Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

in der Welt ihre Eigenheiten haben, und folglich
alle Mittel spezifisch sind. Was auf ein ganzes Ge-
schlecht auf diese Art wirkt, wirkt anderst auf ein
anderes Geschlecht. Brod ist ein allgemeines Nah-
rungsmittel für den Menschen; aber der Raubvogel
bricht es heraus; der Schierling betäubt die meisten
gesunden Thiere; aber er mästet die Geise; das Blat-
terngift, das Lustseuchengift, gewisse Arten anstecken-
der Seuchengifte sind nichts für die Thiere, so wie ge-
wisse Thiergifte nichts für den Menschen sind. -- Eben
so haben manche Dinge eine allgemeine Wirkung auf
mehrere Theile, obschon sie einen, oder mehrere bestimm-
te Theile ganz anderst zu verändern pflegen. Eine
Kälte, welche die Gefäße der Nase, der Ohren,
der Finger und der Zehen zerstöhrt, schadet dem em-
pfindlichen Auge noch nichts. Das Schlangengift
tödet den Menschen, wenn es unmittelbar in Kreis-
lauf kömmt; aber vermischt mit den Säften des Mun-
des, des Magens, der Gedärme bleibt es unschäd-
lich. -- Es ist geradezu unmöglich, daß ein Ding
auf verschiedene Theile, es seye dann, daß es von
derselben Lebenskraft überwältigt werde, einerley
Wirkung äussere. Der verschiedene Bau, die ver-
schiedenen Bestandtheile, die verschiedene Lebenskraft
und Reizbarkeit derselben haben nothwendiger Weise
eine verschiedene Ein- und Gegenwirkung zur Folge.
Das Mutterkorn erregt die Kriebelkrankheit und den
trocknen Brand der äussern Gliedmassen; der Pfeffer
erregt ein heftiges Brennen im Schlunde, aber nicht
das geringste im Magen; den Sehnerven reizt das

Licht
Xx 2

in der Welt ihre Eigenheiten haben, und folglich
alle Mittel ſpezifiſch ſind. Was auf ein ganzes Ge-
ſchlecht auf dieſe Art wirkt, wirkt anderſt auf ein
anderes Geſchlecht. Brod iſt ein allgemeines Nah-
rungsmittel fuͤr den Menſchen; aber der Raubvogel
bricht es heraus; der Schierling betaͤubt die meiſten
geſunden Thiere; aber er maͤſtet die Geiſe; das Blat-
terngift, das Luſtſeuchengift, gewiſſe Arten anſtecken-
der Seuchengifte ſind nichts fuͤr die Thiere, ſo wie ge-
wiſſe Thiergifte nichts fuͤr den Menſchen ſind. — Eben
ſo haben manche Dinge eine allgemeine Wirkung auf
mehrere Theile, obſchon ſie einen, oder mehrere beſtim̃-
te Theile ganz anderſt zu veraͤndern pflegen. Eine
Kaͤlte, welche die Gefaͤße der Naſe, der Ohren,
der Finger und der Zehen zerſtoͤhrt, ſchadet dem em-
pfindlichen Auge noch nichts. Das Schlangengift
toͤdet den Menſchen, wenn es unmittelbar in Kreis-
lauf koͤmmt; aber vermiſcht mit den Saͤften des Mun-
des, des Magens, der Gedaͤrme bleibt es unſchaͤd-
lich. — Es iſt geradezu unmoͤglich, daß ein Ding
auf verſchiedene Theile, es ſeye dann, daß es von
derſelben Lebenskraft uͤberwaͤltigt werde, einerley
Wirkung aͤuſſere. Der verſchiedene Bau, die ver-
ſchiedenen Beſtandtheile, die verſchiedene Lebenskraft
und Reizbarkeit derſelben haben nothwendiger Weiſe
eine verſchiedene Ein- und Gegenwirkung zur Folge.
Das Mutterkorn erregt die Kriebelkrankheit und den
trocknen Brand der aͤuſſern Gliedmaſſen; der Pfeffer
erregt ein heftiges Brennen im Schlunde, aber nicht
das geringſte im Magen; den Sehnerven reizt das

