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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Wenn dieses aber lächerlich ist, so ist es auch lächerlich,
daß die verschiedenen Sinne an verschiedenen Stellen
des Körpers angebracht sind; daß wir in jedem Thei-
le auf eine andere Art empfinden; daß der Schöpfer
das Denkwerkzeug, eben so wenig, als die Werkzeu-
ge der Empfindungen, auf einen einzigen Punkt zu-
sammengedrängt hat: denn Sehen und Hören sind eben
so gut Seelenfähigkeiten, als es die verschiedenen Vor-
stellungsarten sind. -- Warum will man nur diesen ver-
schiedene Werkzeuge oder Stellen streitig machen. Ist
es lächerlich, daß der Geist durch Abwechslung der
Vorstellungen ausruhen kann? Daß sowohl die äu-
ßern als innern Werkzeuge zum Theile in vollkomme-
ner Ruhe, und zum Theile in die gröste Thätigkeit
versezt seyn können, wie es in den Träumen, im Ir-
reseyn, und bey Nachtwandlern der Fall ist? Daß
bey einzelnen Verletzungen des Gehirns, auch einzel-
ne Fähigkeiten und einzelne Vorstellungen zerrüttet;
hingegen bey Hebung einzelner Hindernisse, einzelne
Fähigkeiten und Vorstellungen wieder erstattet werden?
Wenn alles dieses lächerlich ist, so ist es auch lächer-
lich, daß überhaupt eine im Verhältniß der Nerven
und des Körpers größere Gehirnmaße den Wirkungs-
kreis des Denkens erweitere, so wie die Verrichtun-
gen der Lungen durch eine weitere Brusthöle begün-
stigt werden; so ist es ferner lächerlich, daß verschiede-
ne Menschen, die zu den verschiedenen Bedürfnissen
des menschlichen Lebens erforderlichen verschiedene[n]
Anlagen nicht durch Uebung und Erziehung erhalten,
sondern ursprünglich von Mutterleibe aus mitbringen,

wie

Wenn dieſes aber laͤcherlich iſt, ſo iſt es auch laͤcherlich,
daß die verſchiedenen Sinne an verſchiedenen Stellen
des Koͤrpers angebracht ſind; daß wir in jedem Thei-
le auf eine andere Art empfinden; daß der Schoͤpfer
das Denkwerkzeug, eben ſo wenig, als die Werkzeu-
ge der Empfindungen, auf einen einzigen Punkt zu-
ſammengedraͤngt hat: denn Sehen und Hoͤren ſind eben
ſo gut Seelenfaͤhigkeiten, als es die verſchiedenen Vor-
ſtellungsarten ſind. — Warum will man nur dieſen ver-
ſchiedene Werkzeuge oder Stellen ſtreitig machen. Iſt
es laͤcherlich, daß der Geiſt durch Abwechslung der
Vorſtellungen ausruhen kann? Daß ſowohl die aͤu-
ßern als innern Werkzeuge zum Theile in vollkomme-
ner Ruhe, und zum Theile in die groͤſte Thaͤtigkeit
verſezt ſeyn koͤnnen, wie es in den Traͤumen, im Ir-
reſeyn, und bey Nachtwandlern der Fall iſt? Daß
bey einzelnen Verletzungen des Gehirns, auch einzel-
ne Faͤhigkeiten und einzelne Vorſtellungen zerruͤttet;
hingegen bey Hebung einzelner Hinderniſſe, einzelne
Faͤhigkeiten und Vorſtellungen wieder erſtattet werden?
Wenn alles dieſes laͤcherlich iſt, ſo iſt es auch laͤcher-
lich, daß uͤberhaupt eine im Verhaͤltniß der Nerven
und des Koͤrpers groͤßere Gehirnmaße den Wirkungs-
kreis des Denkens erweitere, ſo wie die Verrichtun-
gen der Lungen durch eine weitere Bruſthoͤle beguͤn-
ſtigt werden; ſo iſt es ferner laͤcherlich, daß verſchiede-
ne Menſchen, die zu den verſchiedenen Beduͤrfniſſen
des menſchlichen Lebens erforderlichen verſchiedene[n]
Anlagen nicht durch Uebung und Erziehung erhalten,
ſondern urſpruͤnglich von Mutterleibe aus mitbringen,

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[198/0217] Wenn dieſes aber laͤcherlich iſt, ſo iſt es auch laͤcherlich, daß die verſchiedenen Sinne an verſchiedenen Stellen des Koͤrpers angebracht ſind; daß wir in jedem Thei- le auf eine andere Art empfinden; daß der Schoͤpfer das Denkwerkzeug, eben ſo wenig, als die Werkzeu- ge der Empfindungen, auf einen einzigen Punkt zu- ſammengedraͤngt hat: denn Sehen und Hoͤren ſind eben ſo gut Seelenfaͤhigkeiten, als es die verſchiedenen Vor- ſtellungsarten ſind. — Warum will man nur dieſen ver- ſchiedene Werkzeuge oder Stellen ſtreitig machen. Iſt es laͤcherlich, daß der Geiſt durch Abwechslung der Vorſtellungen ausruhen kann? Daß ſowohl die aͤu- ßern als innern Werkzeuge zum Theile in vollkomme- ner Ruhe, und zum Theile in die groͤſte Thaͤtigkeit verſezt ſeyn koͤnnen, wie es in den Traͤumen, im Ir- reſeyn, und bey Nachtwandlern der Fall iſt? Daß bey einzelnen Verletzungen des Gehirns, auch einzel- ne Faͤhigkeiten und einzelne Vorſtellungen zerruͤttet; hingegen bey Hebung einzelner Hinderniſſe, einzelne Faͤhigkeiten und Vorſtellungen wieder erſtattet werden? Wenn alles dieſes laͤcherlich iſt, ſo iſt es auch laͤcher- lich, daß uͤberhaupt eine im Verhaͤltniß der Nerven und des Koͤrpers groͤßere Gehirnmaße den Wirkungs- kreis des Denkens erweitere, ſo wie die Verrichtun- gen der Lungen durch eine weitere Bruſthoͤle beguͤn- ſtigt werden; ſo iſt es ferner laͤcherlich, daß verſchiede- ne Menſchen, die zu den verſchiedenen Beduͤrfniſſen des menſchlichen Lebens erforderlichen verſchiedenen Anlagen nicht durch Uebung und Erziehung erhalten, ſondern urſpruͤnglich von Mutterleibe aus mitbringen, wie

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/217>, abgerufen am 04.05.2024.