhnt hat, so mag für einen auch denken- den Kopf in einer solchen Schreibart viel leichte und schmeichelhafte Beschäftigung, und mithin viel Reizendes seyn. Aber sobald sich ihrer ein nicht so bündiger Schriftsteller bedient, so leitet sie ihn ohne Unterlaß von dem geraden Wege sei- ner Ideen ab; sie führt ihn in Versuchung, Sätze zusammenzuhäufen, die keine richtige Folge ma- chen: und dann verliert sich der Schriftsteller oft
Umſtaͤnde auf die Bildung ꝛc.
Unter der Menge beſonderer Anmerkungen, die ich machen koͤnnte, will ich nur eine einzige machen, die mir vorzuͤglich wichtig ſcheint. Die franzoͤſiſche Sprache gebraucht lange nicht ſo viel Verbindungswoͤrter, als die unſrige; ſie bringt die Ideen in keinen ſo genauen Zuſammen- hang, als die unſrige. Dadurch hat ſie eine abgeriſſene ſentenzioͤſe Schreibart veranlaßt, wor- inne man Satz auf Satz einzeln hinwirft, und es dem Leſer ſelbſt uͤberlaͤßt, ſich die Verbindung hinzu zu denken. Wenn der Mann, der ſo ſchreibt, in der That ein buͤndiger Kopf iſt, der ſich an eine ſtrenge und genaue Ordnung ſeiner Gedan- ken gewoͤhnt hat, ſo mag fuͤr einen auch denken- den Kopf in einer ſolchen Schreibart viel leichte und ſchmeichelhafte Beſchaͤftigung, und mithin viel Reizendes ſeyn. Aber ſobald ſich ihrer ein nicht ſo buͤndiger Schriftſteller bedient, ſo leitet ſie ihn ohne Unterlaß von dem geraden Wege ſei- ner Ideen ab; ſie fuͤhrt ihn in Verſuchung, Saͤtze zuſammenzuhaͤufen, die keine richtige Folge ma- chen: und dann verliert ſich der Schriftſteller oft
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Umſtaͤnde auf die Bildung ꝛc.
Unter der Menge beſonderer Anmerkungen,
die ich machen koͤnnte, will ich nur eine einzige
machen, die mir vorzuͤglich wichtig ſcheint. Die
franzoͤſiſche Sprache gebraucht lange nicht
ſo viel Verbindungswoͤrter, als die unſrige; ſie
bringt die Ideen in keinen ſo genauen Zuſammen-
hang, als die unſrige. Dadurch hat ſie eine
abgeriſſene ſentenzioͤſe Schreibart veranlaßt, wor-
inne man Satz auf Satz einzeln hinwirft, und
es dem Leſer ſelbſt uͤberlaͤßt, ſich die Verbindung
hinzu zu denken. Wenn der Mann, der ſo ſchreibt,
in der That ein buͤndiger Kopf iſt, der ſich an
eine ſtrenge und genaue Ordnung ſeiner Gedan-
ken gewoͤhnt hat, ſo mag fuͤr einen auch denken-
den Kopf in einer ſolchen Schreibart viel leichte
und ſchmeichelhafte Beſchaͤftigung, und mithin
viel Reizendes ſeyn. Aber ſobald ſich ihrer ein
nicht ſo buͤndiger Schriftſteller bedient, ſo leitet
ſie ihn ohne Unterlaß von dem geraden Wege ſei-
ner Ideen ab; ſie fuͤhrt ihn in Verſuchung, Saͤtze
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/469>, abgerufen am 23.11.2024.
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