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Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889.

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Chemisches Verhalten der Seide. Es ist durchaus notwendig, sich
zuvor darüber zu verständigen, was man unter "Seide" verstanden wissen
will; eine vollkommen entschälte Seide zeigt natürlich ein ganz anderes Ver-
halten, wie die Rohseide oder die Soupleseide. Da ich die Eigenschaften
der Rohseide bereits S. 39 näher besprochen, will ich hier vom Verhalten
der entschälten Seide sprechen. -- Kaltes Wasser übt keinen Einfluß
auf die Seide, selbst bei längerem Kochen ist sie darin völlig unlöslich.
Dagegen wird mit Wasser befeuchtete Seide bei beständigem längerem Luft-
zutritt etwas löslich
, infolge Aufnahme der Bestandteile von Wasser
und Luft in den Fibroinkörper unter Bildung von Seidenleim. -- Alkohol
wird von der Seide begierig aufgesogen und hartnäckig festgehalten, es tritt
jedoch keine Lösung der Seide ein. -- Säuren, besonders konzentrierte
und beim Erwärmen, lösen oder zerstören die Seide. Kochende Salzsäure
von gewöhnlicher Stärke löst die Seide rasch und vollkommen (Unterschied
von Wolle); Salzsäuregas zerstört die Faser, ohne zu lösen; stark ver-
dünnte Salzsäure wirkt wenig oder gar nicht ein. Starke Salpeter-
säure
zerstört rasch und vollständig, verdünnte bewirkt nur Gelbfärbung
infolge Bildung von Xanthoproteinsäure. Konzentrierte Schwefelsäure
löst die Seide zu einem braunen Sirup auf, welcher sich in Wasser klar
löst; verdünnte wirkt fast gar nicht ein. Schweflige Säure, am besten
in Dampfform, bleicht die Seidenfaser. Eine kalt gesättigte, dann mit dem
gleichen Volumen Wasser verdünnte Chromsäurelösung löst die Seide
nach 1 Minute langem Kochen unter Oxydation vollständig auf (v. Höhnel).
Eisessig *), geschmolzene Oxalsäure und Zitronensäure lösen nach Lidow bei
höherer Temperatur die Seide leicht und vollkommen auf. -- Lösungen
von Alkalien
lösen die Seide bei genügender Konzentration und beim
Erwärmen rasch und vollständig; verdünnte alkalische Lösungen bewirken nur
ein Aufquellen der Seide unter teilweiser Lösung. Ammoniak wirkt selbst
beim Erhitzen nicht merklich ein. Aetzkalk in Lösung macht bei längerem
Behandeln die Seide brüchig und zerstört schließlich die Faser. -- Lösungen
von Alkalicarbonaten
wirken ähnlich wie die Aetzkalien, nur weit
schwächer; kohlensaures Ammoniak wirkt gar nicht ein. -- Chlor und die
löslichen Hypochlorite
zerstören die Seide leicht und schnell; sie dür-
fen
daher nicht zum Bleichen der Seide verwendet werden. Ab-
wechselnde Einwirkung einer stark verdünnten Hypochloritlösung und atmo-
sphärischer Luft bewirken keine Zerstörung der Faser, machen dieselbe viel-
mehr empfänglicher zur Aufnahme von Farbstoffen. Ich erlaube mir daran
zu erinnern, daß ein ähnliches Verhalten bei der Einwirkung von Wasser-
stoffsuperoxyd auf Cellulose beobachtet worden ist; auch im vorliegenden Falle
bewirkt wahrscheinlich das Chlor eine Abspaltung von Wasserstoff unter Bil-
dung von Oxyfibroin. -- Gewisse Metallsalze erleiden durch die Seide
eine teilweise Zersetzung. In diesem Punkte verhält sich die Seide der
Wolle ähnlich. Die Lösungen von Thonerde-, Zinn- und Eisensalzen wer-
den schon bei gewöhnlicher Temperatur (Unterschied von der Wolle) als
basischere, schwerer lösliche Verbindungen in der Faser eingelagert. Aehnlich
wie die Wolle, scheint auch die Seide dabei die Rolle einer schwachen Säure
zu spielen. Auf der Thatsache einer derartigen Zerlegung gewisser Metall-

*) Vergleiche meine Anschauungen über die Wirkung der Essigsäure bei Ge-
legenheit der Mulderschen Analysenresultate S. 34.

