leim" ein einheitlicher Körper ist, oder ob er aus verschiedenen Körpern zusammengesetzt ist. Für die Färberei ist der Seidenleim von Wichtigkeit, man wendet eine alkalische Lösung desselben, welche den Namen "Bastseife" führt, mit Vorliebe in der Seidenfärberei bei Verwendung von Teerfar- ben an.
Der Seidenleim oder das Sericin ist allem Anschein nach kein einheitlicher Körper. Die obige Angabe von 46 Prozent Gehalt der Roh- seide an Seidenleim stützt sich auf Untersuchungen von Mulder. Dieser fand in 100 Teilen Rohseide:
[Tabelle]
Ohne die Zahlen dieses Forschers direkt anzweifeln zu wollen, wollen mir die Angaben "leimgebende Substanz, Wachs, Fett, Harz und Albumin" nicht einleuchten. Das Sericin enthält Stickstoff, aber woher soll das Ei- weiß kommen? Schon Bolley hat die obigen Resultate als zweifelhaft hingestellt, und das um so mehr, als sie durch aufeinanderfolgende Extrak- tion mit heißem Wasser, absolutem Alkohol, Aether und heißer Essigsäure gewonnen sind. Mulder erhält danach in 100 Teilen:
[Tabelle]
Zur Charakteristik dieser Zahlen möge folgendes erwähnt sein: Kocht man Rohseide im Papinschen Topf oder unter Anwendung gespannten Dampfes aus, so verliert sie dadurch 28 bis 29 Prozent an Gewicht. Bei dem in der Verarbeitung der Seide üblichen "Abkochen" der Seide, welches dem Assouplieren vorausgeht, beträgt der Gewichtsverlust nur 20 bis 25 Pro- zent. Behandelt man die mit überhitztem Dampf behandelte Rohseide mit absolutem Alkohol und dann mit Aether (zur Entfernung von Fett, Gerb- säure, Farbstoffen), so entsteht ein weiterer Gewichtsverlust von 4 bis 5 Pro- zent und es bleiben circa 66 Prozent Fibroin zurück. Soweit wäre gegen die Mulderschen Zahlen nichts einzuwenden. Nun aber folgt die Behandlung mit heißer Essigsäure, welche einen weiteren Gewichtsverlust von 16,3 bis 16,5 involviert. Was hat denn die Essigsäure nun eigentlich gelöst? Fertig vorhandene leimgebende Substanz sicher nicht; diese hätte sich im Wasser gelöst. Es liegt fast die Vermutung nahe, daß dieser Verlust auf Kosten des Fibroins zu setzen ist. In der Litteratur findet sich nur eine einzige Notiz über die Wirkung der Essigsäure (kalten Eisessigs) auf Rohseide, aber nichts über die Einwirkung heißer auf das vom Sericin befreite Fibroin. Dabei möchte daran erinnert werden, daß einige Mineralsäuren schon bei großer Verdünnung und kalt die Seide vollauf zu lösen vermögen; auch
leim“ ein einheitlicher Körper iſt, oder ob er aus verſchiedenen Körpern zuſammengeſetzt iſt. Für die Färberei iſt der Seidenleim von Wichtigkeit, man wendet eine alkaliſche Löſung desſelben, welche den Namen „Baſtſeife“ führt, mit Vorliebe in der Seidenfärberei bei Verwendung von Teerfar- ben an.
