dre Anwendung der Seelenkräfte; und zwar ge- rade da am meisten, wo diese am größten, und also zugleich die Leidenschaften am stärksten sind: dahingegen bey andern, wo Triebfedern fehlen, wo die Wirksamkeit der Seele an und für sich klein ist, eben diese Leidenschaften nützlich seyn können.
Drittens. Gute Köpfe haben selten eine ge- wisse Art von so anhaltendem, und, wenn ich so sagen darf, sklavischem Fleiße. Sie unterrichten noch weit lieber sich selbst, als sie sich unterrich- ten lassen, und ihre Seele beschäftigt sich lieber damit, selbst Begriffe hervorzubringen, als sie bloß einzusammeln. -- So richtig diese Bemer- kung ist, so würde sie verführen können, wenn man sie nicht gehörig einschränkte. Zuerst also steht der Grundsatz fest: Ohne fortgesezte und vielfältige Uebung, und ohne eine Erlangung von mannichfaltigen Kenntnissen, kann keine einzige Fähigkeit des menschlichen Geistes, und wenn sie auch von der eigentlichen Gelehrsamkeit noch so entfernt wäre, zur Vollkommenheit gelangen.
Ueber die Pruͤfung
dre Anwendung der Seelenkraͤfte; und zwar ge- rade da am meiſten, wo dieſe am groͤßten, und alſo zugleich die Leidenſchaften am ſtaͤrkſten ſind: dahingegen bey andern, wo Triebfedern fehlen, wo die Wirkſamkeit der Seele an und fuͤr ſich klein iſt, eben dieſe Leidenſchaften nuͤtzlich ſeyn koͤnnen.
Drittens. Gute Koͤpfe haben ſelten eine ge- wiſſe Art von ſo anhaltendem, und, wenn ich ſo ſagen darf, ſklaviſchem Fleiße. Sie unterrichten noch weit lieber ſich ſelbſt, als ſie ſich unterrich- ten laſſen, und ihre Seele beſchaͤftigt ſich lieber damit, ſelbſt Begriffe hervorzubringen, als ſie bloß einzuſammeln. — So richtig dieſe Bemer- kung iſt, ſo wuͤrde ſie verfuͤhren koͤnnen, wenn man ſie nicht gehoͤrig einſchraͤnkte. Zuerſt alſo ſteht der Grundſatz feſt: Ohne fortgeſezte und vielfaͤltige Uebung, und ohne eine Erlangung von mannichfaltigen Kenntniſſen, kann keine einzige Faͤhigkeit des menſchlichen Geiſtes, und wenn ſie auch von der eigentlichen Gelehrſamkeit noch ſo entfernt waͤre, zur Vollkommenheit gelangen.
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Ueber die Pruͤfung
dre Anwendung der Seelenkraͤfte; und zwar ge-
rade da am meiſten, wo dieſe am groͤßten, und
alſo zugleich die Leidenſchaften am ſtaͤrkſten ſind:
dahingegen bey andern, wo Triebfedern fehlen,
wo die Wirkſamkeit der Seele an und fuͤr ſich
klein iſt, eben dieſe Leidenſchaften nuͤtzlich ſeyn
koͤnnen.
Drittens. Gute Koͤpfe haben ſelten eine ge-
wiſſe Art von ſo anhaltendem, und, wenn ich ſo
ſagen darf, ſklaviſchem Fleiße. Sie unterrichten
noch weit lieber ſich ſelbſt, als ſie ſich unterrich-
ten laſſen, und ihre Seele beſchaͤftigt ſich lieber
damit, ſelbſt Begriffe hervorzubringen, als ſie
bloß einzuſammeln. — So richtig dieſe Bemer-
kung iſt, ſo wuͤrde ſie verfuͤhren koͤnnen, wenn
man ſie nicht gehoͤrig einſchraͤnkte. Zuerſt alſo
ſteht der Grundſatz feſt: Ohne fortgeſezte und
vielfaͤltige Uebung, und ohne eine Erlangung von
mannichfaltigen Kenntniſſen, kann keine einzige
Faͤhigkeit des menſchlichen Geiſtes, und wenn ſie
auch von der eigentlichen Gelehrſamkeit noch ſo
entfernt waͤre, zur Vollkommenheit gelangen.
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/108>, abgerufen am 23.11.2024.
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