Seele erregt werden, setzt er einen vorbestimmten Mechanismus voraus, welcher durch den sinnlichen Reiz und die blinde Willkühr in den Gang gebracht wird. "So, sagt er, werden manche Insekten durch die widrige Empfindung von andern Thieren aufge- bracht, daß sie ihren Stachel hervorschieben, und damit stechen; oder durch den Geruch und das Ge- sicht gereizt, daß sie ihren Rüssel zur Speise auslas- sen, und damit saugen; oder durch Erkenntniß des andern Geschlechts entzündet, daß sie ihre Zeugungs- glieder hervorstrecken zur Parung; oder im Streite mit andern getrieben, daß sie ihre Wehr- und Fang- werkzeuge zum Schutze oder zur Haschung der Beute anwenden." Diesen vorbestimmten Mechanismus wird kein Naturkenner leugnen.
§. 17.
In wiefern die Seele in allen diesen Fällen mit- telst einer dunklen, wahren, täuschenden, nahen oder entfernten Vorhersehung wirksam werde, ist der Mü- he werth, genauer zu untersuchen; und, was an der Sache ist, nicht durch Metaphisische Machtsprüche, sondern durch physische Thatsachen zu bestimmen.
"Wenn die Thiere, sagt der nämliche Reimarus, durch eine innere Empfindung getrieben werden, etwas zu thun, welches ihnen oder ihrer Brut künftig nützlich seyn wird, so folgt nicht, daß sie deßwegen eine Ein- sicht ins Zukünftige haben. Wenn man sagt, daß das blinde innere Gefühl des Hungers und der Brunst die Thiere zum Essen und zur Begattung treibe; schreibt
man
Seele erregt werden, ſetzt er einen vorbeſtimmten Mechanismus voraus, welcher durch den ſinnlichen Reiz und die blinde Willkuͤhr in den Gang gebracht wird. „So, ſagt er, werden manche Inſekten durch die widrige Empfindung von andern Thieren aufge- bracht, daß ſie ihren Stachel hervorſchieben, und damit ſtechen; oder durch den Geruch und das Ge- ſicht gereizt, daß ſie ihren Ruͤſſel zur Speiſe auslaſ- ſen, und damit ſaugen; oder durch Erkenntniß des andern Geſchlechts entzuͤndet, daß ſie ihre Zeugungs- glieder hervorſtrecken zur Parung; oder im Streite mit andern getrieben, daß ſie ihre Wehr- und Fang- werkzeuge zum Schutze oder zur Haſchung der Beute anwenden.“ Dieſen vorbeſtimmten Mechanismus wird kein Naturkenner leugnen.
§. 17.
In wiefern die Seele in allen dieſen Faͤllen mit- telſt einer dunklen, wahren, taͤuſchenden, nahen oder entfernten Vorherſehung wirkſam werde, iſt der Muͤ- he werth, genauer zu unterſuchen; und, was an der Sache iſt, nicht durch Metaphiſiſche Machtſpruͤche, ſondern durch phyſiſche Thatſachen zu beſtimmen.
