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Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889.

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Holzdeckel aufgelegt und über diesen eine starke wollene Decke (alter Woll-
sack oder dergl.) gelegt und endlich das Ganze 12 bis 24 Stunden der
Ruhe überlassen. Innerhalb dieser Zeit pflegt die faulige Gärung zu be-
ginnen*); die chemische Eigentümlichkeit des Fäulnisprozesses besteht in einem
völligen Zerfall der der Fäulnis verfallenen Substanz (hier der Kleie) unter
gleichzeitiger Entwickelung von Kohlensäure und Wasserstoff. Letzteres findet
namentlich in den Fällen statt, wo -- wie hier -- die Fäulnis ohne
Zutritt von atmosphärischem Sauerstoff stattfindet. Dieser Wasserstoff aber
wirkt kräftig reduzierend, indem er den Sauerstoff der organischen Verbindung
-- in diesem Falle des Indigos, des Waids -- angreift und sich mit dem-
selben zu Wasser verbindet, welches als solches abgespalten wird. Durch
diese Spaltung des Indicans wird das Indigblau des Waids in Freiheit
gesetzt. Gleichzeitig hiermit geht ein anderer Teil des entwickelten Wasser-
stoffes an den Indigo und das in Freiheit gesetzte Waid-Indigotin, und
bildet durch einfache Addition das Indigweiß:
[Formel 1] Indigblau Wasserstoff Indigweiß.

Der Zweck sämtlicher Indigoküpen und auch der Waidküpe
ist die Erzeugung von Indigweiß
. Eine solche Bildung von Indig-
weiß findet nur in Gegenwart von Alkalien statt. Diesem Zweck dient der
Kalkzusatz; ein Teil des Kalkes wird durch die entwickelte Kohlensäure in
löslichen kohlensauren Kalk übergeführt und findet sich als solcher im Küpen-
schlamme; ein anderer Teil löst sich zu Kalkwasser und dieses wiederum hält
das Indigweiß in Lösung. Eine Lösung von chemisch reinem Indigweiß in
Kalkwasser hat eine goldgelbe Farbe. Mehrfach wird behauptet, daß das
Indigweiß mit dem Kalk eine Verbindung eingehe, doch ist das keineswegs
erwiesen.

Das vorstehend Geschilderte ist der chemische Vorgang in der Waid-
küpe, welche mit dem sinnlich wahrnehmbaren Vorgang vollauf übereinstimmt.
Das Eintreten der Gärung kennzeichnet sich für das Auge durch das Auf-
treten von Gasblasen an der Oberfläche, für das Ohr durch ein eigentüm-
liches Geräusch, ähnlich einem leisen Kochen, verursacht durch das Loslösen,
Aufsteigen und Zerplatzen der Kohlensäureblasen; zugleich stellt sich ein eigen-
tümlicher ammoniakalischer Geruch ein. Daß der chemische Prozeß in der
eben erläuterten Weise wirklich vor sich geht, beweist das allmähliche Grünwerden
der anfangs blauen Flüssigkeit. Ist die Küpenbildung soweit vorgeschritten
oder "in Trieb gekommen", so wird eine weitere Portion Kalk zuge-
geben und das Ganze von neuem durchgekrückt; man nennt dieses das
Schärfen. Mit diesem Schärfen der Küpe muß in regelmäßigen Zwischen-
räumen fortgefahren werden und zwar in dem Maße, als die Umwandlung
von Indigblau in Indigweiß fortschreitet; man kann indessen auch den gan-
zen Kalk auf einmal zugeben ohne nennenswerten Schaden für die Küpe.
In demselben Maße geht die Farbe der Küpe aus dem Bläulichgrün in
Goldgelb über, es bilden sich beim Durchrühren der Küpe blaue Adern und
Streifen und auf der Oberfläche zeigt sich eine bläulich und kupferfarben
schillernde feine Haut, herrührend von der Oxydation von Indigweiß zu

*) Die faulige Gärung wird nach Fitz durch einen mikroskopischen Pilz, Ba-
cillus subtilis,
eingeleitet.

