Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Bernhard, laß mir das Kind, bis meine Frau ihrem zweiten Kinde das Leben geschenkt hat -- in einem halben Jahre kannst du, bei meiner Ehre, es hier abholen.

Nein, nein! rief plötzlich Bernhard, sich wild die Haare aus der Stirn schüttelnd, nein, ich lasse es nicht -- ich will nicht einsam verzweifeln, während ihr hier glücklich seid auf meine Kosten.

Und ich, Bernhard, gebe auch nicht nach, sagte der Graf nun wieder eiskalt, indem er einen Bedienten rief und ihm befahl, das Kind wegzubringen, und als Bernhard es verhindern wollte, ihn selbst mit eisernem Griff am Arme hielt.

Noch einmal, Artmann, zwinge mich nicht zum Aenßersten.

Bernhard wollte den Griff des Hausherrn abschütteln, aber als dies der noch gegenwärtige Diener sah, wollte er seinem Herrn zu Hülfe eilen. Der Graf winkte ihm aber zurückzubleiben und sagte dann wieder weicher:

Geh, Artmann, geh jetzt!

Was sollte Bernhard thun? Er hob nur die Hände zum Himmel und rief bitter anklagend:

Und du siehst zu und duldest, daß man mir hier so begegnet?

Der Graf führte ihn mit sanfter Gewalt zur

Bernhard, laß mir das Kind, bis meine Frau ihrem zweiten Kinde das Leben geschenkt hat — in einem halben Jahre kannst du, bei meiner Ehre, es hier abholen.

Nein, nein! rief plötzlich Bernhard, sich wild die Haare aus der Stirn schüttelnd, nein, ich lasse es nicht — ich will nicht einsam verzweifeln, während ihr hier glücklich seid auf meine Kosten.

Und ich, Bernhard, gebe auch nicht nach, sagte der Graf nun wieder eiskalt, indem er einen Bedienten rief und ihm befahl, das Kind wegzubringen, und als Bernhard es verhindern wollte, ihn selbst mit eisernem Griff am Arme hielt.

Noch einmal, Artmann, zwinge mich nicht zum Aenßersten.

Bernhard wollte den Griff des Hausherrn abschütteln, aber als dies der noch gegenwärtige Diener sah, wollte er seinem Herrn zu Hülfe eilen. Der Graf winkte ihm aber zurückzubleiben und sagte dann wieder weicher:

Geh, Artmann, geh jetzt!

Was sollte Bernhard thun? Er hob nur die Hände zum Himmel und rief bitter anklagend:

Und du siehst zu und duldest, daß man mir hier so begegnet?

Der Graf führte ihn mit sanfter Gewalt zur

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="7">
        <p><pb facs="#f0069"/>
Bernhard, laß mir das Kind, bis meine Frau ihrem zweiten Kinde das      Leben geschenkt hat &#x2014; in einem halben Jahre kannst du, bei meiner Ehre, es hier abholen.</p><lb/>
        <p>Nein, nein! rief plötzlich Bernhard, sich wild die Haare aus der Stirn schüttelnd, nein, ich      lasse es nicht &#x2014; ich will nicht einsam verzweifeln, während ihr hier glücklich seid auf meine      Kosten.</p><lb/>
        <p>Und ich, Bernhard, gebe auch nicht nach, sagte der Graf nun wieder eiskalt, indem er einen      Bedienten rief und ihm befahl, das Kind wegzubringen, und als Bernhard es verhindern wollte,      ihn selbst mit eisernem Griff am Arme hielt.</p><lb/>
        <p>Noch einmal, Artmann, zwinge mich nicht zum Aenßersten.</p><lb/>
        <p>Bernhard wollte den Griff des Hausherrn abschütteln, aber als dies der noch gegenwärtige      Diener sah, wollte er seinem Herrn zu Hülfe eilen. Der Graf winkte ihm aber zurückzubleiben und      sagte dann wieder weicher:</p><lb/>
        <p>Geh, Artmann, geh jetzt!</p><lb/>
        <p>Was sollte Bernhard thun? Er hob nur die Hände zum Himmel und rief bitter anklagend:</p><lb/>
        <p>Und du siehst zu und duldest, daß man mir hier so begegnet?</p><lb/>
        <p>Der Graf führte ihn mit sanfter Gewalt zur<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0069] Bernhard, laß mir das Kind, bis meine Frau ihrem zweiten Kinde das Leben geschenkt hat — in einem halben Jahre kannst du, bei meiner Ehre, es hier abholen. Nein, nein! rief plötzlich Bernhard, sich wild die Haare aus der Stirn schüttelnd, nein, ich lasse es nicht — ich will nicht einsam verzweifeln, während ihr hier glücklich seid auf meine Kosten. Und ich, Bernhard, gebe auch nicht nach, sagte der Graf nun wieder eiskalt, indem er einen Bedienten rief und ihm befahl, das Kind wegzubringen, und als Bernhard es verhindern wollte, ihn selbst mit eisernem Griff am Arme hielt. Noch einmal, Artmann, zwinge mich nicht zum Aenßersten. Bernhard wollte den Griff des Hausherrn abschütteln, aber als dies der noch gegenwärtige Diener sah, wollte er seinem Herrn zu Hülfe eilen. Der Graf winkte ihm aber zurückzubleiben und sagte dann wieder weicher: Geh, Artmann, geh jetzt! Was sollte Bernhard thun? Er hob nur die Hände zum Himmel und rief bitter anklagend: Und du siehst zu und duldest, daß man mir hier so begegnet? Der Graf führte ihn mit sanfter Gewalt zur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:13:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:13:13Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/69
Zitationshilfe: Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/69>, abgerufen am 03.05.2024.