Licht
Xx 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0710" n="691"/>
in der Welt ihre Eigenheiten haben, und folglich<lb/>
alle Mittel &#x017F;pezifi&#x017F;ch &#x017F;ind. Was auf ein ganzes Ge-<lb/>
&#x017F;chlecht auf die&#x017F;e Art wirkt, wirkt ander&#x017F;t auf ein<lb/>
anderes Ge&#x017F;chlecht. Brod i&#x017F;t ein allgemeines Nah-<lb/>
rungsmittel fu&#x0364;r den Men&#x017F;chen; aber der Raubvogel<lb/>
bricht es heraus; der Schierling beta&#x0364;ubt die mei&#x017F;ten<lb/>
ge&#x017F;unden Thiere; aber er ma&#x0364;&#x017F;tet die Gei&#x017F;e; das Blat-<lb/>
terngift, das Lu&#x017F;t&#x017F;euchengift, gewi&#x017F;&#x017F;e Arten an&#x017F;tecken-<lb/>
der Seuchengifte &#x017F;ind nichts fu&#x0364;r die Thiere, &#x017F;o wie ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Thiergifte nichts fu&#x0364;r den Men&#x017F;chen &#x017F;ind. &#x2014; Eben<lb/>
&#x017F;o haben manche Dinge eine allgemeine Wirkung auf<lb/>
mehrere Theile, ob&#x017F;chon &#x017F;ie einen, oder mehrere be&#x017F;tim&#x0303;-<lb/>
te Theile ganz ander&#x017F;t zu vera&#x0364;ndern pflegen. Eine<lb/>
Ka&#x0364;lte, welche die Gefa&#x0364;ße der Na&#x017F;e, der Ohren,<lb/>
der Finger und der Zehen zer&#x017F;to&#x0364;hrt, &#x017F;chadet dem em-<lb/>
pfindlichen Auge noch nichts. Das Schlangengift<lb/>
to&#x0364;det den Men&#x017F;chen, wenn es unmittelbar in Kreis-<lb/>
lauf ko&#x0364;mmt; aber vermi&#x017F;cht mit den Sa&#x0364;ften des Mun-<lb/>
des, des Magens, der Geda&#x0364;rme bleibt es un&#x017F;cha&#x0364;d-<lb/>
lich. &#x2014; Es i&#x017F;t geradezu unmo&#x0364;glich, daß ein Ding<lb/>
auf ver&#x017F;chiedene Theile, es &#x017F;eye dann, daß es von<lb/>
der&#x017F;elben Lebenskraft u&#x0364;berwa&#x0364;ltigt werde, einerley<lb/>
Wirkung a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ere. Der ver&#x017F;chiedene Bau, die ver-<lb/>
&#x017F;chiedenen Be&#x017F;tandtheile, die ver&#x017F;chiedene Lebenskraft<lb/>
und Reizbarkeit der&#x017F;elben haben nothwendiger Wei&#x017F;e<lb/>
eine ver&#x017F;chiedene Ein- und Gegenwirkung zur Folge.<lb/>
Das Mutterkorn erregt die Kriebelkrankheit und den<lb/>
trocknen Brand der a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ern Gliedma&#x017F;&#x017F;en; der Pfeffer<lb/>
erregt ein heftiges Brennen im Schlunde, aber nicht<lb/>
das gering&#x017F;te im Magen; den Sehnerven reizt das<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Xx 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Licht</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[691/0710] in der Welt ihre Eigenheiten haben, und folglich alle Mittel ſpezifiſch ſind. Was auf ein ganzes Ge- ſchlecht auf dieſe Art wirkt, wirkt anderſt auf ein anderes Geſchlecht. Brod iſt ein allgemeines Nah- rungsmittel fuͤr den Menſchen; aber der Raubvogel bricht es heraus; der Schierling betaͤubt die meiſten geſunden Thiere; aber er maͤſtet die Geiſe; das Blat- terngift, das Luſtſeuchengift, gewiſſe Arten anſtecken- der Seuchengifte ſind nichts fuͤr die Thiere, ſo wie ge- wiſſe Thiergifte nichts fuͤr den Menſchen ſind. — Eben ſo haben manche Dinge eine allgemeine Wirkung auf mehrere Theile, obſchon ſie einen, oder mehrere beſtim̃- te Theile ganz anderſt zu veraͤndern pflegen. Eine Kaͤlte, welche die Gefaͤße der Naſe, der Ohren, der Finger und der Zehen zerſtoͤhrt, ſchadet dem em- pfindlichen Auge noch nichts. Das Schlangengift toͤdet den Menſchen, wenn es unmittelbar in Kreis- lauf koͤmmt; aber vermiſcht mit den Saͤften des Mun- des, des Magens, der Gedaͤrme bleibt es unſchaͤd- lich. — Es iſt geradezu unmoͤglich, daß ein Ding auf verſchiedene Theile, es ſeye dann, daß es von derſelben Lebenskraft uͤberwaͤltigt werde, einerley Wirkung aͤuſſere. Der verſchiedene Bau, die ver- ſchiedenen Beſtandtheile, die verſchiedene Lebenskraft und Reizbarkeit derſelben haben nothwendiger Weiſe eine verſchiedene Ein- und Gegenwirkung zur Folge. Das Mutterkorn erregt die Kriebelkrankheit und den trocknen Brand der aͤuſſern Gliedmaſſen; der Pfeffer erregt ein heftiges Brennen im Schlunde, aber nicht das geringſte im Magen; den Sehnerven reizt das Licht Xx 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/710
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 691. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/710>, abgerufen am 27.04.2024.