Der Seidenleim oder das Sericin iſt allem Anſchein nach kein einheitlicher Körper. Die obige Angabe von 46 Prozent Gehalt der Roh- ſeide an Seidenleim ſtützt ſich auf Unterſuchungen von Mulder. Dieſer fand in 100 Teilen Rohſeide:
[Tabelle]
Ohne die Zahlen dieſes Forſchers direkt anzweifeln zu wollen, wollen mir die Angaben „leimgebende Subſtanz, Wachs, Fett, Harz und Albumin“ nicht einleuchten. Das Sericin enthält Stickſtoff, aber woher ſoll das Ei- weiß kommen? Schon Bolley hat die obigen Reſultate als zweifelhaft hingeſtellt, und das um ſo mehr, als ſie durch aufeinanderfolgende Extrak- tion mit heißem Waſſer, abſolutem Alkohol, Aether und heißer Eſſigſäure gewonnen ſind. Mulder erhält danach in 100 Teilen:
[Tabelle]
Zur Charakteriſtik dieſer Zahlen möge folgendes erwähnt ſein: Kocht man Rohſeide im Papinſchen Topf oder unter Anwendung geſpannten Dampfes aus, ſo verliert ſie dadurch 28 bis 29 Prozent an Gewicht. Bei dem in der Verarbeitung der Seide üblichen „Abkochen“ der Seide, welches dem Aſſouplieren vorausgeht, beträgt der Gewichtsverluſt nur 20 bis 25 Pro- zent. Behandelt man die mit überhitztem Dampf behandelte Rohſeide mit abſolutem Alkohol und dann mit Aether (zur Entfernung von Fett, Gerb- ſäure, Farbſtoffen), ſo entſteht ein weiterer Gewichtsverluſt von 4 bis 5 Pro- zent und es bleiben circa 66 Prozent Fibroin zurück. Soweit wäre gegen die Mulderſchen Zahlen nichts einzuwenden. Nun aber folgt die Behandlung mit heißer Eſſigſäure, welche einen weiteren Gewichtsverluſt von 16,3 bis 16,5 involviert. Was hat denn die Eſſigſäure nun eigentlich gelöſt? Fertig vorhandene leimgebende Subſtanz ſicher nicht; dieſe hätte ſich im Waſſer gelöſt. Es liegt faſt die Vermutung nahe, daß dieſer Verluſt auf Koſten des Fibroins zu ſetzen iſt. In der Litteratur findet ſich nur eine einzige Notiz über die Wirkung der Eſſigſäure (kalten Eiseſſigs) auf Rohſeide, aber nichts über die Einwirkung heißer auf das vom Sericin befreite Fibroin. Dabei möchte daran erinnert werden, daß einige Mineralſäuren ſchon bei großer Verdünnung und kalt die Seide vollauf zu löſen vermögen; auch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0060"n="34"/>
leim“ ein einheitlicher Körper iſt, oder ob er aus verſchiedenen Körpern<lb/>
zuſammengeſetzt iſt. Für die Färberei iſt der Seidenleim von Wichtigkeit,<lb/>
man wendet eine alkaliſche Löſung desſelben, welche den Namen „Baſtſeife“<lb/>
führt, mit Vorliebe in der Seidenfärberei bei Verwendung von Teerfar-<lb/>
ben an.</p><lb/><p>Der <hirendition="#g">Seidenleim</hi> oder das <hirendition="#g">Sericin</hi> iſt allem Anſchein nach kein<lb/>
einheitlicher Körper. Die obige Angabe von 46 Prozent Gehalt der Roh-<lb/>ſeide an Seidenleim ſtützt ſich auf Unterſuchungen von <hirendition="#g">Mulder</hi>. Dieſer<lb/>
fand in 100 Teilen Rohſeide:<lb/><table><row><cell/></row></table></p><p>Ohne die Zahlen dieſes Forſchers direkt anzweifeln zu wollen, wollen<lb/>
mir die Angaben „leimgebende Subſtanz, Wachs, Fett, Harz und Albumin“<lb/>
nicht einleuchten. Das Sericin enthält Stickſtoff, aber woher ſoll das Ei-<lb/>
weiß kommen? Schon <hirendition="#g">Bolley</hi> hat die obigen Reſultate als zweifelhaft<lb/>
hingeſtellt, und das um ſo mehr, als ſie durch aufeinanderfolgende Extrak-<lb/>
tion mit heißem Waſſer, abſolutem Alkohol, Aether und heißer Eſſigſäure<lb/>
gewonnen ſind. <hirendition="#g">Mulder</hi> erhält danach in 100 Teilen:<lb/><table><row><cell/></row></table></p><p>Zur Charakteriſtik dieſer Zahlen möge folgendes erwähnt ſein: Kocht<lb/>
man Rohſeide im <hirendition="#g">Papin</hi>ſchen Topf oder unter Anwendung geſpannten<lb/>
Dampfes aus, ſo verliert ſie dadurch 28 bis 29 Prozent an Gewicht. Bei<lb/>
dem in der Verarbeitung der Seide üblichen „Abkochen“ der Seide, welches<lb/>
