Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

die Hand noch wie gestern. Hatte sich die Kranke
mit vieler Anstrengung, was ich ihr untersagte, auf-
gerichtet, so mußte sie husten, und fiel mit Gewalt
auf den Rücken zurück. Dieses war der vierte Tag.

Ich verordnete zwey Unzen Tamarindenmark,
eine halbe Unze Wundersalz, zehn Tropfen Salpeter-
geist mit einem säuerlichten Saft; und ließ das übri-
ge im Alten, nur daß die vorige Arzney weg blieb,
weil sie ihr jetzt zuwider war. Nachts fand ich sie kraft-
los hingestreckt mit starkem Schluchzen, Würgen und
leerem Erbrechen; sie konnte weder den Kopf noch ei-
ne Hand aufheben; der Kopf heiß, das Gesicht toden-
artig eingefallen, blaßgelb; sie hörte und sah nichts,
verdrehte die Augen gräßlich ein- und aufwärts,
schnappte, wie ein Sterbender mit dem Munde; der
Mund war trocken heiß; sie leckte gierig nach Feuchtig-
keit, konnte aber wegen unabläßlicher Schnürung des
Halses keinen Tropfen hinabschlücken; endlich schlug sie
die Arme auseinander und schrie mit gebrochner Stim-
me: Ich kann nicht bleiben! der Bauch hart, hoch
aufgetrieben, gespannt, so schmerzhaft, daß sie jäm-
merlich schrie; diese Schmerzen nahmen auf mein
Befühlen des Bauches auf einen schrecklichen Grad
zu; alle Klystieren traten zurück; Haut und Wärme,
wie im gesündesten Menschen. Sie kam noch vor Mit-
ternacht zu sich, wollte mich bey der Hand nehmen,
war aber zu schwach. Ich verschrieb Bibergeilwasser
mit dem Hoffmannischen schmerzstillenden Geist; ein
Pflaster von Theriack über den ganzen Bauch und Ma-
gen, und darüber einen Umschlag wie oben von Kamil-

len

die Hand noch wie geſtern. Hatte ſich die Kranke
mit vieler Anſtrengung, was ich ihr unterſagte, auf-
gerichtet, ſo mußte ſie huſten, und fiel mit Gewalt
auf den Ruͤcken zuruͤck. Dieſes war der vierte Tag.

Ich verordnete zwey Unzen Tamarindenmark,
eine halbe Unze Wunderſalz, zehn Tropfen Salpeter-
geiſt mit einem ſaͤuerlichten Saft; und ließ das uͤbri-
ge im Alten, nur daß die vorige Arzney weg blieb,
weil ſie ihr jetzt zuwider war. Nachts fand ich ſie kraft-
los hingeſtreckt mit ſtarkem Schluchzen, Wuͤrgen und
leerem Erbrechen; ſie konnte weder den Kopf noch ei-
ne Hand aufheben; der Kopf heiß, das Geſicht toden-
artig eingefallen, blaßgelb; ſie hoͤrte und ſah nichts,
verdrehte die Augen graͤßlich ein- und aufwaͤrts,
ſchnappte, wie ein Sterbender mit dem Munde; der
Mund war trocken heiß; ſie leckte gierig nach Feuchtig-
keit, konnte aber wegen unablaͤßlicher Schnuͤrung des
Halſes keinen Tropfen hinabſchluͤcken; endlich ſchlug ſie
die Arme auseinander und ſchrie mit gebrochner Stim-
me: Ich kann nicht bleiben! der Bauch hart, hoch
aufgetrieben, geſpannt, ſo ſchmerzhaft, daß ſie jaͤm-
merlich ſchrie; dieſe Schmerzen nahmen auf mein
Befuͤhlen des Bauches auf einen ſchrecklichen Grad
zu; alle Klyſtieren traten zuruͤck; Haut und Waͤrme,
wie im geſuͤndeſten Menſchen. Sie kam noch vor Mit-
ternacht zu ſich, wollte mich bey der Hand nehmen,
war aber zu ſchwach. Ich verſchrieb Bibergeilwaſſer
mit dem Hoffmanniſchen ſchmerzſtillenden Geiſt; ein
Pflaſter von Theriack uͤber den ganzen Bauch und Ma-
gen, und daruͤber einen Umſchlag wie oben von Kamil-

