Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Zwitter, und sie befruchten sich ihrer Zweye wechsel-
seitig; die Kröte Pipa streicht dem Weibchen den
Laich auf den Rücken, wälzt sich nachher selbst noch
rücklings drüber her, drückt dadurch die Eyerchen in
besondere Grübchen in der Haut fest, und befruchtet sie
hierauf mit ihrem Samen. Diese Eyerchen verwach-
sen nachher gleichsam mit der Haut der Mutter, bis
nach Verlauf von beynahe drey Monaten die darinn
befindlichen Jungen zum Ausbruche reif sind, und nach
einer kurzen Verwandlung den Rücken ihrer Mutter
verlassen können.*) Der Wurm und der Polip ver-
mehren sich aus ihren Trümmern. u. s. w.

Diese erstaunliche Abwechslung herrschet durch
die ganze Schöpfung. Ein und das nämliche Thier
z. B. mit zwanzig tausend Pflanzenarten zusammenge-
stellt, so ergeben sich daraus zwanzigtausend verschiedene
gegenseitige Verhältnisse. Wie vielfach aber durchkreu-
zen sich alle Erden, Metalle, Thiere, Pflanzen u.
s. w. und wie unendlich zahlreiche Verhältnisse sind
also wirklich gemacht worden!

Kehren wir aber von dieser allgemeinen Ueber-
sicht auf einzelne Gattungen zurück, so finden wir,
daß ihre Eigenschaften und Fähigkeiten im Vergleich
mit jenen des Menschengeschlechts noch immer sehr
eingeschränkt sind. Es scheint, die Natur habe im
Menschen theils vereinigen, theils vollenden wollen,
was sie in den übrigen Geschöpfen entweder nur stück-
weise zerstreuet, oder ganz vernachlässigt hat. Er

war
*) Blumenbachs Handbuch der Naturgeschichte [2]te Ansgabe
VI. Absch. S. 259.

Zwitter, und ſie befruchten ſich ihrer Zweye wechſel-
ſeitig; die Kroͤte Pipa ſtreicht dem Weibchen den
Laich auf den Ruͤcken, waͤlzt ſich nachher ſelbſt noch
ruͤcklings druͤber her, druͤckt dadurch die Eyerchen in
beſondere Gruͤbchen in der Haut feſt, und befruchtet ſie
hierauf mit ihrem Samen. Dieſe Eyerchen verwach-
ſen nachher gleichſam mit der Haut der Mutter, bis
nach Verlauf von beynahe drey Monaten die darinn
befindlichen Jungen zum Ausbruche reif ſind, und nach
einer kurzen Verwandlung den Ruͤcken ihrer Mutter
verlaſſen koͤnnen.*) Der Wurm und der Polip ver-
mehren ſich aus ihren Truͤmmern. u. ſ. w.

Dieſe erſtaunliche Abwechslung herrſchet durch
die ganze Schoͤpfung. Ein und das naͤmliche Thier
z. B. mit zwanzig tauſend Pflanzenarten zuſammenge-
ſtellt, ſo ergeben ſich daraus zwanzigtauſend verſchiedene
gegenſeitige Verhaͤltniſſe. Wie vielfach aber durchkreu-
zen ſich alle Erden, Metalle, Thiere, Pflanzen u.
ſ. w. und wie unendlich zahlreiche Verhaͤltniſſe ſind
alſo wirklich gemacht worden!

Kehren wir aber von dieſer allgemeinen Ueber-
ſicht auf einzelne Gattungen zuruͤck, ſo finden wir,
daß ihre Eigenſchaften und Faͤhigkeiten im Vergleich
mit jenen des Menſchengeſchlechts noch immer ſehr
eingeſchraͤnkt ſind. Es ſcheint, die Natur habe im
Menſchen theils vereinigen, theils vollenden wollen,
was ſie in den uͤbrigen Geſchoͤpfen entweder nur ſtuͤck-
weiſe zerſtreuet, oder ganz vernachlaͤſſigt hat. Er