dem Aſſouplieren vorausgeht, beträgt der Gewichtsverluſt nur 20 bis 25 Pro-<lb/>
zent. Behandelt man die mit überhitztem Dampf behandelte Rohſeide mit<lb/>
abſolutem Alkohol und dann mit Aether (zur Entfernung von Fett, Gerb-<lb/>ſäure, Farbſtoffen), ſo entſteht ein weiterer Gewichtsverluſt von 4 bis 5 Pro-<lb/>
zent und es bleiben circa 66 Prozent <hirendition="#g">Fibroin</hi> zurück. Soweit wäre gegen die<lb/><hirendition="#g">Mulder</hi>ſchen Zahlen nichts einzuwenden. Nun aber folgt die Behandlung<lb/>
mit heißer Eſſigſäure, welche einen weiteren Gewichtsverluſt von 16,3 bis<lb/>
16,5 involviert. Was hat denn die Eſſigſäure nun eigentlich gelöſt? Fertig<lb/>
vorhandene leimgebende Subſtanz ſicher nicht; dieſe hätte ſich im Waſſer<lb/>
gelöſt. Es liegt faſt die Vermutung nahe, daß dieſer Verluſt auf Koſten<lb/>
des Fibroins zu ſetzen iſt. In der Litteratur findet ſich nur eine einzige<lb/>
Notiz über die Wirkung der Eſſigſäure (kalten Eiseſſigs) auf Rohſeide, aber<lb/>
nichts über die Einwirkung heißer auf das vom Sericin befreite Fibroin.<lb/>
Dabei möchte daran erinnert werden, daß einige Mineralſäuren ſchon bei<lb/>
großer Verdünnung und kalt die Seide vollauf zu löſen vermögen; auch<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[34/0060]
leim“ ein einheitlicher Körper iſt, oder ob er aus verſchiedenen Körpern
zuſammengeſetzt iſt. Für die Färberei iſt der Seidenleim von Wichtigkeit,
man wendet eine alkaliſche Löſung desſelben, welche den Namen „Baſtſeife“
führt, mit Vorliebe in der Seidenfärberei bei Verwendung von Teerfar-
ben an.
Der Seidenleim oder das Sericin iſt allem Anſchein nach kein
einheitlicher Körper. Die obige Angabe von 46 Prozent Gehalt der Roh-
ſeide an Seidenleim ſtützt ſich auf Unterſuchungen von Mulder. Dieſer
fand in 100 Teilen Rohſeide:
Ohne die Zahlen dieſes Forſchers direkt anzweifeln zu wollen, wollen
mir die Angaben „leimgebende Subſtanz, Wachs, Fett, Harz und Albumin“
nicht einleuchten. Das Sericin enthält Stickſtoff, aber woher ſoll das Ei-
weiß kommen? Schon Bolley hat die obigen Reſultate als zweifelhaft
hingeſtellt, und das um ſo mehr, als ſie durch aufeinanderfolgende Extrak-
tion mit heißem Waſſer, abſolutem Alkohol, Aether und heißer Eſſigſäure
gewonnen ſind. Mulder erhält danach in 100 Teilen:
Zur Charakteriſtik dieſer Zahlen möge folgendes erwähnt ſein: Kocht
man Rohſeide im Papinſchen Topf oder unter Anwendung geſpannten
Dampfes aus, ſo verliert ſie dadurch 28 bis 29 Prozent an Gewicht. Bei
dem in der Verarbeitung der Seide üblichen „Abkochen“ der Seide, welches
dem Aſſouplieren vorausgeht, beträgt der Gewichtsverluſt nur 20 bis 25 Pro-
zent. Behandelt man die mit überhitztem Dampf behandelte Rohſeide mit
abſolutem Alkohol und dann mit Aether (zur Entfernung von Fett, Gerb-
ſäure, Farbſtoffen), ſo entſteht ein weiterer Gewichtsverluſt von 4 bis 5 Pro-
zent und es bleiben circa 66 Prozent Fibroin zurück. Soweit wäre gegen die
Mulderſchen Zahlen nichts einzuwenden. Nun aber folgt die Behandlung
mit heißer Eſſigſäure, welche einen weiteren Gewichtsverluſt von 16,3 bis
16,5 involviert. Was hat denn die Eſſigſäure nun eigentlich gelöſt? Fertig
vorhandene leimgebende Subſtanz ſicher nicht; dieſe hätte ſich im Waſſer
gelöſt. Es liegt faſt die Vermutung nahe, daß dieſer Verluſt auf Koſten
des Fibroins zu ſetzen iſt. In der Litteratur findet ſich nur eine einzige
Notiz über die Wirkung der Eſſigſäure (kalten Eiseſſigs) auf Rohſeide, aber
nichts über die Einwirkung heißer auf das vom Sericin befreite Fibroin.
Dabei möchte daran erinnert werden, daß einige Mineralſäuren ſchon bei
großer Verdünnung und kalt die Seide vollauf zu löſen vermögen; auch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889/60>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.