Vorfällen und Veränderungen selbst, sondern nur an den Gesinnungen oder den Begierden unsrer Nebenmenschen Theil nehmen, die durch solche Vorfälle erregt oder aufgebracht werden; und daß es also mehr von seinen Personen, daß heißt im Grunde mehr von ihm selbst, von sei- ner eignen Art zu denken und zu empfinden, als von dem Stoff abhänge, ob er interessant seyn soll oder nicht.
Es giebt eine Verschiedenheit der Leiden- schaft, nach dem sie aus diesem oder jenem Vor- falle entspringt, und nur unter gewissen Umstän- den möglich ist: so hat jeder Stand, jede Le- bensart, jede Verfassung des Menschen ihre eigne Leidenschaften. Es giebt eine andre Ver- schiedenheit, die bey den nämlichen Vorfällen statt findet, nach der verschiednen Seite, von welcher dieselben betrachtet und empfunden wer- den; so kann dasjenige bey dem einen Zorn erre- gen, was den andern niederschlägt. Die erste Verschiedenheit ist lange Zeit her, und zum Theil noch, für die wichtigste gehalten, wenigstens
Einige Gedanken
Vorfaͤllen und Veraͤnderungen ſelbſt, ſondern nur an den Geſinnungen oder den Begierden unſrer Nebenmenſchen Theil nehmen, die durch ſolche Vorfaͤlle erregt oder aufgebracht werden; und daß es alſo mehr von ſeinen Perſonen, daß heißt im Grunde mehr von ihm ſelbſt, von ſei- ner eignen Art zu denken und zu empfinden, als von dem Stoff abhaͤnge, ob er intereſſant ſeyn ſoll oder nicht.
Es giebt eine Verſchiedenheit der Leiden- ſchaft, nach dem ſie aus dieſem oder jenem Vor- falle entſpringt, und nur unter gewiſſen Umſtaͤn- den moͤglich iſt: ſo hat jeder Stand, jede Le- bensart, jede Verfaſſung des Menſchen ihre eigne Leidenſchaften. Es giebt eine andre Ver- ſchiedenheit, die bey den naͤmlichen Vorfaͤllen ſtatt findet, nach der verſchiednen Seite, von welcher dieſelben betrachtet und empfunden wer- den; ſo kann dasjenige bey dem einen Zorn erre- gen, was den andern niederſchlaͤgt. Die erſte Verſchiedenheit iſt lange Zeit her, und zum Theil noch, fuͤr die wichtigſte gehalten, wenigſtens
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Einige Gedanken
Vorfaͤllen und Veraͤnderungen ſelbſt, ſondern
nur an den Geſinnungen oder den Begierden
unſrer Nebenmenſchen Theil nehmen, die durch
ſolche Vorfaͤlle erregt oder aufgebracht werden;
und daß es alſo mehr von ſeinen Perſonen, daß
heißt im Grunde mehr von ihm ſelbſt, von ſei-
ner eignen Art zu denken und zu empfinden, als
von dem Stoff abhaͤnge, ob er intereſſant ſeyn
ſoll oder nicht.
Es giebt eine Verſchiedenheit der Leiden-
ſchaft, nach dem ſie aus dieſem oder jenem Vor-
falle entſpringt, und nur unter gewiſſen Umſtaͤn-
den moͤglich iſt: ſo hat jeder Stand, jede Le-
bensart, jede Verfaſſung des Menſchen ihre
eigne Leidenſchaften. Es giebt eine andre Ver-
ſchiedenheit, die bey den naͤmlichen Vorfaͤllen
ſtatt findet, nach der verſchiednen Seite, von
welcher dieſelben betrachtet und empfunden wer-
den; ſo kann dasjenige bey dem einen Zorn erre-
gen, was den andern niederſchlaͤgt. Die erſte
Verſchiedenheit iſt lange Zeit her, und zum Theil
noch, fuͤr die wichtigſte gehalten, wenigſtens
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/366>, abgerufen am 23.11.2024.
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