als so viel sagen: von einer gewissen Spannung der Nerven wird jede Leidenschaft begleitet; ist diese Spannung da, so entsteht diese Leidenschaft, oder die Seele braucht nur noch eine kleine Ver- anlassung dazu. Töne, die eigentlich nur eine Erschütterung des Gehörnervens wirken, haben doch einen unstreitigen Einfluß auf den ganzen Körper. Die Erfahrung hat uns gelehrt, welche Töne die Nerven schlaff und dadurch die Seele schwermüthig machen, oder welche sie anspannen und dadurch die Seele erheben. Der Komponist sezt diese Töne zusammen, und erweckt diese Lei- denschaften. So viel ist wenigstens ausge- macht, daß die meiste Instrumentalmusik, außer dem Vergnügen an Wohlklang und Rhythmus, weiter keine Wirkung auf die Seele thut, als durch die Verfassung, in die sie den Körper sezt.
Oder die Leidenschaft wird erregt durch das Anschauen einer Begebenheit, die einen andern in Leidenschaft sezt, und an der wir durch Sym- pathie Theil nehmen. Diese Art, Leidenschaf-
Einige Gedanken
als ſo viel ſagen: von einer gewiſſen Spannung der Nerven wird jede Leidenſchaft begleitet; iſt dieſe Spannung da, ſo entſteht dieſe Leidenſchaft, oder die Seele braucht nur noch eine kleine Ver- anlaſſung dazu. Toͤne, die eigentlich nur eine Erſchuͤtterung des Gehoͤrnervens wirken, haben doch einen unſtreitigen Einfluß auf den ganzen Koͤrper. Die Erfahrung hat uns gelehrt, welche Toͤne die Nerven ſchlaff und dadurch die Seele ſchwermuͤthig machen, oder welche ſie anſpannen und dadurch die Seele erheben. Der Komponiſt ſezt dieſe Toͤne zuſammen, und erweckt dieſe Lei- denſchaften. So viel iſt wenigſtens ausge- macht, daß die meiſte Inſtrumentalmuſik, außer dem Vergnuͤgen an Wohlklang und Rhythmus, weiter keine Wirkung auf die Seele thut, als durch die Verfaſſung, in die ſie den Koͤrper ſezt.
Oder die Leidenſchaft wird erregt durch das Anſchauen einer Begebenheit, die einen andern in Leidenſchaft ſezt, und an der wir durch Sym- pathie Theil nehmen. Dieſe Art, Leidenſchaf-
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Einige Gedanken
als ſo viel ſagen: von einer gewiſſen Spannung
der Nerven wird jede Leidenſchaft begleitet; iſt
dieſe Spannung da, ſo entſteht dieſe Leidenſchaft,
oder die Seele braucht nur noch eine kleine Ver-
anlaſſung dazu. Toͤne, die eigentlich nur eine
Erſchuͤtterung des Gehoͤrnervens wirken, haben
doch einen unſtreitigen Einfluß auf den ganzen
Koͤrper. Die Erfahrung hat uns gelehrt, welche
Toͤne die Nerven ſchlaff und dadurch die Seele
ſchwermuͤthig machen, oder welche ſie anſpannen
und dadurch die Seele erheben. Der Komponiſt
ſezt dieſe Toͤne zuſammen, und erweckt dieſe Lei-
denſchaften. So viel iſt wenigſtens ausge-
macht, daß die meiſte Inſtrumentalmuſik, außer
dem Vergnuͤgen an Wohlklang und Rhythmus,
weiter keine Wirkung auf die Seele thut, als
durch die Verfaſſung, in die ſie den Koͤrper
ſezt.
Oder die Leidenſchaft wird erregt durch das
Anſchauen einer Begebenheit, die einen andern
in Leidenſchaft ſezt, und an der wir durch Sym-
pathie Theil nehmen. Dieſe Art, Leidenſchaf-
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/324>, abgerufen am 16.02.2025.
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