Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Ueber die Prüfung
besser und lebhafter die Bilder sind, die die Seele
durch die Empfindungen erhält, desto größer ist
das Vergnügen über dieselben, und desto größer
das Verlangen nach neuen.

Die Begierde also, mit welcher wir gewisse
Seelen immer neue und neue Gegenstände ihrer
Empfindung aufsuchen sehen, und die Behendig-
keit, die diese Begierde allen ihren Handlungen
giebt, könnte ein Beweis von der Güte ihrer Em-
pfindungen seyn, wenn nur diese Munterkeit nicht
oft einer gewissen Beharrlichkeit entgegen wäre,
welche jedem Eindrucke Zeit genug läßt, sich in
den Seelen festzusetzen, ehe ein neuer auf ihn
folgt. Ein schneller Uebergang von einer Sache
zur andern zeigt freylich eine wirksame Seele,
aber er löscht zu leicht einen Eindruck durch den
andern aus, und zersiört die Wirkung, indem er
den Gegenstand zu oft abändert.

Man sieht also, wie leicht hier der Irrthum
ist. Ein langsamer Fortgang von einem Gegen-
stande zum andern, der bey Kindern oft für
Dummheit angesehen wird, kann eben die Ursache

Ueber die Pruͤfung
beſſer und lebhafter die Bilder ſind, die die Seele
durch die Empfindungen erhaͤlt, deſto groͤßer iſt
das Vergnuͤgen uͤber dieſelben, und deſto groͤßer
das Verlangen nach neuen.

Die Begierde alſo, mit welcher wir gewiſſe
Seelen immer neue und neue Gegenſtaͤnde ihrer
Empfindung aufſuchen ſehen, und die Behendig-
keit, die dieſe Begierde allen ihren Handlungen
giebt, koͤnnte ein Beweis von der Guͤte ihrer Em-
pfindungen ſeyn, wenn nur dieſe Munterkeit nicht
oft einer gewiſſen Beharrlichkeit entgegen waͤre,
welche jedem Eindrucke Zeit genug laͤßt, ſich in
den Seelen feſtzuſetzen, ehe ein neuer auf ihn
folgt. Ein ſchneller Uebergang von einer Sache
zur andern zeigt freylich eine wirkſame Seele,
aber er loͤſcht zu leicht einen Eindruck durch den
andern aus, und zerſioͤrt die Wirkung, indem er
den Gegenſtand zu oft abaͤndert.

Man ſieht alſo, wie leicht hier der Irrthum
iſt. Ein langſamer Fortgang von einem Gegen-
ſtande zum andern, der bey Kindern oft fuͤr
Dummheit angeſehen wird, kann eben die Urſache

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0024" n="18"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ueber die Pru&#x0364;fung</hi></fw><lb/>
be&#x017F;&#x017F;er und lebhafter die Bilder &#x017F;ind, die die Seele<lb/>
durch die Empfindungen erha&#x0364;lt, de&#x017F;to gro&#x0364;ßer i&#x017F;t<lb/>
das Vergnu&#x0364;gen u&#x0364;ber die&#x017F;elben, und de&#x017F;to gro&#x0364;ßer<lb/>
das Verlangen nach neuen.</p><lb/>
        <p>Die Begierde al&#x017F;o, mit welcher wir gewi&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Seelen immer neue und neue Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde ihrer<lb/>
Empfindung auf&#x017F;uchen &#x017F;ehen, und die Behendig-<lb/>
keit, die die&#x017F;e Begierde allen ihren Handlungen<lb/>
giebt, ko&#x0364;nnte ein Beweis von der Gu&#x0364;te ihrer Em-<lb/>
pfindungen &#x017F;eyn, wenn nur die&#x017F;e Munterkeit nicht<lb/>
oft einer gewi&#x017F;&#x017F;en Beharrlichkeit entgegen wa&#x0364;re,<lb/>
welche jedem Eindrucke Zeit genug la&#x0364;ßt, &#x017F;ich in<lb/>
den Seelen fe&#x017F;tzu&#x017F;etzen, ehe ein neuer auf ihn<lb/>
folgt. Ein &#x017F;chneller Uebergang von einer Sache<lb/>
zur andern zeigt freylich eine wirk&#x017F;ame Seele,<lb/>
aber er lo&#x0364;&#x017F;cht zu leicht einen Eindruck durch den<lb/>
andern aus, und zer&#x017F;io&#x0364;rt die Wirkung, indem er<lb/>
den Gegen&#x017F;tand zu oft aba&#x0364;ndert.</p><lb/>
        <p>Man &#x017F;ieht al&#x017F;o, wie leicht hier der Irrthum<lb/>
i&#x017F;t. Ein lang&#x017F;amer Fortgang von einem Gegen-<lb/>
&#x017F;tande zum andern, der bey Kindern oft fu&#x0364;r<lb/>
Dummheit ange&#x017F;ehen wird, kann eben die Ur&#x017F;ache<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0024] Ueber die Pruͤfung beſſer und lebhafter die Bilder ſind, die die Seele durch die Empfindungen erhaͤlt, deſto groͤßer iſt das Vergnuͤgen uͤber dieſelben, und deſto groͤßer das Verlangen nach neuen. Die Begierde alſo, mit welcher wir gewiſſe Seelen immer neue und neue Gegenſtaͤnde ihrer Empfindung aufſuchen ſehen, und die Behendig- keit, die dieſe Begierde allen ihren Handlungen giebt, koͤnnte ein Beweis von der Guͤte ihrer Em- pfindungen ſeyn, wenn nur dieſe Munterkeit nicht oft einer gewiſſen Beharrlichkeit entgegen waͤre, welche jedem Eindrucke Zeit genug laͤßt, ſich in den Seelen feſtzuſetzen, ehe ein neuer auf ihn folgt. Ein ſchneller Uebergang von einer Sache zur andern zeigt freylich eine wirkſame Seele, aber er loͤſcht zu leicht einen Eindruck durch den andern aus, und zerſioͤrt die Wirkung, indem er den Gegenſtand zu oft abaͤndert. Man ſieht alſo, wie leicht hier der Irrthum iſt. Ein langſamer Fortgang von einem Gegen- ſtande zum andern, der bey Kindern oft fuͤr Dummheit angeſehen wird, kann eben die Urſache

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/24
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/24>, abgerufen am 23.11.2024.