jetzigen Verfassung eine Lücke macht, über die wir unruhig sind. Eben die Beziehung, die das Gute auf die Begierden hat, eben dieselbe hat das In- teressirende auf den Verstand. Nicht jede wahre große schöne Idee macht uns aufmerksam, son- dern nur diejenige, die in die Reihe der in uns schon vorhandenen und von uns bemerkten Ideen noch hineinfehlt, die, welche eine von uns wahrgenommene Lücke unserer Kenntnisse ausfüllt, eine gewisse Unruhe stillt, die wir über unsere Unwissenheit in diesem Stücke em- pfanden.
Wir sehen also, wie der vorhergehende Zu- stand des Menschen, die Summe dessen, was er bisher erfahren, empfunden und gedacht hat, ei- nen Einfluß darauf haben kann, an welchen von den neuankommenden Ideen er den meisten Ge- schmack finden, welche er am geschwindesten sich zueignen, bey welchen er mit seiner Aufmerksam- keit stehen bleiben soll. Wenn die Natur zuerst das Auge und das Ohr des neugeborenen Men- schen öfnet: so überläßt sie denselben eine Zeit-
uͤber das Intereſſirende.
jetzigen Verfaſſung eine Luͤcke macht, uͤber die wir unruhig ſind. Eben die Beziehung, die das Gute auf die Begierden hat, eben dieſelbe hat das In- tereſſirende auf den Verſtand. Nicht jede wahre große ſchoͤne Idee macht uns aufmerkſam, ſon- dern nur diejenige, die in die Reihe der in uns ſchon vorhandenen und von uns bemerkten Ideen noch hineinfehlt, die, welche eine von uns wahrgenommene Luͤcke unſerer Kenntniſſe ausfuͤllt, eine gewiſſe Unruhe ſtillt, die wir uͤber unſere Unwiſſenheit in dieſem Stuͤcke em- pfanden.
Wir ſehen alſo, wie der vorhergehende Zu- ſtand des Menſchen, die Summe deſſen, was er bisher erfahren, empfunden und gedacht hat, ei- nen Einfluß darauf haben kann, an welchen von den neuankommenden Ideen er den meiſten Ge- ſchmack finden, welche er am geſchwindeſten ſich zueignen, bey welchen er mit ſeiner Aufmerkſam- keit ſtehen bleiben ſoll. Wenn die Natur zuerſt das Auge und das Ohr des neugeborenen Men- ſchen oͤfnet: ſo uͤberlaͤßt ſie denſelben eine Zeit-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0275"n="269"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">uͤber das Intereſſirende.</hi></fw><lb/>
jetzigen Verfaſſung eine Luͤcke macht, uͤber die wir<lb/>
unruhig ſind. Eben die Beziehung, die das Gute<lb/>
auf die Begierden hat, eben dieſelbe hat das In-<lb/>
tereſſirende auf den Verſtand. Nicht jede wahre<lb/>
große ſchoͤne Idee macht uns aufmerkſam, ſon-<lb/>
dern nur diejenige, die in die Reihe der in uns<lb/>ſchon vorhandenen und von uns bemerkten<lb/>
Ideen noch hineinfehlt, die, welche eine von<lb/>
uns wahrgenommene Luͤcke unſerer Kenntniſſe<lb/>
ausfuͤllt, eine gewiſſe Unruhe ſtillt, die wir<lb/>
uͤber unſere Unwiſſenheit in dieſem Stuͤcke em-<lb/>
pfanden.</p><lb/><p>Wir ſehen alſo, wie der vorhergehende Zu-<lb/>ſtand des Menſchen, die Summe deſſen, was er<lb/>
bisher erfahren, empfunden und gedacht hat, ei-<lb/>
nen Einfluß darauf haben kann, an welchen von<lb/>
den neuankommenden Ideen er den meiſten Ge-<lb/>ſchmack finden, welche er am geſchwindeſten ſich<lb/>
zueignen, bey welchen er mit ſeiner Aufmerkſam-<lb/>
keit ſtehen bleiben ſoll. Wenn die Natur zuerſt<lb/>
das Auge und das Ohr des neugeborenen Men-<lb/>ſchen oͤfnet: ſo uͤberlaͤßt ſie denſelben eine Zeit-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[269/0275]
uͤber das Intereſſirende.
jetzigen Verfaſſung eine Luͤcke macht, uͤber die wir
unruhig ſind. Eben die Beziehung, die das Gute
auf die Begierden hat, eben dieſelbe hat das In-
tereſſirende auf den Verſtand. Nicht jede wahre
große ſchoͤne Idee macht uns aufmerkſam, ſon-
dern nur diejenige, die in die Reihe der in uns
ſchon vorhandenen und von uns bemerkten
Ideen noch hineinfehlt, die, welche eine von
uns wahrgenommene Luͤcke unſerer Kenntniſſe
ausfuͤllt, eine gewiſſe Unruhe ſtillt, die wir
uͤber unſere Unwiſſenheit in dieſem Stuͤcke em-
pfanden.
Wir ſehen alſo, wie der vorhergehende Zu-
ſtand des Menſchen, die Summe deſſen, was er
bisher erfahren, empfunden und gedacht hat, ei-
nen Einfluß darauf haben kann, an welchen von
den neuankommenden Ideen er den meiſten Ge-
ſchmack finden, welche er am geſchwindeſten ſich
zueignen, bey welchen er mit ſeiner Aufmerkſam-
keit ſtehen bleiben ſoll. Wenn die Natur zuerſt
das Auge und das Ohr des neugeborenen Men-
ſchen oͤfnet: ſo uͤberlaͤßt ſie denſelben eine Zeit-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/275>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.