gleichgültig, oder sie sind vielmehr abgeneigt dagegen. Wenn sich das Kerker- und Lazarethfieber in die Län- ge zieht, mit einer langsamen und leisen Stimme, so haben die Kranken ein sonderbares Verlangen nach herzstärkenden Sachen, und nichts ist ihnen so ange- nehm und kräftig, als der Wein. In Gall-Faul- und Nervenfiebern sehnen sich die Kranken sehr oft nach kaltem, eißkaltem Wasser, nach frischer Luft: Dinge die man nur bey sehr wichtigen Gegenanzeigen versa- gen sollte. Diejenigen, so einen kritischen Schweiß bekommen, spüren, sobald dieser anfängt, bey der geringsten Berührung der freyen Luft, einen unange- nehmen, über den ganzen Körper laufenden Schauer, weßwegen sie sich selbst von allen Seiten aufs sorgfäl- tigste zudecken. Man verabscheut das Licht, das Ge- töse, je nachdem die Reitzbarkeit der Augen oder der Ohren überspannt ist. In einer allgemeinen Haut- wassefrucht gelüstete Resling bey Clerc nach der Frucht des Johannesbrodbaums (siliqua dulcis). Er aß im Anfang nur wenig; der Harn gieng häufiger; er aß mehr, und der Harn gieng von Tag zu Tag noch häufiger, so daß bald die ganze Geschwulst ge- fallen war. -- Es giebt wenige Mittel, welche die ausgedehnten Säfte und die erschlappten Gefäße bes- ser zusammen ziehen, als das kalte Wasser. Floyer erzählt von einer Frau, welche von einem Fieber mit Wahnsinn befallen war, und die sich in einen Brun- nen warf; sie erhielt gleich Erleichterung, und war bald geheilt. Eine andere sprang in der Raserey des heftigsten Fiebers in die Themse; sie wurde heraus-
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gleichguͤltig, oder ſie ſind vielmehr abgeneigt dagegen. Wenn ſich das Kerker- und Lazarethfieber in die Laͤn- ge zieht, mit einer langſamen und leiſen Stimme, ſo haben die Kranken ein ſonderbares Verlangen nach herzſtaͤrkenden Sachen, und nichts iſt ihnen ſo ange- nehm und kraͤftig, als der Wein. In Gall-Faul- und Nervenfiebern ſehnen ſich die Kranken ſehr oft nach kaltem, eißkaltem Waſſer, nach friſcher Luft: Dinge die man nur bey ſehr wichtigen Gegenanzeigen verſa- gen ſollte. Diejenigen, ſo einen kritiſchen Schweiß bekommen, ſpuͤren, ſobald dieſer anfaͤngt, bey der geringſten Beruͤhrung der freyen Luft, einen unange- nehmen, uͤber den ganzen Koͤrper laufenden Schauer, weßwegen ſie ſich ſelbſt von allen Seiten aufs ſorgfaͤl- tigſte zudecken. Man verabſcheut das Licht, das Ge- toͤſe, je nachdem die Reitzbarkeit der Augen oder der Ohren uͤberſpannt iſt. In einer allgemeinen Haut- waſſefrucht geluͤſtete Resling bey Clerc nach der Frucht des Johannesbrodbaums (ſiliqua dulcis). Er aß im Anfang nur wenig; der Harn gieng haͤufiger; er aß mehr, und der Harn gieng von Tag zu Tag noch haͤufiger, ſo daß bald die ganze Geſchwulſt ge- fallen war. — Es giebt wenige Mittel, welche die ausgedehnten Saͤfte und die erſchlappten Gefaͤße beſ- ſer zuſammen ziehen, als das kalte Waſſer. Floyer erzaͤhlt von einer Frau, welche von einem Fieber mit Wahnſinn befallen war, und die ſich in einen Brun- nen warf; ſie erhielt gleich Erleichterung, und war bald geheilt. Eine andere ſprang in der Raſerey des heftigſten Fiebers in die Themſe; ſie wurde heraus-
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gleichguͤltig, oder ſie ſind vielmehr abgeneigt dagegen.
Wenn ſich das Kerker- und Lazarethfieber in die Laͤn-
ge zieht, mit einer langſamen und leiſen Stimme,
ſo haben die Kranken ein ſonderbares Verlangen nach
herzſtaͤrkenden Sachen, und nichts iſt ihnen ſo ange-
nehm und kraͤftig, als der Wein. In Gall-Faul- und
Nervenfiebern ſehnen ſich die Kranken ſehr oft nach
kaltem, eißkaltem Waſſer, nach friſcher Luft: Dinge
die man nur bey ſehr wichtigen Gegenanzeigen verſa-
gen ſollte. Diejenigen, ſo einen kritiſchen Schweiß
bekommen, ſpuͤren, ſobald dieſer anfaͤngt, bey der
geringſten Beruͤhrung der freyen Luft, einen unange-
nehmen, uͤber den ganzen Koͤrper laufenden Schauer,
weßwegen ſie ſich ſelbſt von allen Seiten aufs ſorgfaͤl-
tigſte zudecken. Man verabſcheut das Licht, das Ge-
toͤſe, je nachdem die Reitzbarkeit der Augen oder der
Ohren uͤberſpannt iſt. In einer allgemeinen Haut-
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Frucht des Johannesbrodbaums (ſiliqua dulcis). Er
aß im Anfang nur wenig; der Harn gieng haͤufiger;
er aß mehr, und der Harn gieng von Tag zu Tag
noch haͤufiger, ſo daß bald die ganze Geſchwulſt ge-
fallen war. — Es giebt wenige Mittel, welche die
ausgedehnten Saͤfte und die erſchlappten Gefaͤße beſ-
ſer zuſammen ziehen, als das kalte Waſſer. Floyer
erzaͤhlt von einer Frau, welche von einem Fieber mit
Wahnſinn befallen war, und die ſich in einen Brun-
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 659. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/678>, abgerufen am 22.11.2024.
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