mit dieser Wissenschaft begabt sind, sobald sie anfangen zu leben, als dieser, daß kein Thier unerfahren ist, wel- chen Gebrauch es von sich selbst machen solle. Ja, sagte der andere: das ist sehr undeutlich, dunkel und kaum zu erklären, wie ein junges Thier das verstehen könne: so müßen alle Thiere mit einer Vernunftkunst geboren werden, wenn sie das, was auch dem ge- scheutesten Römer unbegreiflich ist, zu erklären wüsten, Der Einwurf, erwiederte man, würde Grund haben, wenn man sagte, das die Thiere einen ausführlich deutlichen Begriff von ihrer wesentlichen Beschaffen- heit hätten. Denn diese läßt sich aus der Natur selbst leichter empfinden, als erklären. Es kennet nämlich ein Thier seine Beschaffenheit, aber worinnen sie ei- gentlich bestehe, weiß es nicht, es fühlet sich als ein lebendiges Thier, aber, was eigentlich ein lebendig Thier sey, davon hat es keinen Verstand. Wir Men- schen wissen doch, daß wir eine Seele haben, aber, was sie sey, daß ist uns unbekannt. Wie wir also eine Empfindung von unserer Seele haben, ob wir gleich ihre Natur, und ihren Sitz nicht einsehen; so haben auch alle Thiere eine Empfindung und eine (ob- gleich rohe und dunkle) Vorstellung von ihrer wesent- lichen Beschaffenheit. Denn sie müssen ja eine Em- pfindung von dem haben, dessen Regierung sie will- kührliche Folge leisten; wie ein jeder von uns sich be- wußt ist, daß etwas sey, welches seine Triebe in Be- wegung setzt, aber diese Triebfeder dennoch nicht kennt; sich seines Bemühens bewust ist, aber doch nicht weiß worinnen es bestehe, und woher es komme. -- Aber
auch
mit dieſer Wiſſenſchaft begabt ſind, ſobald ſie anfangen zu leben, als dieſer, daß kein Thier unerfahren iſt, wel- chen Gebrauch es von ſich ſelbſt machen ſolle. Ja, ſagte der andere: das iſt ſehr undeutlich, dunkel und kaum zu erklaͤren, wie ein junges Thier das verſtehen koͤnne: ſo muͤßen alle Thiere mit einer Vernunftkunſt geboren werden, wenn ſie das, was auch dem ge- ſcheuteſten Roͤmer unbegreiflich iſt, zu erklaͤren wuͤſten, Der Einwurf, erwiederte man, wuͤrde Grund haben, wenn man ſagte, das die Thiere einen ausfuͤhrlich deutlichen Begriff von ihrer weſentlichen Beſchaffen- heit haͤtten. Denn dieſe laͤßt ſich aus der Natur ſelbſt leichter empfinden, als erklaͤren. Es kennet naͤmlich ein Thier ſeine Beſchaffenheit, aber worinnen ſie ei- gentlich beſtehe, weiß es nicht, es fuͤhlet ſich als ein lebendiges Thier, aber, was eigentlich ein lebendig Thier ſey, davon hat es keinen Verſtand. Wir Men- ſchen wiſſen doch, daß wir eine Seele haben, aber, was ſie ſey, daß iſt uns unbekannt. Wie wir alſo eine Empfindung von unſerer Seele haben, ob wir gleich ihre Natur, und ihren Sitz nicht einſehen; ſo haben auch alle Thiere eine Empfindung und eine (ob- gleich rohe und dunkle) Vorſtellung von ihrer weſent- lichen Beſchaffenheit. Denn ſie muͤſſen ja eine Em- pfindung von dem haben, deſſen Regierung ſie will- kuͤhrliche Folge leiſten; wie ein jeder von uns ſich be- wußt iſt, daß etwas ſey, welches ſeine Triebe in Be- wegung ſetzt, aber dieſe Triebfeder dennoch nicht kennt; ſich ſeines Bemuͤhens bewuſt iſt, aber doch nicht weiß worinnen es beſtehe, und woher es komme. — Aber
auch
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mit dieſer Wiſſenſchaft begabt ſind, ſobald ſie anfangen
zu leben, als dieſer, daß kein Thier unerfahren iſt, wel-
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ſagte der andere: das iſt ſehr undeutlich, dunkel und
kaum zu erklaͤren, wie ein junges Thier das verſtehen
koͤnne: ſo muͤßen alle Thiere mit einer Vernunftkunſt
geboren werden, wenn ſie das, was auch dem ge-
ſcheuteſten Roͤmer unbegreiflich iſt, zu erklaͤren wuͤſten,
Der Einwurf, erwiederte man, wuͤrde Grund haben,
wenn man ſagte, das die Thiere einen ausfuͤhrlich
deutlichen Begriff von ihrer weſentlichen Beſchaffen-
heit haͤtten. Denn dieſe laͤßt ſich aus der Natur ſelbſt
leichter empfinden, als erklaͤren. Es kennet naͤmlich
ein Thier ſeine Beſchaffenheit, aber worinnen ſie ei-
gentlich beſtehe, weiß es nicht, es fuͤhlet ſich als ein
lebendiges Thier, aber, was eigentlich ein lebendig
Thier ſey, davon hat es keinen Verſtand. Wir Men-
ſchen wiſſen doch, daß wir eine Seele haben, aber,
was ſie ſey, daß iſt uns unbekannt. Wie wir alſo
eine Empfindung von unſerer Seele haben, ob wir
gleich ihre Natur, und ihren Sitz nicht einſehen; ſo
haben auch alle Thiere eine Empfindung und eine (ob-
gleich rohe und dunkle) Vorſtellung von ihrer weſent-
lichen Beſchaffenheit. Denn ſie muͤſſen ja eine Em-
pfindung von dem haben, deſſen Regierung ſie will-
kuͤhrliche Folge leiſten; wie ein jeder von uns ſich be-
wußt iſt, daß etwas ſey, welches ſeine Triebe in Be-
wegung ſetzt, aber dieſe Triebfeder dennoch nicht kennt;
ſich ſeines Bemuͤhens bewuſt iſt, aber doch nicht weiß
worinnen es beſtehe, und woher es komme. — Aber
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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/111>, abgerufen am 24.11.2024.
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