nicht sowohl unmittelbar durch den Gegenstand, den sie schildert, als mittelbar durch die Wahr- heiten, die sie beyher lehrt, oder durch die Mu- ster des Schönen, die sie dem Geiste vorhält. Diesen Nutzen befördert sie, welche Art von Lei- denschaften sie auch zu schildern vornehme, wenn sie nur die wahre Natur derselben trift.
Anstatt dieser besondern Untersuchung, zu der ich mich anheischig gemacht hatte, will ich noch einige allgemeine Lücken der obigen Abhandlung ausfüllen, oder einige Fehler verbessern.
Nach meiner jetzigen Einsicht ist überhaupt die Materie von Erweckung der Leidenschaften für den Zweck des Ganzen zu weitläuftig abgehandelt worden. Interessiren und rühren gränzt in ei- nem Punkte an einander: aber es ist nicht einer- ley. Das eine geht auf das Ganze eines Werks, das andre auf einzelne Scenen desselben: das eine ist eine Aufbietung unsers Verstandes; das andre eine Erweichung des Herzens: das eine la- det zum Lesen oder Anhören einer Geschichte ein;
Einige Gedanken
nicht ſowohl unmittelbar durch den Gegenſtand, den ſie ſchildert, als mittelbar durch die Wahr- heiten, die ſie beyher lehrt, oder durch die Mu- ſter des Schoͤnen, die ſie dem Geiſte vorhaͤlt. Dieſen Nutzen befoͤrdert ſie, welche Art von Lei- denſchaften ſie auch zu ſchildern vornehme, wenn ſie nur die wahre Natur derſelben trift.
Anſtatt dieſer beſondern Unterſuchung, zu der ich mich anheiſchig gemacht hatte, will ich noch einige allgemeine Luͤcken der obigen Abhandlung ausfuͤllen, oder einige Fehler verbeſſern.
Nach meiner jetzigen Einſicht iſt uͤberhaupt die Materie von Erweckung der Leidenſchaften fuͤr den Zweck des Ganzen zu weitlaͤuftig abgehandelt worden. Intereſſiren und ruͤhren graͤnzt in ei- nem Punkte an einander: aber es iſt nicht einer- ley. Das eine geht auf das Ganze eines Werks, das andre auf einzelne Scenen deſſelben: das eine iſt eine Aufbietung unſers Verſtandes; das andre eine Erweichung des Herzens: das eine la- det zum Leſen oder Anhoͤren einer Geſchichte ein;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0434"n="428"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Einige Gedanken</hi></fw><lb/>
nicht ſowohl unmittelbar durch den Gegenſtand,<lb/>
den ſie ſchildert, als mittelbar durch die Wahr-<lb/>
heiten, die ſie beyher lehrt, oder durch die Mu-<lb/>ſter des Schoͤnen, die ſie dem Geiſte vorhaͤlt.<lb/>
Dieſen Nutzen befoͤrdert ſie, welche Art von Lei-<lb/>
denſchaften ſie auch zu ſchildern vornehme, wenn<lb/>ſie nur die wahre Natur derſelben trift.</p><lb/><p>Anſtatt dieſer beſondern Unterſuchung, zu der<lb/>
ich mich anheiſchig gemacht hatte, will ich noch<lb/>
einige allgemeine Luͤcken der obigen Abhandlung<lb/>
ausfuͤllen, oder einige Fehler verbeſſern.</p><lb/><p>Nach meiner jetzigen Einſicht iſt uͤberhaupt<lb/>
die Materie von Erweckung der Leidenſchaften fuͤr<lb/>
den Zweck des Ganzen zu weitlaͤuftig abgehandelt<lb/>
worden. Intereſſiren und ruͤhren graͤnzt in ei-<lb/>
nem Punkte an einander: aber es iſt nicht einer-<lb/>
ley. Das eine geht auf das Ganze eines Werks,<lb/>
das andre auf einzelne Scenen deſſelben: das<lb/>
eine iſt eine Aufbietung unſers Verſtandes; das<lb/>
andre eine Erweichung des Herzens: das eine la-<lb/>
det zum Leſen oder Anhoͤren einer Geſchichte ein;<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[428/0434]
Einige Gedanken
nicht ſowohl unmittelbar durch den Gegenſtand,
den ſie ſchildert, als mittelbar durch die Wahr-
heiten, die ſie beyher lehrt, oder durch die Mu-
ſter des Schoͤnen, die ſie dem Geiſte vorhaͤlt.
Dieſen Nutzen befoͤrdert ſie, welche Art von Lei-
denſchaften ſie auch zu ſchildern vornehme, wenn
ſie nur die wahre Natur derſelben trift.
Anſtatt dieſer beſondern Unterſuchung, zu der
ich mich anheiſchig gemacht hatte, will ich noch
einige allgemeine Luͤcken der obigen Abhandlung
ausfuͤllen, oder einige Fehler verbeſſern.
Nach meiner jetzigen Einſicht iſt uͤberhaupt
die Materie von Erweckung der Leidenſchaften fuͤr
den Zweck des Ganzen zu weitlaͤuftig abgehandelt
worden. Intereſſiren und ruͤhren graͤnzt in ei-
nem Punkte an einander: aber es iſt nicht einer-
ley. Das eine geht auf das Ganze eines Werks,
das andre auf einzelne Scenen deſſelben: das
eine iſt eine Aufbietung unſers Verſtandes; das
andre eine Erweichung des Herzens: das eine la-
det zum Leſen oder Anhoͤren einer Geſchichte ein;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/434>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.