Was man übrigens immer von der Bildung des Menschen durch die Erziehung, und gegen die an- gebohrne Vernunft sagen mag, so bleibt es doch eine ewige Wahrheit, daß kein Thier und kein Mensch je etwas gelernt oder sonst sich zugeeignet habe, wozu er keine angebohrne Fähigkeit, keine natürliche Anla- ge hatte. Diese ursprüngliche Anlage ist bey allen Arten einer Gattung wesentlich einerley; aber sie ist durch die Organisation theils mehr oder weniger ge- bunden, theils aber auch mit bloß zufälligen Abwei- chungen vereinigt. Daher giebt es unter einerley Gattung Thiere so, wie unter den Menschen, sehr ver- schiedene Stufen ihrer Fähigkeiten. Wie sehr wei- chen die Eigenschaften der Hunde ab! und unter dem nämlichen Wurfe einer Hündin sind einige zu nichts, andere zu den vortreflichsten Jagd-Spur- oder Fang- hunden abzurichten. Aber man wird durch allen er- sinnlichen Fleiß aus dem Windspiele keinen Pudel zie- hen, so wenig als aus dem Fuchse oder dem Orang- outang einen Menschen; oder einen Dichter, Arzt, Feld- herrn, Handelsmann, wenn die angebohrnen Fähig- keiten mangeln oder den dazu erforderlichen Eigenschaf- ten widersprechen. So verschieden hier die Natur ih- re Geschenke ausgetheilt hat, so hat sie doch nie auf die Erhaltung eines jeden einzelnen Mitgliedes Ver- gessen. Was der Windhund durch sein scharfes Aug, und seine schnellen Füsse erwirbt, daß erwirbt der Dachs-
hund
§. 32. In Ruͤckſicht der angebornen Anlagen.
Was man uͤbrigens immer von der Bildung des Menſchen durch die Erziehung, und gegen die an- gebohrne Vernunft ſagen mag, ſo bleibt es doch eine ewige Wahrheit, daß kein Thier und kein Menſch je etwas gelernt oder ſonſt ſich zugeeignet habe, wozu er keine angebohrne Faͤhigkeit, keine natuͤrliche Anla- ge hatte. Dieſe urſpruͤngliche Anlage iſt bey allen Arten einer Gattung weſentlich einerley; aber ſie iſt durch die Organiſation theils mehr oder weniger ge- bunden, theils aber auch mit bloß zufaͤlligen Abwei- chungen vereinigt. Daher giebt es unter einerley Gattung Thiere ſo, wie unter den Menſchen, ſehr ver- ſchiedene Stufen ihrer Faͤhigkeiten. Wie ſehr wei- chen die Eigenſchaften der Hunde ab! und unter dem naͤmlichen Wurfe einer Huͤndin ſind einige zu nichts, andere zu den vortreflichſten Jagd-Spur- oder Fang- hunden abzurichten. Aber man wird durch allen er- ſinnlichen Fleiß aus dem Windſpiele keinen Pudel zie- hen, ſo wenig als aus dem Fuchſe oder dem Orang- outang einen Menſchen; oder einen Dichter, Arzt, Feld- herrn, Handelsmann, wenn die angebohrnen Faͤhig- keiten mangeln oder den dazu erforderlichen Eigenſchaf- ten widerſprechen. So verſchieden hier die Natur ih- re Geſchenke ausgetheilt hat, ſo hat ſie doch nie auf die Erhaltung eines jeden einzelnen Mitgliedes Ver- geſſen. Was der Windhund durch ſein ſcharfes Aug, und ſeine ſchnellen Fuͤſſe erwirbt, daß erwirbt der Dachs-
hund
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§. 32.
In Ruͤckſicht der angebornen Anlagen.
Was man uͤbrigens immer von der Bildung
des Menſchen durch die Erziehung, und gegen die an-
gebohrne Vernunft ſagen mag, ſo bleibt es doch eine
ewige Wahrheit, daß kein Thier und kein Menſch je
etwas gelernt oder ſonſt ſich zugeeignet habe, wozu
er keine angebohrne Faͤhigkeit, keine natuͤrliche Anla-
ge hatte. Dieſe urſpruͤngliche Anlage iſt bey allen
Arten einer Gattung weſentlich einerley; aber ſie iſt
durch die Organiſation theils mehr oder weniger ge-
bunden, theils aber auch mit bloß zufaͤlligen Abwei-
chungen vereinigt. Daher giebt es unter einerley
Gattung Thiere ſo, wie unter den Menſchen, ſehr ver-
ſchiedene Stufen ihrer Faͤhigkeiten. Wie ſehr wei-
chen die Eigenſchaften der Hunde ab! und unter dem
naͤmlichen Wurfe einer Huͤndin ſind einige zu nichts,
andere zu den vortreflichſten Jagd-Spur- oder Fang-
hunden abzurichten. Aber man wird durch allen er-
ſinnlichen Fleiß aus dem Windſpiele keinen Pudel zie-
hen, ſo wenig als aus dem Fuchſe oder dem Orang-
outang einen Menſchen; oder einen Dichter, Arzt, Feld-
herrn, Handelsmann, wenn die angebohrnen Faͤhig-
keiten mangeln oder den dazu erforderlichen Eigenſchaf-
ten widerſprechen. So verſchieden hier die Natur ih-
re Geſchenke ausgetheilt hat, ſo hat ſie doch nie auf
die Erhaltung eines jeden einzelnen Mitgliedes Ver-
geſſen. Was der Windhund durch ſein ſcharfes Aug,
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/147>, abgerufen am 23.11.2024.
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