Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

der Fähigkeiten.
bewußt zu seyn, durch die man auf sie gekom-
men ist.

Würde wohl in einem andern Kopfe, als in
Neutons seinem, der Fall eines Apsels die Idee
eines neuen Weltsystems haben erregen können?
Mit welcher Geschwindigkeit des Blitzes mußte
seine Seele die unendliche Reihe von Begriffen
durchlaufen und erleuchten, die von der Idee der
Schwere auf alle Körper angewendet veranlasset
wurden.

Unerklärlich scheint es in der That zu seyn,
allgemeine Ideen, zu denen kein Bild in der Ima-
gination gehört, auf gewisse Weise sinnlich klar
zu denken; und doch ist diese Fähigkeit gewiß in
der menschlichen Seele. In einem geringern
Grade finden wir sie schon bey der Erlernung
und Wiederholung der Wissenschaften. Man
wird oft gewahr, daß, ehe man sich aller Theile
eines allgemeinen Beweises, oder mit einem Worte
alles dessen, was man von einer Sache weiß,
einzeln erinnert, man schon zum voraus auf ge-
wisse Art empfindet, wie der Gang des ganzen

C 3

der Faͤhigkeiten.
bewußt zu ſeyn, durch die man auf ſie gekom-
men iſt.

Wuͤrde wohl in einem andern Kopfe, als in
Neutons ſeinem, der Fall eines Apſels die Idee
eines neuen Weltſyſtems haben erregen koͤnnen?
Mit welcher Geſchwindigkeit des Blitzes mußte
ſeine Seele die unendliche Reihe von Begriffen
durchlaufen und erleuchten, die von der Idee der
Schwere auf alle Koͤrper angewendet veranlaſſet
wurden.

Unerklaͤrlich ſcheint es in der That zu ſeyn,
allgemeine Ideen, zu denen kein Bild in der Ima-
gination gehoͤrt, auf gewiſſe Weiſe ſinnlich klar
zu denken; und doch iſt dieſe Faͤhigkeit gewiß in
der menſchlichen Seele. In einem geringern
Grade finden wir ſie ſchon bey der Erlernung
und Wiederholung der Wiſſenſchaften. Man
wird oft gewahr, daß, ehe man ſich aller Theile
eines allgemeinen Beweiſes, oder mit einem Worte
alles deſſen, was man von einer Sache weiß,
einzeln erinnert, man ſchon zum voraus auf ge-
wiſſe Art empfindet, wie der Gang des ganzen

C 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0043" n="37"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Fa&#x0364;higkeiten.</hi></fw><lb/>
bewußt zu &#x017F;eyn, durch die man auf &#x017F;ie gekom-<lb/>
men i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>Wu&#x0364;rde wohl in einem andern Kopfe, als in<lb/>
Neutons &#x017F;einem, der Fall eines Ap&#x017F;els die Idee<lb/>
eines neuen Welt&#x017F;y&#x017F;tems haben erregen ko&#x0364;nnen?<lb/>
Mit welcher Ge&#x017F;chwindigkeit des Blitzes mußte<lb/>
&#x017F;eine Seele die unendliche Reihe von Begriffen<lb/>
durchlaufen und erleuchten, die von der Idee der<lb/>
Schwere auf alle Ko&#x0364;rper angewendet veranla&#x017F;&#x017F;et<lb/>
wurden.</p><lb/>
        <p>Unerkla&#x0364;rlich &#x017F;cheint es in der That zu &#x017F;eyn,<lb/>
allgemeine Ideen, zu denen kein Bild in der Ima-<lb/>
gination geho&#x0364;rt, auf gewi&#x017F;&#x017F;e Wei&#x017F;e &#x017F;innlich klar<lb/>
zu denken; und doch i&#x017F;t die&#x017F;e Fa&#x0364;higkeit gewiß in<lb/>
der men&#x017F;chlichen Seele. In einem geringern<lb/>
Grade finden wir &#x017F;ie &#x017F;chon bey der Erlernung<lb/>
und Wiederholung der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften. Man<lb/>
wird oft gewahr, daß, ehe man &#x017F;ich aller Theile<lb/>
eines allgemeinen Bewei&#x017F;es, oder mit einem Worte<lb/>
alles de&#x017F;&#x017F;en, was man von einer Sache weiß,<lb/>
einzeln erinnert, man &#x017F;chon zum voraus auf ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Art empfindet, wie der Gang des ganzen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">C 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0043] der Faͤhigkeiten. bewußt zu ſeyn, durch die man auf ſie gekom- men iſt. Wuͤrde wohl in einem andern Kopfe, als in Neutons ſeinem, der Fall eines Apſels die Idee eines neuen Weltſyſtems haben erregen koͤnnen? Mit welcher Geſchwindigkeit des Blitzes mußte ſeine Seele die unendliche Reihe von Begriffen durchlaufen und erleuchten, die von der Idee der Schwere auf alle Koͤrper angewendet veranlaſſet wurden. Unerklaͤrlich ſcheint es in der That zu ſeyn, allgemeine Ideen, zu denen kein Bild in der Ima- gination gehoͤrt, auf gewiſſe Weiſe ſinnlich klar zu denken; und doch iſt dieſe Faͤhigkeit gewiß in der menſchlichen Seele. In einem geringern Grade finden wir ſie ſchon bey der Erlernung und Wiederholung der Wiſſenſchaften. Man wird oft gewahr, daß, ehe man ſich aller Theile eines allgemeinen Beweiſes, oder mit einem Worte alles deſſen, was man von einer Sache weiß, einzeln erinnert, man ſchon zum voraus auf ge- wiſſe Art empfindet, wie der Gang des ganzen C 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/43
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/43>, abgerufen am 22.11.2024.