Chemiſches Verhalten der Seide. Es iſt durchaus notwendig, ſich
zuvor darüber zu verſtändigen, was man unter „Seide“ verſtanden wiſſen
will; eine vollkommen entſchälte Seide zeigt natürlich ein ganz anderes Ver-
halten, wie die Rohſeide oder die Soupleſeide. Da ich die Eigenſchaften
der Rohſeide bereits S. 39 näher beſprochen, will ich hier vom Verhalten
der entſchälten Seide ſprechen. — Kaltes Waſſer übt keinen Einfluß
auf die Seide, ſelbſt bei längerem Kochen iſt ſie darin völlig unlöslich.
Dagegen wird mit Waſſer befeuchtete Seide bei beſtändigem längerem Luft-
zutritt etwas löslich
, infolge Aufnahme der Beſtandteile von Waſſer
und Luft in den Fibroinkörper unter Bildung von Seidenleim. — Alkohol
wird von der Seide begierig aufgeſogen und hartnäckig feſtgehalten, es tritt
jedoch keine Löſung der Seide ein. — Säuren, beſonders konzentrierte
und beim Erwärmen, löſen oder zerſtören die Seide. Kochende Salzſäure
von gewöhnlicher Stärke löſt die Seide raſch und vollkommen (Unterſchied
von Wolle); Salzſäuregas zerſtört die Faſer, ohne zu löſen; ſtark ver-
dünnte Salzſäure wirkt wenig oder gar nicht ein. Starke Salpeter-
ſäure
zerſtört raſch und vollſtändig, verdünnte bewirkt nur Gelbfärbung
infolge Bildung von Xanthoproteïnſäure. Konzentrierte Schwefelſäure
löſt die Seide zu einem braunen Sirup auf, welcher ſich in Waſſer klar
löſt; verdünnte wirkt faſt gar nicht ein. Schweflige Säure, am beſten
in Dampfform, bleicht die Seidenfaſer. Eine kalt geſättigte, dann mit dem
gleichen Volumen Waſſer verdünnte Chromſäurelöſung löſt die Seide
nach 1 Minute langem Kochen unter Oxydation vollſtändig auf (v. Höhnel).
Eiseſſig *), geſchmolzene Oxalſäure und Zitronenſäure löſen nach Lidow bei
höherer Temperatur die Seide leicht und vollkommen auf. — Löſungen
von Alkalien
löſen die Seide bei genügender Konzentration und beim
Erwärmen raſch und vollſtändig; verdünnte alkaliſche Löſungen bewirken nur
ein Aufquellen der Seide unter teilweiſer Löſung. Ammoniak wirkt ſelbſt
beim Erhitzen nicht merklich ein. Aetzkalk in Löſung macht bei längerem
Behandeln die Seide brüchig und zerſtört ſchließlich die Faſer. — Löſungen
von Alkalicarbonaten
wirken ähnlich wie die Aetzkalien, nur weit
ſchwächer; kohlenſaures Ammoniak wirkt gar nicht ein. — Chlor und die
löslichen Hypochlorite
zerſtören die Seide leicht und ſchnell; ſie dür-
fen
daher nicht zum Bleichen der Seide verwendet werden. Ab-
wechſelnde Einwirkung einer ſtark verdünnten Hypochloritlöſung und atmo-
ſphäriſcher Luft bewirken keine Zerſtörung der Faſer, machen dieſelbe viel-
mehr empfänglicher zur Aufnahme von Farbſtoffen. Ich erlaube mir daran
zu erinnern, daß ein ähnliches Verhalten bei der Einwirkung von Waſſer-
ſtoffſuperoxyd auf Celluloſe beobachtet worden iſt; auch im vorliegenden Falle
bewirkt wahrſcheinlich das Chlor eine Abſpaltung von Waſſerſtoff unter Bil-
dung von Oxyfibroin. — Gewiſſe Metallſalze erleiden durch die Seide
eine teilweiſe Zerſetzung. In dieſem Punkte verhält ſich die Seide der
Wolle ähnlich. Die Löſungen von Thonerde-, Zinn- und Eiſenſalzen wer-
den ſchon bei gewöhnlicher Temperatur (Unterſchied von der Wolle) als
baſiſchere, ſchwerer lösliche Verbindungen in der Faſer eingelagert. Aehnlich
wie die Wolle, ſcheint auch die Seide dabei die Rolle einer ſchwachen Säure
zu ſpielen. Auf der Thatſache einer derartigen Zerlegung gewiſſer Metall-