len
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0603" n="584"/>
die Hand noch wie ge&#x017F;tern. Hatte &#x017F;ich die Kranke<lb/>
mit vieler An&#x017F;trengung, was ich ihr unter&#x017F;agte, auf-<lb/>
gerichtet, &#x017F;o mußte &#x017F;ie hu&#x017F;ten, und fiel mit Gewalt<lb/>
auf den Ru&#x0364;cken zuru&#x0364;ck. Die&#x017F;es war der vierte Tag.</p><lb/>
            <p>Ich verordnete zwey Unzen Tamarindenmark,<lb/>
eine halbe Unze Wunder&#x017F;alz, zehn Tropfen Salpeter-<lb/>
gei&#x017F;t mit einem &#x017F;a&#x0364;uerlichten Saft; und ließ das u&#x0364;bri-<lb/>
ge im Alten, nur daß die vorige Arzney weg blieb,<lb/>
weil &#x017F;ie ihr jetzt zuwider war. Nachts fand ich &#x017F;ie kraft-<lb/>
los hinge&#x017F;treckt mit &#x017F;tarkem Schluchzen, Wu&#x0364;rgen und<lb/>
leerem Erbrechen; &#x017F;ie konnte weder den Kopf noch ei-<lb/>
ne Hand aufheben; der Kopf heiß, das Ge&#x017F;icht toden-<lb/>
artig eingefallen, blaßgelb; &#x017F;ie ho&#x0364;rte und &#x017F;ah nichts,<lb/>
verdrehte die Augen gra&#x0364;ßlich ein- und aufwa&#x0364;rts,<lb/>
&#x017F;chnappte, wie ein Sterbender mit dem Munde; der<lb/>
Mund war trocken heiß; &#x017F;ie leckte gierig nach Feuchtig-<lb/>
keit, konnte aber wegen unabla&#x0364;ßlicher Schnu&#x0364;rung des<lb/>
Hal&#x017F;es keinen Tropfen hinab&#x017F;chlu&#x0364;cken; endlich &#x017F;chlug &#x017F;ie<lb/>
die Arme auseinander und &#x017F;chrie mit gebrochner Stim-<lb/>
me: Ich kann nicht bleiben! der Bauch hart, hoch<lb/>
aufgetrieben, ge&#x017F;pannt, &#x017F;o &#x017F;chmerzhaft, daß &#x017F;ie ja&#x0364;m-<lb/>
merlich &#x017F;chrie; die&#x017F;e Schmerzen nahmen auf mein<lb/>
Befu&#x0364;hlen des Bauches auf einen &#x017F;chrecklichen Grad<lb/>
zu; alle Kly&#x017F;tieren traten zuru&#x0364;ck; Haut und Wa&#x0364;rme,<lb/>
wie im ge&#x017F;u&#x0364;nde&#x017F;ten Men&#x017F;chen. Sie kam noch vor Mit-<lb/>
ternacht zu &#x017F;ich, wollte mich bey der Hand nehmen,<lb/>
war aber zu &#x017F;chwach. Ich ver&#x017F;chrieb Bibergeilwa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
mit dem Hoffmanni&#x017F;chen &#x017F;chmerz&#x017F;tillenden Gei&#x017F;t; ein<lb/>
Pfla&#x017F;ter von Theriack u&#x0364;ber den ganzen Bauch und Ma-<lb/>
gen, und daru&#x0364;ber einen Um&#x017F;chlag wie oben von Kamil-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">len</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[584/0603] die Hand noch wie geſtern. Hatte ſich die Kranke mit vieler Anſtrengung, was ich ihr unterſagte, auf- gerichtet, ſo mußte ſie huſten, und fiel mit Gewalt auf den Ruͤcken zuruͤck. Dieſes war der vierte Tag. Ich verordnete zwey Unzen Tamarindenmark, eine halbe Unze Wunderſalz, zehn Tropfen Salpeter- geiſt mit einem ſaͤuerlichten Saft; und ließ das uͤbri- ge im Alten, nur daß die vorige Arzney weg blieb, weil ſie ihr jetzt zuwider war. Nachts fand ich ſie kraft- los hingeſtreckt mit ſtarkem Schluchzen, Wuͤrgen und leerem Erbrechen; ſie konnte weder den Kopf noch ei- ne Hand aufheben; der Kopf heiß, das Geſicht toden- artig eingefallen, blaßgelb; ſie hoͤrte und ſah nichts, verdrehte die Augen graͤßlich ein- und aufwaͤrts, ſchnappte, wie ein Sterbender mit dem Munde; der Mund war trocken heiß; ſie leckte gierig nach Feuchtig- keit, konnte aber wegen unablaͤßlicher Schnuͤrung des Halſes keinen Tropfen hinabſchluͤcken; endlich ſchlug ſie die Arme auseinander und ſchrie mit gebrochner Stim- me: Ich kann nicht bleiben! der Bauch hart, hoch aufgetrieben, geſpannt, ſo ſchmerzhaft, daß ſie jaͤm- merlich ſchrie; dieſe Schmerzen nahmen auf mein Befuͤhlen des Bauches auf einen ſchrecklichen Grad zu; alle Klyſtieren traten zuruͤck; Haut und Waͤrme, wie im geſuͤndeſten Menſchen. Sie kam noch vor Mit- ternacht zu ſich, wollte mich bey der Hand nehmen, war aber zu ſchwach. Ich verſchrieb Bibergeilwaſſer mit dem Hoffmanniſchen ſchmerzſtillenden Geiſt; ein Pflaſter von Theriack uͤber den ganzen Bauch und Ma- gen, und daruͤber einen Umſchlag wie oben von Kamil- len

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/603
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/603>, abgerufen am 24.11.2024.