Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.dessen Schriften und Charakter. Gedanken vergnügen; dieß kann man nur, wennman entweder Tiefsinn oder Einbildungskraft hat. Die sanften Rührungen der Religion selbst, die er zu diesen Zeiten hatte, erfodern die Hülfe dieser Fähigkeit. Das Nachdenken über Gott kann die Seele in eine starke Thätigkeit setzen: aber sie wehmüthig machen, sie rühren, Freudenthrä- nen hervorbringen kann es nur, wenn es mit gewissen Bildern vergesellschaftet ist. Er klagte in seinen spätern Jahren oft, daß diese Rührun- gen ausblieben, daß der Anblick der Natur, und die Feyerlichkeit gottesdienstlicher Handlungen, nicht mehr dasselbe Feuer der Andacht bey ihm er- rege. Aber in der That war er zu mistrauisch gegen sich selbst, um die natürlichen Ursachen, die er sich von dieser Veränderung angeben konnte, zu glauben. Seine Ueberzeugung und sein Wille waren noch gleich lebhaft; aber seine Einbildungs- kraft, und die dunkeln Triebe, die damit zusam- menhängen, waren geschwächt. Sein Nachdenken und die Fähigkeiten, die P 3
deſſen Schriften und Charakter. Gedanken vergnuͤgen; dieß kann man nur, wennman entweder Tiefſinn oder Einbildungskraft hat. Die ſanften Ruͤhrungen der Religion ſelbſt, die er zu dieſen Zeiten hatte, erfodern die Huͤlfe dieſer Faͤhigkeit. Das Nachdenken uͤber Gott kann die Seele in eine ſtarke Thaͤtigkeit ſetzen: aber ſie wehmuͤthig machen, ſie ruͤhren, Freudenthraͤ- nen hervorbringen kann es nur, wenn es mit gewiſſen Bildern vergeſellſchaftet iſt. Er klagte in ſeinen ſpaͤtern Jahren oft, daß dieſe Ruͤhrun- gen ausblieben, daß der Anblick der Natur, und die Feyerlichkeit gottesdienſtlicher Handlungen, nicht mehr daſſelbe Feuer der Andacht bey ihm er- rege. Aber in der That war er zu mistrauiſch gegen ſich ſelbſt, um die natuͤrlichen Urſachen, die er ſich von dieſer Veraͤnderung angeben konnte, zu glauben. Seine Ueberzeugung und ſein Wille waren noch gleich lebhaft; aber ſeine Einbildungs- kraft, und die dunkeln Triebe, die damit zuſam- menhaͤngen, waren geſchwaͤcht. Sein Nachdenken und die Faͤhigkeiten, die P 3
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Gedanken vergnuͤgen; dieß kann man nur, wenn
man entweder Tiefſinn oder Einbildungskraft
hat. Die ſanften Ruͤhrungen der Religion ſelbſt,
die er zu dieſen Zeiten hatte, erfodern die Huͤlfe
dieſer Faͤhigkeit. Das Nachdenken uͤber Gott
kann die Seele in eine ſtarke Thaͤtigkeit ſetzen: aber
ſie wehmuͤthig machen, ſie ruͤhren, Freudenthraͤ-
nen hervorbringen kann es nur, wenn es mit
gewiſſen Bildern vergeſellſchaftet iſt. Er klagte
in ſeinen ſpaͤtern Jahren oft, daß dieſe Ruͤhrun-
gen ausblieben, daß der Anblick der Natur, und
die Feyerlichkeit gottesdienſtlicher Handlungen,
nicht mehr daſſelbe Feuer der Andacht bey ihm er-
rege. Aber in der That war er zu mistrauiſch
gegen ſich ſelbſt, um die natuͤrlichen Urſachen, die
er ſich von dieſer Veraͤnderung angeben konnte,
zu glauben. Seine Ueberzeugung und ſein Wille
waren noch gleich lebhaft; aber ſeine Einbildungs-
kraft, und die dunkeln Triebe, die damit zuſam-
menhaͤngen, waren geſchwaͤcht.
Sein Nachdenken und die Faͤhigkeiten, die
den Philoſophen ausmachen, waren bey ihm ſo,
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