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Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889.

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Die Gegner der chemischen Theorie machen den Einwurf, daß bei den
Wechselbeziehungen zwischen Faser und Farbstoff keine Verbindung derselben
nach chemischen Aequivalenten vor sich gehe und daß dabei die charakteristi-
schen Eigenschaften beider Komponenten nicht verschwinden.

Letzteres ist unbedingt nicht zuzugestehen; wohl verschwinden die charak-
teristischen Eigenschaften beider Komponenten nicht; dafür verschwindet aber
beim Beizen mit Metallsalzen nicht nur die charakteristische Eigenschaft des
einen Komponenten, sondern sogar dieser Komponent selbst scheinbar so voll-
ständig, daß er mit Hilfe der gewöhnlichen Reaktionen nicht einmal nachge-
wiesen werden kann. Und was den zweiten Komponenten, die Faser, be-
trifft, so erscheint deren physikalische Struktur allerdings in nichts ver-
ändert; damit ist jedoch noch ganz und gar nicht erwiesen, daß sich die
chemische Struktur der Faser, die Konstitution, nicht geändert habe. Die
fortschreitende Wissenschaft wird auch über das Wesen dieser noch völlig un-
gekannten Verbindungen Licht verbreiten und es wird sich dabei wieder der alte
Satz bewahrheiten: Gott hat Alles nach Zahl, Maß und Gewicht geschaffen.

Was schließlich den Einwand betrifft, daß eine Verbindung von Faser
und Farbstoff nach chemischen Aequivalenten nicht stattfinde, so dürfen hier die
das direkte Gegenteil beweisenden Untersuchungen Goppelsröders,
sowie die darauf fußenden weiteren Versuche des Verfassers dieses Buches
nicht unerwähnt bleiben. Dieselben bewegen sich zwar vorwiegend auf physi-
kalischem Gebiet. Um so interessanter ist es, aus diesen Arbeiten zu ersehen,
daß man auch auf einem vollständig anderen Wege zu dem Beweise gelangt,
daß zwischen Faser und Farbstoff ziffermäßig ausdrückbare Beziehungen
bestehen. Verfasser gibt in nachstehendem einen Auszug seiner in den
"Neueste Erfindungen und Erfahrungen" 1888, Nr. 1, enthaltenen Arbeit,
in welcher die Resultate und Literaturnachweise der Goppelsröderschen
Arbeiten namhaft gemacht sind. Die Arbeit ist unter dem Titel: "Ueber
die Kapillarität der Gespinnstfasern" erschienen.

Unter Kapillarität der Gespinnstfasern verstehe ich die Aufsaugungs-
fähigkeit, die Aufnahmekraft derselben in Hinsicht auf irgend welche Flüssig-
keiten. Sie bewirkt eine Durchfeuchtung, eine Durchnässung der Fasern oder
der daraus hergestellten Gewebe; diese Durchfeuchtung geschieht fast stets in
der Weise, daß die betreffenden Gewebefasern (Garne, Stoffe etc.) in die
fraglichen Flüssigkeiten eingetaucht und darin liegen gelassen werden. Dieses
Alles ist durchaus nicht neu; diese Prozedur wird in jedem Haushalte beim
Einweichen der Wäsche vorgenommen; dasselbe Verfahren befolgt der Färber,
wenn er seine Garne oder Tuche zum Färben in die Farbstofflösungen taucht.
Zweifellos bestehen zwischen den Gewebefasern und Flüssigkeiten irgend wel-
cher Art auch gewisse Beziehungen; aber der eben bezeichnete Modus des
Eintauchens ist nicht dazu angethan, diese Beziehungen aufzuklären.

Wesentlich anders gestaltet sich der Fall, wenn man die Gespinnstfasern
vertikal in die Flüssigkeit hängt, oder richtiger, in die Flüssigkeit tauchen läßt,
doch so, daß sie nur wenig, etwa 5 mm, in dieselbe eintauchen. Nun be-
ginnt das Aufsteigen der Flüssigkeit in den Kapillaren der Fasern, von dem
man sich am besten überzeugt, wenn man gefärbte Lösungen verwendet. Hier-
bei sind nun drei Momente ins Auge zu fassen:

1. Die Höhe, bis zu welcher die Farbstofflösung steigt;
2. die Geschwindigkeit, mit welcher sie steigt;

Die Gegner der chemiſchen Theorie machen den Einwurf, daß bei den
Wechſelbeziehungen zwiſchen Faſer und Farbſtoff keine Verbindung derſelben
nach chemiſchen Aequivalenten vor ſich gehe und daß dabei die charakteriſti-
ſchen Eigenſchaften beider Komponenten nicht verſchwinden.