Holzdeckel aufgelegt und über dieſen eine ſtarke wollene Decke (alter Woll-
ſack oder dergl.) gelegt und endlich das Ganze 12 bis 24 Stunden der
Ruhe überlaſſen. Innerhalb dieſer Zeit pflegt die faulige Gärung zu be-
ginnen*); die chemiſche Eigentümlichkeit des Fäulnisprozeſſes beſteht in einem
völligen Zerfall der der Fäulnis verfallenen Subſtanz (hier der Kleie) unter
gleichzeitiger Entwickelung von Kohlenſäure und Waſſerſtoff. Letzteres findet
namentlich in den Fällen ſtatt, wo — wie hier — die Fäulnis ohne
Zutritt von atmoſphäriſchem Sauerſtoff ſtattfindet. Dieſer Waſſerſtoff aber
wirkt kräftig reduzierend, indem er den Sauerſtoff der organiſchen Verbindung
— in dieſem Falle des Indigos, des Waids — angreift und ſich mit dem-
ſelben zu Waſſer verbindet, welches als ſolches abgeſpalten wird. Durch
dieſe Spaltung des Indicans wird das Indigblau des Waids in Freiheit
geſetzt. Gleichzeitig hiermit geht ein anderer Teil des entwickelten Waſſer-
ſtoffes an den Indigo und das in Freiheit geſetzte Waid-Indigotin, und
bildet durch einfache Addition das Indigweiß:
[Formel 1] Indigblau Waſſerſtoff Indigweiß.

Der Zweck ſämtlicher Indigoküpen und auch der Waidküpe
iſt die Erzeugung von Indigweiß
. Eine ſolche Bildung von Indig-
weiß findet nur in Gegenwart von Alkalien ſtatt. Dieſem Zweck dient der
Kalkzuſatz; ein Teil des Kalkes wird durch die entwickelte Kohlenſäure in
löslichen kohlenſauren Kalk übergeführt und findet ſich als ſolcher im Küpen-
ſchlamme; ein anderer Teil löſt ſich zu Kalkwaſſer und dieſes wiederum hält
das Indigweiß in Löſung. Eine Löſung von chemiſch reinem Indigweiß in
Kalkwaſſer hat eine goldgelbe Farbe. Mehrfach wird behauptet, daß das
Indigweiß mit dem Kalk eine Verbindung eingehe, doch iſt das keineswegs
erwieſen.

Das vorſtehend Geſchilderte iſt der chemiſche Vorgang in der Waid-
küpe, welche mit dem ſinnlich wahrnehmbaren Vorgang vollauf übereinſtimmt.
Das Eintreten der Gärung kennzeichnet ſich für das Auge durch das Auf-
treten von Gasblaſen an der Oberfläche, für das Ohr durch ein eigentüm-
liches Geräuſch, ähnlich einem leiſen Kochen, verurſacht durch das Loslöſen,
Aufſteigen und Zerplatzen der Kohlenſäureblaſen; zugleich ſtellt ſich ein eigen-
tümlicher ammoniakaliſcher Geruch ein. Daß der chemiſche Prozeß in der
eben erläuterten Weiſe wirklich vor ſich geht, beweiſt das allmähliche Grünwerden
der anfangs blauen Flüſſigkeit. Iſt die Küpenbildung ſoweit vorgeſchritten
oder „in Trieb gekommen“, ſo wird eine weitere Portion Kalk zuge-
geben und das Ganze von neuem durchgekrückt; man nennt dieſes das
Schärfen. Mit dieſem Schärfen der Küpe muß in regelmäßigen Zwiſchen-
räumen fortgefahren werden und zwar in dem Maße, als die Umwandlung
von Indigblau in Indigweiß fortſchreitet; man kann indeſſen auch den gan-
zen Kalk auf einmal zugeben ohne nennenswerten Schaden für die Küpe.
In demſelben Maße geht die Farbe der Küpe aus dem Bläulichgrün in
Goldgelb über, es bilden ſich beim Durchrühren der Küpe blaue Adern und
Streifen und auf der Oberfläche zeigt ſich eine bläulich und kupferfarben
ſchillernde feine Haut, herrührend von der Oxydation von Indigweiß zu

