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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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Anmerkungen über Gellerts Moral,
nicht begeistert; er behielt also noch alle Beson-
nenheit, auf den vollkommensten Ausdruck, den
richtigsten Reim und die strengste Correction zu
denken. Ueberdieß wurde dadurch das ganze
Kolorit seiner Gemälde sanfter, sein Spott un-
schuldiger, die Freude gelaßner. Es blieb alles
in den genauesten Schranken der Moralität und
der Kritik. Dagegen ermüdete sein Geist nicht so-
bald, er arbeitete oft an einer Fabel ununterbro-
chen mehrere Tage, änderte ohne ungeduldig oder
unmuthsvoll zu werden, und verfolgte die Idee
von Vortrefflichkeit, auch wenn es ihm zuerst fehl-
schlug, mit Standhaftigkeit und Muth.

Seine Imagination war, besonders in sei-
nen letzten Jahren, mehr der traurigen Bilder fä-
hig, weil selbst die traurigen Empfindungen die
Oberhand hatten. Immer scheint das Wehmü-
thige, das Sanfte, mehr Eindruck bey ihm ge-
macht zu haben, als das Fröhliche und das Hef-
tige. Er war oft und gern allein, und konnte
ohne Bücher, ohne Umgang, und ohne mit neuen
Werken umzugehen, sich lange mit seinen eignen

Anmerkungen uͤber Gellerts Moral,
nicht begeiſtert; er behielt alſo noch alle Beſon-
nenheit, auf den vollkommenſten Ausdruck, den
richtigſten Reim und die ſtrengſte Correction zu
denken. Ueberdieß wurde dadurch das ganze
Kolorit ſeiner Gemaͤlde ſanfter, ſein Spott un-
ſchuldiger, die Freude gelaßner. Es blieb alles
in den genaueſten Schranken der Moralitaͤt und
der Kritik. Dagegen ermuͤdete ſein Geiſt nicht ſo-
bald, er arbeitete oft an einer Fabel ununterbro-
chen mehrere Tage, aͤnderte ohne ungeduldig oder
unmuthsvoll zu werden, und verfolgte die Idee
von Vortrefflichkeit, auch wenn es ihm zuerſt fehl-
ſchlug, mit Standhaftigkeit und Muth.

Seine Imagination war, beſonders in ſei-
nen letzten Jahren, mehr der traurigen Bilder faͤ-
hig, weil ſelbſt die traurigen Empfindungen die
Oberhand hatten. Immer ſcheint das Wehmuͤ-
thige, das Sanfte, mehr Eindruck bey ihm ge-
macht zu haben, als das Froͤhliche und das Hef-
tige. Er war oft und gern allein, und konnte
ohne Buͤcher, ohne Umgang, und ohne mit neuen
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[228/0234] Anmerkungen uͤber Gellerts Moral, nicht begeiſtert; er behielt alſo noch alle Beſon- nenheit, auf den vollkommenſten Ausdruck, den richtigſten Reim und die ſtrengſte Correction zu denken. Ueberdieß wurde dadurch das ganze Kolorit ſeiner Gemaͤlde ſanfter, ſein Spott un- ſchuldiger, die Freude gelaßner. Es blieb alles in den genaueſten Schranken der Moralitaͤt und der Kritik. Dagegen ermuͤdete ſein Geiſt nicht ſo- bald, er arbeitete oft an einer Fabel ununterbro- chen mehrere Tage, aͤnderte ohne ungeduldig oder unmuthsvoll zu werden, und verfolgte die Idee von Vortrefflichkeit, auch wenn es ihm zuerſt fehl- ſchlug, mit Standhaftigkeit und Muth. Seine Imagination war, beſonders in ſei- nen letzten Jahren, mehr der traurigen Bilder faͤ- hig, weil ſelbſt die traurigen Empfindungen die Oberhand hatten. Immer ſcheint das Wehmuͤ- thige, das Sanfte, mehr Eindruck bey ihm ge- macht zu haben, als das Froͤhliche und das Hef- tige. Er war oft und gern allein, und konnte ohne Buͤcher, ohne Umgang, und ohne mit neuen Werken umzugehen, ſich lange mit ſeinen eignen

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/234>, abgerufen am 22.11.2024.