„Wenn die Thiere, ſagt der naͤmliche Reimarus, durch eine innere Empfindung getrieben werden, etwas zu thun, welches ihnen oder ihrer Brut kuͤnftig nuͤtzlich ſeyn wird, ſo folgt nicht, daß ſie deßwegen eine Ein- ſicht ins Zukuͤnftige haben. Wenn man ſagt, daß das blinde innere Gefuͤhl des Hungers und der Brunſt die Thiere zum Eſſen und zur Begattung treibe; ſchreibt
man
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0064"n="45"/>
Seele erregt werden, ſetzt er einen vorbeſtimmten<lb/>
Mechanismus voraus, welcher durch den ſinnlichen<lb/>
Reiz und die blinde Willkuͤhr in den Gang gebracht<lb/>
wird. „So, ſagt er, werden manche Inſekten durch<lb/>
die widrige Empfindung von andern Thieren aufge-<lb/>
bracht, daß ſie ihren Stachel hervorſchieben, und<lb/>
damit ſtechen; oder durch den Geruch und das Ge-<lb/>ſicht gereizt, daß ſie ihren Ruͤſſel zur Speiſe auslaſ-<lb/>ſen, und damit ſaugen; oder durch Erkenntniß des<lb/>
andern Geſchlechts entzuͤndet, daß ſie ihre Zeugungs-<lb/>
glieder hervorſtrecken zur Parung; oder im Streite<lb/>
mit andern getrieben, daß ſie ihre Wehr- und Fang-<lb/>
werkzeuge zum Schutze oder zur Haſchung der Beute<lb/>
anwenden.“ Dieſen vorbeſtimmten Mechanismus<lb/>
wird kein Naturkenner leugnen.</p><lb/><divn="4"><head>§. 17.</head><lb/><p>In wiefern die Seele in allen dieſen Faͤllen mit-<lb/>
telſt einer dunklen, wahren, taͤuſchenden, nahen oder<lb/>
entfernten Vorherſehung wirkſam werde, iſt der Muͤ-<lb/>
he werth, genauer zu unterſuchen; und, was an der<lb/>
Sache iſt, nicht durch Metaphiſiſche Machtſpruͤche,<lb/>ſondern durch phyſiſche Thatſachen zu beſtimmen.</p><lb/><p>„Wenn die Thiere, ſagt der naͤmliche <hirendition="#fr">Reimarus</hi>,<lb/>
durch eine innere Empfindung getrieben werden, etwas<lb/>
zu thun, welches ihnen oder ihrer Brut kuͤnftig nuͤtzlich<lb/>ſeyn wird, ſo folgt nicht, daß ſie deßwegen eine Ein-<lb/>ſicht ins Zukuͤnftige haben. Wenn man ſagt, daß<lb/>
das blinde innere Gefuͤhl des Hungers und der Brunſt<lb/>
die Thiere zum Eſſen und zur Begattung treibe; ſchreibt<lb/><fwplace="bottom"type="catch">man</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[45/0064]
Seele erregt werden, ſetzt er einen vorbeſtimmten
Mechanismus voraus, welcher durch den ſinnlichen
Reiz und die blinde Willkuͤhr in den Gang gebracht
wird. „So, ſagt er, werden manche Inſekten durch
die widrige Empfindung von andern Thieren aufge-
bracht, daß ſie ihren Stachel hervorſchieben, und
damit ſtechen; oder durch den Geruch und das Ge-
ſicht gereizt, daß ſie ihren Ruͤſſel zur Speiſe auslaſ-
ſen, und damit ſaugen; oder durch Erkenntniß des
andern Geſchlechts entzuͤndet, daß ſie ihre Zeugungs-
glieder hervorſtrecken zur Parung; oder im Streite
mit andern getrieben, daß ſie ihre Wehr- und Fang-
werkzeuge zum Schutze oder zur Haſchung der Beute
anwenden.“ Dieſen vorbeſtimmten Mechanismus
wird kein Naturkenner leugnen.
§. 17.
In wiefern die Seele in allen dieſen Faͤllen mit-
telſt einer dunklen, wahren, taͤuſchenden, nahen oder
entfernten Vorherſehung wirkſam werde, iſt der Muͤ-
he werth, genauer zu unterſuchen; und, was an der
Sache iſt, nicht durch Metaphiſiſche Machtſpruͤche,
ſondern durch phyſiſche Thatſachen zu beſtimmen.
„Wenn die Thiere, ſagt der naͤmliche Reimarus,
durch eine innere Empfindung getrieben werden, etwas
zu thun, welches ihnen oder ihrer Brut kuͤnftig nuͤtzlich
ſeyn wird, ſo folgt nicht, daß ſie deßwegen eine Ein-
ſicht ins Zukuͤnftige haben. Wenn man ſagt, daß
das blinde innere Gefuͤhl des Hungers und der Brunſt
die Thiere zum Eſſen und zur Begattung treibe; ſchreibt
man
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/64>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.