Letzteres iſt unbedingt nicht zuzugeſtehen; wohl verſchwinden die charak-
teriſtiſchen Eigenſchaften beider Komponenten nicht; dafür verſchwindet aber
beim Beizen mit Metallſalzen nicht nur die charakteriſtiſche Eigenſchaft des
einen Komponenten, ſondern ſogar dieſer Komponent ſelbſt ſcheinbar ſo voll-
ſtändig, daß er mit Hilfe der gewöhnlichen Reaktionen nicht einmal nachge-
wieſen werden kann. Und was den zweiten Komponenten, die Faſer, be-
trifft, ſo erſcheint deren phyſikaliſche Struktur allerdings in nichts ver-
ändert; damit iſt jedoch noch ganz und gar nicht erwieſen, daß ſich die
chemiſche Struktur der Faſer, die Konſtitution, nicht geändert habe. Die
fortſchreitende Wiſſenſchaft wird auch über das Weſen dieſer noch völlig un-
gekannten Verbindungen Licht verbreiten und es wird ſich dabei wieder der alte
Satz bewahrheiten: Gott hat Alles nach Zahl, Maß und Gewicht geſchaffen.

Was ſchließlich den Einwand betrifft, daß eine Verbindung von Faſer
und Farbſtoff nach chemiſchen Aequivalenten nicht ſtattfinde, ſo dürfen hier die
das direkte Gegenteil beweiſenden Unterſuchungen Goppelsröders,
ſowie die darauf fußenden weiteren Verſuche des Verfaſſers dieſes Buches
nicht unerwähnt bleiben. Dieſelben bewegen ſich zwar vorwiegend auf phyſi-
kaliſchem Gebiet. Um ſo intereſſanter iſt es, aus dieſen Arbeiten zu erſehen,
daß man auch auf einem vollſtändig anderen Wege zu dem Beweiſe gelangt,
daß zwiſchen Faſer und Farbſtoff ziffermäßig ausdrückbare Beziehungen
beſtehen. Verfaſſer gibt in nachſtehendem einen Auszug ſeiner in den
„Neueſte Erfindungen und Erfahrungen“ 1888, Nr. 1, enthaltenen Arbeit,
in welcher die Reſultate und Literaturnachweiſe der Goppelsröderſchen
Arbeiten namhaft gemacht ſind. Die Arbeit iſt unter dem Titel: „Ueber
die Kapillarität der Geſpinnſtfaſern“ erſchienen.

Unter Kapillarität der Geſpinnſtfaſern verſtehe ich die Aufſaugungs-
fähigkeit, die Aufnahmekraft derſelben in Hinſicht auf irgend welche Flüſſig-
keiten. Sie bewirkt eine Durchfeuchtung, eine Durchnäſſung der Faſern oder
der daraus hergeſtellten Gewebe; dieſe Durchfeuchtung geſchieht faſt ſtets in
der Weiſe, daß die betreffenden Gewebefaſern (Garne, Stoffe ꝛc.) in die
fraglichen Flüſſigkeiten eingetaucht und darin liegen gelaſſen werden. Dieſes
Alles iſt durchaus nicht neu; dieſe Prozedur wird in jedem Haushalte beim
Einweichen der Wäſche vorgenommen; dasſelbe Verfahren befolgt der Färber,
wenn er ſeine Garne oder Tuche zum Färben in die Farbſtofflöſungen taucht.
Zweifellos beſtehen zwiſchen den Gewebefaſern und Flüſſigkeiten irgend wel-
cher Art auch gewiſſe Beziehungen; aber der eben bezeichnete Modus des
Eintauchens iſt nicht dazu angethan, dieſe Beziehungen aufzuklären.

Weſentlich anders geſtaltet ſich der Fall, wenn man die Geſpinnſtfaſern
vertikal in die Flüſſigkeit hängt, oder richtiger, in die Flüſſigkeit tauchen läßt,
doch ſo, daß ſie nur wenig, etwa 5 mm, in dieſelbe eintauchen. Nun be-
ginnt das Aufſteigen der Flüſſigkeit in den Kapillaren der Faſern, von dem
man ſich am beſten überzeugt, wenn man gefärbte Löſungen verwendet. Hier-
bei ſind nun drei Momente ins Auge zu faſſen:

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2. die Geſchwindigkeit, mit welcher ſie ſteigt;
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[492/0540] Die Gegner der chemiſchen Theorie machen den Einwurf, daß bei den Wechſelbeziehungen zwiſchen Faſer und Farbſtoff keine Verbindung derſelben nach chemiſchen Aequivalenten vor ſich gehe und daß dabei die charakteriſti- ſchen Eigenſchaften beider Komponenten nicht verſchwinden. Letzteres iſt unbedingt nicht zuzugeſtehen; wohl verſchwinden die charak- teriſtiſchen Eigenſchaften beider Komponenten nicht; dafür verſchwindet aber beim Beizen mit Metallſalzen nicht nur die charakteriſtiſche Eigenſchaft des einen Komponenten, ſondern ſogar dieſer Komponent ſelbſt ſcheinbar ſo voll- ſtändig, daß er mit Hilfe der gewöhnlichen Reaktionen nicht einmal nachge- wieſen werden kann. Und was den zweiten Komponenten, die Faſer, be- trifft, ſo erſcheint deren phyſikaliſche Struktur allerdings in nichts ver- ändert; damit iſt jedoch noch ganz und gar nicht erwieſen, daß ſich die chemiſche Struktur der Faſer, die Konſtitution, nicht geändert habe. Die fortſchreitende Wiſſenſchaft wird auch über das Weſen dieſer noch völlig un- gekannten Verbindungen Licht verbreiten und es wird ſich dabei wieder der alte Satz bewahrheiten: Gott hat Alles nach Zahl, Maß und Gewicht geſchaffen. Was ſchließlich den Einwand betrifft, daß eine Verbindung von Faſer und Farbſtoff nach chemiſchen Aequivalenten nicht ſtattfinde, ſo dürfen hier die das direkte Gegenteil beweiſenden Unterſuchungen Goppelsröders, ſowie die darauf fußenden weiteren Verſuche des Verfaſſers dieſes Buches nicht unerwähnt bleiben. Dieſelben bewegen ſich zwar vorwiegend auf phyſi- kaliſchem Gebiet. Um ſo intereſſanter iſt es, aus dieſen Arbeiten zu erſehen, daß man auch auf einem vollſtändig anderen Wege zu dem Beweiſe gelangt, daß zwiſchen Faſer und Farbſtoff ziffermäßig ausdrückbare Beziehungen beſtehen. Verfaſſer gibt in nachſtehendem einen Auszug ſeiner in den „Neueſte Erfindungen und Erfahrungen“ 1888, Nr. 1, enthaltenen Arbeit, in welcher die Reſultate und Literaturnachweiſe der Goppelsröderſchen Arbeiten namhaft gemacht ſind. Die Arbeit iſt unter dem Titel: „Ueber die Kapillarität der Geſpinnſtfaſern“ erſchienen. Unter Kapillarität der Geſpinnſtfaſern verſtehe ich die Aufſaugungs- fähigkeit, die Aufnahmekraft derſelben in Hinſicht auf irgend welche Flüſſig- keiten. Sie bewirkt eine Durchfeuchtung, eine Durchnäſſung der Faſern oder der daraus hergeſtellten Gewebe; dieſe Durchfeuchtung geſchieht faſt ſtets in der Weiſe, daß die betreffenden Gewebefaſern (Garne, Stoffe ꝛc.) in die fraglichen Flüſſigkeiten eingetaucht und darin liegen gelaſſen werden. Dieſes Alles iſt durchaus nicht neu; dieſe Prozedur wird in jedem Haushalte beim Einweichen der Wäſche vorgenommen; dasſelbe Verfahren befolgt der Färber, wenn er ſeine Garne oder Tuche zum Färben in die Farbſtofflöſungen taucht. Zweifellos beſtehen zwiſchen den Gewebefaſern und Flüſſigkeiten irgend wel- cher Art auch gewiſſe Beziehungen; aber der eben bezeichnete Modus des Eintauchens iſt nicht dazu angethan, dieſe Beziehungen aufzuklären. Weſentlich anders geſtaltet ſich der Fall, wenn man die Geſpinnſtfaſern vertikal in die Flüſſigkeit hängt, oder richtiger, in die Flüſſigkeit tauchen läßt, doch ſo, daß ſie nur wenig, etwa 5 mm, in dieſelbe eintauchen. Nun be- ginnt das Aufſteigen der Flüſſigkeit in den Kapillaren der Faſern, von dem man ſich am beſten überzeugt, wenn man gefärbte Löſungen verwendet. Hier- bei ſind nun drei Momente ins Auge zu faſſen: 1. Die Höhe, bis zu welcher die Farbſtofflöſung ſteigt; 2. die Geſchwindigkeit, mit welcher ſie ſteigt;

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Zitationshilfe: Ganswindt, Albert: Handbuch der Färberei und der damit verwandten vorbereitenden und vollendenden Gewerbe. Weimar, 1889, S. 492. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ganswindt_faerberei_1889/540>, abgerufen am 23.11.2024.