Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

über das Interessirende.
ten zu erwecken, hat die Malerey mit der Poe-
sie gemein, aber die Malerey hat gar keine an-
dere.

Die Poesie hat noch eine zweyte. Nämlich,
es entstehen Leidenschaften, wenn uns die Empfin-
dungen oder die Ideen eines andern lebhafter an
unsre Umstände und Empfindungen ähnlicher Art
erinnern, und also, so zu sagen, ein vergangnes
Interesse wieder aufwecken.

Wir werden uns bloß auf die beiden leztern
Arten, die Leidenschaften zu erregen, einschränken.
Für die Dichter und die Schriftsteller überhaupt
ist diese Untersuchung bestimmt. Gemälde und
Musik können uns ergötzen, können uns rühren;
aber im eigentlichen Verstande interessiren können
uns nur die redenden Künste.

Noch einmal also, diese Künste erwecken Lei-
denschaften, 1) indem sie Begebenheiten uns dar-
stellen, an denen wir Antheil nehmen, 2) indem
sie Empfindungen uns vorlegen, die uns unsrer
eigenen eingedenk machen. Man sieht leicht, daß
das Drama, die Epopee, alle die Theile der Dicht-

uͤber das Intereſſirende.
ten zu erwecken, hat die Malerey mit der Poe-
ſie gemein, aber die Malerey hat gar keine an-
dere.

Die Poeſie hat noch eine zweyte. Naͤmlich,
es entſtehen Leidenſchaften, wenn uns die Empfin-
dungen oder die Ideen eines andern lebhafter an
unſre Umſtaͤnde und Empfindungen aͤhnlicher Art
erinnern, und alſo, ſo zu ſagen, ein vergangnes
Intereſſe wieder aufwecken.

Wir werden uns bloß auf die beiden leztern
Arten, die Leidenſchaften zu erregen, einſchraͤnken.
Fuͤr die Dichter und die Schriftſteller uͤberhaupt
iſt dieſe Unterſuchung beſtimmt. Gemaͤlde und
Muſik koͤnnen uns ergoͤtzen, koͤnnen uns ruͤhren;
aber im eigentlichen Verſtande intereſſiren koͤnnen
uns nur die redenden Kuͤnſte.

Noch einmal alſo, dieſe Kuͤnſte erwecken Lei-
denſchaften, 1) indem ſie Begebenheiten uns dar-
ſtellen, an denen wir Antheil nehmen, 2) indem
ſie Empfindungen uns vorlegen, die uns unſrer
eigenen eingedenk machen. Man ſieht leicht, daß
das Drama, die Epopee, alle die Theile der Dicht-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0325" n="319"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">u&#x0364;ber das Intere&#x017F;&#x017F;irende.</hi></fw><lb/>
ten zu erwecken, hat die Malerey mit der Poe-<lb/>
&#x017F;ie gemein, aber die Malerey hat gar keine an-<lb/>
dere.</p><lb/>
        <p>Die Poe&#x017F;ie hat noch eine zweyte. Na&#x0364;mlich,<lb/>
es ent&#x017F;tehen Leiden&#x017F;chaften, wenn uns die Empfin-<lb/>
dungen oder die Ideen eines andern lebhafter an<lb/>
un&#x017F;re Um&#x017F;ta&#x0364;nde und Empfindungen a&#x0364;hnlicher Art<lb/>
erinnern, und al&#x017F;o, &#x017F;o zu &#x017F;agen, ein vergangnes<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;e wieder aufwecken.</p><lb/>
        <p>Wir werden uns bloß auf die beiden leztern<lb/>
Arten, die Leiden&#x017F;chaften zu erregen, ein&#x017F;chra&#x0364;nken.<lb/>
Fu&#x0364;r die Dichter und die Schrift&#x017F;teller u&#x0364;berhaupt<lb/>
i&#x017F;t die&#x017F;e Unter&#x017F;uchung be&#x017F;timmt. Gema&#x0364;lde und<lb/>
Mu&#x017F;ik ko&#x0364;nnen uns ergo&#x0364;tzen, ko&#x0364;nnen uns ru&#x0364;hren;<lb/>
aber im eigentlichen Ver&#x017F;tande intere&#x017F;&#x017F;iren ko&#x0364;nnen<lb/>
uns nur die redenden Ku&#x0364;n&#x017F;te.</p><lb/>
        <p>Noch einmal al&#x017F;o, die&#x017F;e Ku&#x0364;n&#x017F;te erwecken Lei-<lb/>
den&#x017F;chaften, 1) indem &#x017F;ie Begebenheiten uns dar-<lb/>
&#x017F;tellen, an denen wir Antheil nehmen, 2) indem<lb/>
&#x017F;ie Empfindungen uns vorlegen, die uns un&#x017F;rer<lb/>
eigenen eingedenk machen. Man &#x017F;ieht leicht, daß<lb/>
das Drama, die Epopee, alle die Theile der Dicht-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[319/0325] uͤber das Intereſſirende. ten zu erwecken, hat die Malerey mit der Poe- ſie gemein, aber die Malerey hat gar keine an- dere. Die Poeſie hat noch eine zweyte. Naͤmlich, es entſtehen Leidenſchaften, wenn uns die Empfin- dungen oder die Ideen eines andern lebhafter an unſre Umſtaͤnde und Empfindungen aͤhnlicher Art erinnern, und alſo, ſo zu ſagen, ein vergangnes Intereſſe wieder aufwecken. Wir werden uns bloß auf die beiden leztern Arten, die Leidenſchaften zu erregen, einſchraͤnken. Fuͤr die Dichter und die Schriftſteller uͤberhaupt iſt dieſe Unterſuchung beſtimmt. Gemaͤlde und Muſik koͤnnen uns ergoͤtzen, koͤnnen uns ruͤhren; aber im eigentlichen Verſtande intereſſiren koͤnnen uns nur die redenden Kuͤnſte. Noch einmal alſo, dieſe Kuͤnſte erwecken Lei- denſchaften, 1) indem ſie Begebenheiten uns dar- ſtellen, an denen wir Antheil nehmen, 2) indem ſie Empfindungen uns vorlegen, die uns unſrer eigenen eingedenk machen. Man ſieht leicht, daß das Drama, die Epopee, alle die Theile der Dicht-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/325
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/325>, abgerufen am 22.11.2024.