war
*) Blumenbachs Handbuch der Naturgeſchichte [2]te Ansgabe
VI. Abſch. S. 259.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0154" n="135"/>
Zwitter, und &#x017F;ie befruchten &#x017F;ich ihrer Zweye wech&#x017F;el-<lb/>
&#x017F;eitig; die Kro&#x0364;te Pipa &#x017F;treicht dem Weibchen den<lb/>
Laich auf den Ru&#x0364;cken, wa&#x0364;lzt &#x017F;ich nachher &#x017F;elb&#x017F;t noch<lb/>
ru&#x0364;cklings dru&#x0364;ber her, dru&#x0364;ckt dadurch die Eyerchen in<lb/>
be&#x017F;ondere Gru&#x0364;bchen in der Haut fe&#x017F;t, und befruchtet &#x017F;ie<lb/>
hierauf mit ihrem Samen. Die&#x017F;e Eyerchen verwach-<lb/>
&#x017F;en nachher gleich&#x017F;am mit der Haut der Mutter, bis<lb/>
nach Verlauf von beynahe drey Monaten die darinn<lb/>
befindlichen Jungen zum Ausbruche reif &#x017F;ind, und nach<lb/>
einer kurzen Verwandlung den Ru&#x0364;cken ihrer Mutter<lb/>
verla&#x017F;&#x017F;en ko&#x0364;nnen.<note place="foot" n="*)">Blumenbachs Handbuch der Naturge&#x017F;chichte <supplied>2</supplied>te Ansgabe<lb/><hi rendition="#aq">VI.</hi> Ab&#x017F;ch. S. 259.</note> Der Wurm und der Polip ver-<lb/>
mehren &#x017F;ich aus ihren Tru&#x0364;mmern. u. &#x017F;. w.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e er&#x017F;taunliche Abwechslung herr&#x017F;chet durch<lb/>
die ganze Scho&#x0364;pfung. Ein und das na&#x0364;mliche Thier<lb/>
z. B. mit zwanzig tau&#x017F;end Pflanzenarten zu&#x017F;ammenge-<lb/>
&#x017F;tellt, &#x017F;o ergeben &#x017F;ich daraus zwanzigtau&#x017F;end ver&#x017F;chiedene<lb/>
gegen&#x017F;eitige Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e. Wie vielfach aber durchkreu-<lb/>
zen &#x017F;ich alle Erden, Metalle, Thiere, Pflanzen u.<lb/>
&#x017F;. w. und wie unendlich zahlreiche Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;ind<lb/>
al&#x017F;o wirklich gemacht worden!</p><lb/>
            <p>Kehren wir aber von die&#x017F;er allgemeinen Ueber-<lb/>
&#x017F;icht auf einzelne Gattungen zuru&#x0364;ck, &#x017F;o finden wir,<lb/>
daß ihre Eigen&#x017F;chaften und Fa&#x0364;higkeiten im Vergleich<lb/>
mit jenen des Men&#x017F;chenge&#x017F;chlechts noch immer &#x017F;ehr<lb/>
einge&#x017F;chra&#x0364;nkt &#x017F;ind. Es &#x017F;cheint, die Natur habe im<lb/>
Men&#x017F;chen theils vereinigen, theils vollenden wollen,<lb/>
was &#x017F;ie in den u&#x0364;brigen Ge&#x017F;cho&#x0364;pfen entweder nur &#x017F;tu&#x0364;ck-<lb/>
wei&#x017F;e zer&#x017F;treuet, oder ganz vernachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igt hat. Er<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">war</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0154] Zwitter, und ſie befruchten ſich ihrer Zweye wechſel- ſeitig; die Kroͤte Pipa ſtreicht dem Weibchen den Laich auf den Ruͤcken, waͤlzt ſich nachher ſelbſt noch ruͤcklings druͤber her, druͤckt dadurch die Eyerchen in beſondere Gruͤbchen in der Haut feſt, und befruchtet ſie hierauf mit ihrem Samen. Dieſe Eyerchen verwach- ſen nachher gleichſam mit der Haut der Mutter, bis nach Verlauf von beynahe drey Monaten die darinn befindlichen Jungen zum Ausbruche reif ſind, und nach einer kurzen Verwandlung den Ruͤcken ihrer Mutter verlaſſen koͤnnen. *) Der Wurm und der Polip ver- mehren ſich aus ihren Truͤmmern. u. ſ. w. Dieſe erſtaunliche Abwechslung herrſchet durch die ganze Schoͤpfung. Ein und das naͤmliche Thier z. B. mit zwanzig tauſend Pflanzenarten zuſammenge- ſtellt, ſo ergeben ſich daraus zwanzigtauſend verſchiedene gegenſeitige Verhaͤltniſſe. Wie vielfach aber durchkreu- zen ſich alle Erden, Metalle, Thiere, Pflanzen u. ſ. w. und wie unendlich zahlreiche Verhaͤltniſſe ſind alſo wirklich gemacht worden! Kehren wir aber von dieſer allgemeinen Ueber- ſicht auf einzelne Gattungen zuruͤck, ſo finden wir, daß ihre Eigenſchaften und Faͤhigkeiten im Vergleich mit jenen des Menſchengeſchlechts noch immer ſehr eingeſchraͤnkt ſind. Es ſcheint, die Natur habe im Menſchen theils vereinigen, theils vollenden wollen, was ſie in den uͤbrigen Geſchoͤpfen entweder nur ſtuͤck- weiſe zerſtreuet, oder ganz vernachlaͤſſigt hat. Er war *) Blumenbachs Handbuch der Naturgeſchichte 2te Ansgabe VI. Abſch. S. 259.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der erste Band von Franz Joseph Galls "Philosophi… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/154
Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/154>, abgerufen am 30.04.2024.