Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Verschiedenheiten in den Werken
fast allein Schriftsteller giebt, lebt bey uns be-
ständig in ihren Häusern eingeschlossen; ihre Be-
schäftigungen und ihre Zeitvertreibe sind größten-
theils innerhalb der vier Wände ihres Zimmers.
Nur gelegentlich, nur auf Augenblicke werden un-
sere Menschen in das freye Feld hinausgeführt.
Und dann sind sie gemeiniglich schon ermüdet und
zerstreut, oder ihr Kopf ist schon mit so viel klei-
nem Eigennutze, mit dem Entwurfe so vieler Ver-
gnügungen, mit so viel selbstgemachten Ideen und
Begierden angefüllt, die das eingeschränkte bür-
gerliche und häusliche Leben giebt, daß sie selten
mehr lebhaft von dem gerührt werden, was sie
sehen und hören, wofern es nicht neu und außer-
ordentlich ist, und ihre Aufmerksamkeit durch ei-
nen stärkern Reiz an sich zieht, als der bloß ein-
fache Eindruck auf ihre Sinne ist. -- Wir beob-
achten also sehr wenig selbst. Viele Dinge ge-
schehen täglich vor unsern Augen, oder sind nur
wenig Schritte von uns, die wir doch kaum eher
bemerken, als bis wir sie in Büchern gefunden
haben. Die Dichter müssen uns erst sagen, was

Verſchiedenheiten in den Werken
faſt allein Schriftſteller giebt, lebt bey uns be-
ſtaͤndig in ihren Haͤuſern eingeſchloſſen; ihre Be-
ſchaͤftigungen und ihre Zeitvertreibe ſind groͤßten-
theils innerhalb der vier Waͤnde ihres Zimmers.
Nur gelegentlich, nur auf Augenblicke werden un-
ſere Menſchen in das freye Feld hinausgefuͤhrt.
Und dann ſind ſie gemeiniglich ſchon ermuͤdet und
zerſtreut, oder ihr Kopf iſt ſchon mit ſo viel klei-
nem Eigennutze, mit dem Entwurfe ſo vieler Ver-
gnuͤgungen, mit ſo viel ſelbſtgemachten Ideen und
Begierden angefuͤllt, die das eingeſchraͤnkte buͤr-
gerliche und haͤusliche Leben giebt, daß ſie ſelten
mehr lebhaft von dem geruͤhrt werden, was ſie
ſehen und hoͤren, wofern es nicht neu und außer-
ordentlich iſt, und ihre Aufmerkſamkeit durch ei-
nen ſtaͤrkern Reiz an ſich zieht, als der bloß ein-
fache Eindruck auf ihre Sinne iſt. — Wir beob-
achten alſo ſehr wenig ſelbſt. Viele Dinge ge-
ſchehen taͤglich vor unſern Augen, oder ſind nur
wenig Schritte von uns, die wir doch kaum eher
bemerken, als bis wir ſie in Buͤchern gefunden
haben. Die Dichter muͤſſen uns erſt ſagen, was

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0128" n="122"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ver&#x017F;chiedenheiten in den Werken</hi></fw><lb/>
fa&#x017F;t allein Schrift&#x017F;teller giebt, lebt bey uns be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig in ihren Ha&#x0364;u&#x017F;ern einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en; ihre Be-<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigungen und ihre Zeitvertreibe &#x017F;ind gro&#x0364;ßten-<lb/>
theils innerhalb der vier Wa&#x0364;nde ihres Zimmers.<lb/>
Nur gelegentlich, nur auf Augenblicke werden un-<lb/>
&#x017F;ere Men&#x017F;chen in das freye Feld hinausgefu&#x0364;hrt.<lb/>
Und dann &#x017F;ind &#x017F;ie gemeiniglich &#x017F;chon ermu&#x0364;det und<lb/>
zer&#x017F;treut, oder ihr Kopf i&#x017F;t &#x017F;chon mit &#x017F;o viel klei-<lb/>
nem Eigennutze, mit dem Entwurfe &#x017F;o vieler Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gungen, mit &#x017F;o viel &#x017F;elb&#x017F;tgemachten Ideen und<lb/>
Begierden angefu&#x0364;llt, die das einge&#x017F;chra&#x0364;nkte bu&#x0364;r-<lb/>
gerliche und ha&#x0364;usliche Leben giebt, daß &#x017F;ie &#x017F;elten<lb/>
mehr lebhaft von dem geru&#x0364;hrt werden, was &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ehen und ho&#x0364;ren, wofern es nicht neu und außer-<lb/>
ordentlich i&#x017F;t, und ihre Aufmerk&#x017F;amkeit durch ei-<lb/>
nen &#x017F;ta&#x0364;rkern Reiz an &#x017F;ich zieht, als der bloß ein-<lb/>
fache Eindruck auf ihre Sinne i&#x017F;t. &#x2014; Wir beob-<lb/>
achten al&#x017F;o &#x017F;ehr wenig &#x017F;elb&#x017F;t. Viele Dinge ge-<lb/>
&#x017F;chehen ta&#x0364;glich vor un&#x017F;ern Augen, oder &#x017F;ind nur<lb/>
wenig Schritte von uns, die wir doch kaum eher<lb/>
bemerken, als bis wir &#x017F;ie in Bu&#x0364;chern gefunden<lb/>
haben. Die Dichter mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en uns er&#x017F;t &#x017F;agen, was<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0128] Verſchiedenheiten in den Werken faſt allein Schriftſteller giebt, lebt bey uns be- ſtaͤndig in ihren Haͤuſern eingeſchloſſen; ihre Be- ſchaͤftigungen und ihre Zeitvertreibe ſind groͤßten- theils innerhalb der vier Waͤnde ihres Zimmers. Nur gelegentlich, nur auf Augenblicke werden un- ſere Menſchen in das freye Feld hinausgefuͤhrt. Und dann ſind ſie gemeiniglich ſchon ermuͤdet und zerſtreut, oder ihr Kopf iſt ſchon mit ſo viel klei- nem Eigennutze, mit dem Entwurfe ſo vieler Ver- gnuͤgungen, mit ſo viel ſelbſtgemachten Ideen und Begierden angefuͤllt, die das eingeſchraͤnkte buͤr- gerliche und haͤusliche Leben giebt, daß ſie ſelten mehr lebhaft von dem geruͤhrt werden, was ſie ſehen und hoͤren, wofern es nicht neu und außer- ordentlich iſt, und ihre Aufmerkſamkeit durch ei- nen ſtaͤrkern Reiz an ſich zieht, als der bloß ein- fache Eindruck auf ihre Sinne iſt. — Wir beob- achten alſo ſehr wenig ſelbſt. Viele Dinge ge- ſchehen taͤglich vor unſern Augen, oder ſind nur wenig Schritte von uns, die wir doch kaum eher bemerken, als bis wir ſie in Buͤchern gefunden haben. Die Dichter muͤſſen uns erſt ſagen, was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/128
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/128>, abgerufen am 23.11.2024.