*) Die faulige Gärung wird nach Fitz durch einen mikroſkopiſchen Pilz, Ba-
cillus subtilis,
eingeleitet.
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[541/0589] Holzdeckel aufgelegt und über dieſen eine ſtarke wollene Decke (alter Woll- ſack oder dergl.) gelegt und endlich das Ganze 12 bis 24 Stunden der Ruhe überlaſſen. Innerhalb dieſer Zeit pflegt die faulige Gärung zu be- ginnen *); die chemiſche Eigentümlichkeit des Fäulnisprozeſſes beſteht in einem völligen Zerfall der der Fäulnis verfallenen Subſtanz (hier der Kleie) unter gleichzeitiger Entwickelung von Kohlenſäure und Waſſerſtoff. Letzteres findet namentlich in den Fällen ſtatt, wo — wie hier — die Fäulnis ohne Zutritt von atmoſphäriſchem Sauerſtoff ſtattfindet. Dieſer Waſſerſtoff aber wirkt kräftig reduzierend, indem er den Sauerſtoff der organiſchen Verbindung — in dieſem Falle des Indigos, des Waids — angreift und ſich mit dem- ſelben zu Waſſer verbindet, welches als ſolches abgeſpalten wird. Durch dieſe Spaltung des Indicans wird das Indigblau des Waids in Freiheit geſetzt. Gleichzeitig hiermit geht ein anderer Teil des entwickelten Waſſer- ſtoffes an den Indigo und das in Freiheit geſetzte Waid-Indigotin, und bildet durch einfache Addition das Indigweiß: [FORMEL] Indigblau Waſſerſtoff Indigweiß. Der Zweck ſämtlicher Indigoküpen und auch der Waidküpe iſt die Erzeugung von Indigweiß. Eine ſolche Bildung von Indig- weiß findet nur in Gegenwart von Alkalien ſtatt. Dieſem Zweck dient der Kalkzuſatz; ein Teil des Kalkes wird durch die entwickelte Kohlenſäure in löslichen kohlenſauren Kalk übergeführt und findet ſich als ſolcher im Küpen- ſchlamme; ein anderer Teil löſt ſich zu Kalkwaſſer und dieſes wiederum hält das Indigweiß in Löſung. Eine Löſung von chemiſch reinem Indigweiß in Kalkwaſſer hat eine goldgelbe Farbe. Mehrfach wird behauptet, daß das Indigweiß mit dem Kalk eine Verbindung eingehe, doch iſt das keineswegs erwieſen. Das vorſtehend Geſchilderte iſt der chemiſche Vorgang in der Waid- küpe, welche mit dem ſinnlich wahrnehmbaren Vorgang vollauf übereinſtimmt. Das Eintreten der Gärung kennzeichnet ſich für das Auge durch das Auf- treten von Gasblaſen an der Oberfläche, für das Ohr durch ein eigentüm- liches Geräuſch, ähnlich einem leiſen Kochen, verurſacht durch das Loslöſen, Aufſteigen und Zerplatzen der Kohlenſäureblaſen; zugleich ſtellt ſich ein eigen- tümlicher ammoniakaliſcher Geruch ein. Daß der chemiſche Prozeß in der eben erläuterten Weiſe wirklich vor ſich geht, beweiſt das allmähliche Grünwerden der anfangs blauen Flüſſigkeit. Iſt die Küpenbildung ſoweit vorgeſchritten oder „in Trieb gekommen“, ſo wird eine weitere Portion Kalk zuge- geben und das Ganze von neuem durchgekrückt; man nennt dieſes das Schärfen. Mit dieſem Schärfen der Küpe muß in regelmäßigen Zwiſchen- räumen fortgefahren werden und zwar in dem Maße, als die Umwandlung von Indigblau in Indigweiß fortſchreitet; man kann indeſſen auch den gan- zen Kalk auf einmal zugeben ohne nennenswerten Schaden für die Küpe. In demſelben Maße geht die Farbe der Küpe aus dem Bläulichgrün in Goldgelb über, es bilden ſich beim Durchrühren der Küpe blaue Adern und Streifen und auf der Oberfläche zeigt ſich eine bläulich und kupferfarben ſchillernde feine Haut, herrührend von der Oxydation von Indigweiß zu *) Die faulige Gärung wird nach Fitz durch einen mikroſkopiſchen Pilz, Ba- cillus subtilis, eingeleitet.

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Zitationshilfe: Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889/589>, abgerufen am 22.11.2024.