*) Vergleiche meine Anſchauungen über die Wirkung der Eſſigſäure bei Ge-
legenheit der Mulderſchen Analyſenreſultate S. 34.
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[41/0067] Chemiſches Verhalten der Seide. Es iſt durchaus notwendig, ſich zuvor darüber zu verſtändigen, was man unter „Seide“ verſtanden wiſſen will; eine vollkommen entſchälte Seide zeigt natürlich ein ganz anderes Ver- halten, wie die Rohſeide oder die Soupleſeide. Da ich die Eigenſchaften der Rohſeide bereits S. 39 näher beſprochen, will ich hier vom Verhalten der entſchälten Seide ſprechen. — Kaltes Waſſer übt keinen Einfluß auf die Seide, ſelbſt bei längerem Kochen iſt ſie darin völlig unlöslich. Dagegen wird mit Waſſer befeuchtete Seide bei beſtändigem längerem Luft- zutritt etwas löslich, infolge Aufnahme der Beſtandteile von Waſſer und Luft in den Fibroinkörper unter Bildung von Seidenleim. — Alkohol wird von der Seide begierig aufgeſogen und hartnäckig feſtgehalten, es tritt jedoch keine Löſung der Seide ein. — Säuren, beſonders konzentrierte und beim Erwärmen, löſen oder zerſtören die Seide. Kochende Salzſäure von gewöhnlicher Stärke löſt die Seide raſch und vollkommen (Unterſchied von Wolle); Salzſäuregas zerſtört die Faſer, ohne zu löſen; ſtark ver- dünnte Salzſäure wirkt wenig oder gar nicht ein. Starke Salpeter- ſäure zerſtört raſch und vollſtändig, verdünnte bewirkt nur Gelbfärbung infolge Bildung von Xanthoproteïnſäure. Konzentrierte Schwefelſäure löſt die Seide zu einem braunen Sirup auf, welcher ſich in Waſſer klar löſt; verdünnte wirkt faſt gar nicht ein. Schweflige Säure, am beſten in Dampfform, bleicht die Seidenfaſer. Eine kalt geſättigte, dann mit dem gleichen Volumen Waſſer verdünnte Chromſäurelöſung löſt die Seide nach 1 Minute langem Kochen unter Oxydation vollſtändig auf (v. Höhnel). Eiseſſig *), geſchmolzene Oxalſäure und Zitronenſäure löſen nach Lidow bei höherer Temperatur die Seide leicht und vollkommen auf. — Löſungen von Alkalien löſen die Seide bei genügender Konzentration und beim Erwärmen raſch und vollſtändig; verdünnte alkaliſche Löſungen bewirken nur ein Aufquellen der Seide unter teilweiſer Löſung. Ammoniak wirkt ſelbſt beim Erhitzen nicht merklich ein. Aetzkalk in Löſung macht bei längerem Behandeln die Seide brüchig und zerſtört ſchließlich die Faſer. — Löſungen von Alkalicarbonaten wirken ähnlich wie die Aetzkalien, nur weit ſchwächer; kohlenſaures Ammoniak wirkt gar nicht ein. — Chlor und die löslichen Hypochlorite zerſtören die Seide leicht und ſchnell; ſie dür- fen daher nicht zum Bleichen der Seide verwendet werden. Ab- wechſelnde Einwirkung einer ſtark verdünnten Hypochloritlöſung und atmo- ſphäriſcher Luft bewirken keine Zerſtörung der Faſer, machen dieſelbe viel- mehr empfänglicher zur Aufnahme von Farbſtoffen. Ich erlaube mir daran zu erinnern, daß ein ähnliches Verhalten bei der Einwirkung von Waſſer- ſtoffſuperoxyd auf Celluloſe beobachtet worden iſt; auch im vorliegenden Falle bewirkt wahrſcheinlich das Chlor eine Abſpaltung von Waſſerſtoff unter Bil- dung von Oxyfibroin. — Gewiſſe Metallſalze erleiden durch die Seide eine teilweiſe Zerſetzung. In dieſem Punkte verhält ſich die Seide der Wolle ähnlich. Die Löſungen von Thonerde-, Zinn- und Eiſenſalzen wer- den ſchon bei gewöhnlicher Temperatur (Unterſchied von der Wolle) als baſiſchere, ſchwerer lösliche Verbindungen in der Faſer eingelagert. Aehnlich wie die Wolle, ſcheint auch die Seide dabei die Rolle einer ſchwachen Säure zu ſpielen. Auf der Thatſache einer derartigen Zerlegung gewiſſer Metall- *) Vergleiche meine Anſchauungen über die Wirkung der Eſſigſäure bei Ge- legenheit der Mulderſchen Analyſenreſultate S. 34.

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Zitationshilfe: Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889/67>, abgerufen am 24.11.2024.