Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Nein, sagte Bernhard kalt, keinen Tag gebe ich das Kind fort. Ist die Gräfin kränker? frug Therese nun mit weichem Mitgefühl, ihr Kind, das sich vom Grafen zu ihr geflüchtet, fest an sich drückend. So krank und von den Seebädern und bangen Ahnungen so sehr aufgeregt, daß ihre Kammerjungfer gesagt hat, sie fürchte für ihren Verstand! Und wenn sie morgen ankommt und ihr Kind nur noch unter der Erde finden kann -- Therese trat, das Kind auf dem Arme, zu ihrem Manne und sagte mit zitternder Stimme: Wenn sie stirbt, sind wir ihre Mörder. Gieb das Kind mit -- wenn es die Mutter nicht für das ihrige erkennt, haben wir keine Schuld, erkennt sie es dafür, so mag sie sich einige Wochen an ihm erfreuen; dann will ich kommen und ihr die Wahrheit sagen, und sie wird sie ertragen mit Gottes Hülfe und wird mir mein Kind, das mir Gott schenkte und Gott ließ, zurückgeben. Bernhard -- lade kein Verbrechen auf unsere Seelen! Bernhard sagte nur trotzig, indem er sich abwandte: -- Du hast diesen Betrug zu verantworten, Therese, denn ein Betrug bleibt es immer! Aber thue, was du willst. Der Graf aber nahm seinen eigenen Mantel ab und schlug ihn um das Kind und bat Therese, ihm ihr Mädchen mitzugeben, von dem das Kind auch willig Nein, sagte Bernhard kalt, keinen Tag gebe ich das Kind fort. Ist die Gräfin kränker? frug Therese nun mit weichem Mitgefühl, ihr Kind, das sich vom Grafen zu ihr geflüchtet, fest an sich drückend. So krank und von den Seebädern und bangen Ahnungen so sehr aufgeregt, daß ihre Kammerjungfer gesagt hat, sie fürchte für ihren Verstand! Und wenn sie morgen ankommt und ihr Kind nur noch unter der Erde finden kann — Therese trat, das Kind auf dem Arme, zu ihrem Manne und sagte mit zitternder Stimme: Wenn sie stirbt, sind wir ihre Mörder. Gieb das Kind mit — wenn es die Mutter nicht für das ihrige erkennt, haben wir keine Schuld, erkennt sie es dafür, so mag sie sich einige Wochen an ihm erfreuen; dann will ich kommen und ihr die Wahrheit sagen, und sie wird sie ertragen mit Gottes Hülfe und wird mir mein Kind, das mir Gott schenkte und Gott ließ, zurückgeben. Bernhard — lade kein Verbrechen auf unsere Seelen! Bernhard sagte nur trotzig, indem er sich abwandte: — Du hast diesen Betrug zu verantworten, Therese, denn ein Betrug bleibt es immer! Aber thue, was du willst. Der Graf aber nahm seinen eigenen Mantel ab und schlug ihn um das Kind und bat Therese, ihm ihr Mädchen mitzugeben, von dem das Kind auch willig <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <pb facs="#f0035"/> <p>Nein, sagte Bernhard kalt, keinen Tag gebe ich das Kind fort.</p><lb/> <p>Ist die Gräfin kränker? frug Therese nun mit weichem Mitgefühl, ihr Kind, das sich vom Grafen zu ihr geflüchtet, fest an sich drückend.</p><lb/> <p>So krank und von den Seebädern und bangen Ahnungen so sehr aufgeregt, daß ihre Kammerjungfer gesagt hat, sie fürchte für ihren Verstand! Und wenn sie morgen ankommt und ihr Kind nur noch unter der Erde finden kann —</p><lb/> <p>Therese trat, das Kind auf dem Arme, zu ihrem Manne und sagte mit zitternder Stimme:</p><lb/> <p>Wenn sie stirbt, sind wir ihre Mörder. Gieb das Kind mit — wenn es die Mutter nicht für das ihrige erkennt, haben wir keine Schuld, erkennt sie es dafür, so mag sie sich einige Wochen an ihm erfreuen; dann will ich kommen und ihr die Wahrheit sagen, und sie wird sie ertragen mit Gottes Hülfe und wird mir mein Kind, das mir Gott schenkte und Gott ließ, zurückgeben. Bernhard — lade kein Verbrechen auf unsere Seelen!</p><lb/> <p>Bernhard sagte nur trotzig, indem er sich abwandte: — Du hast diesen Betrug zu verantworten, Therese, denn ein Betrug bleibt es immer! Aber thue, was du willst.</p><lb/> <p>Der Graf aber nahm seinen eigenen Mantel ab und schlug ihn um das Kind und bat Therese, ihm ihr Mädchen mitzugeben, von dem das Kind auch willig<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
Nein, sagte Bernhard kalt, keinen Tag gebe ich das Kind fort.
Ist die Gräfin kränker? frug Therese nun mit weichem Mitgefühl, ihr Kind, das sich vom Grafen zu ihr geflüchtet, fest an sich drückend.
So krank und von den Seebädern und bangen Ahnungen so sehr aufgeregt, daß ihre Kammerjungfer gesagt hat, sie fürchte für ihren Verstand! Und wenn sie morgen ankommt und ihr Kind nur noch unter der Erde finden kann —
Therese trat, das Kind auf dem Arme, zu ihrem Manne und sagte mit zitternder Stimme:
Wenn sie stirbt, sind wir ihre Mörder. Gieb das Kind mit — wenn es die Mutter nicht für das ihrige erkennt, haben wir keine Schuld, erkennt sie es dafür, so mag sie sich einige Wochen an ihm erfreuen; dann will ich kommen und ihr die Wahrheit sagen, und sie wird sie ertragen mit Gottes Hülfe und wird mir mein Kind, das mir Gott schenkte und Gott ließ, zurückgeben. Bernhard — lade kein Verbrechen auf unsere Seelen!
Bernhard sagte nur trotzig, indem er sich abwandte: — Du hast diesen Betrug zu verantworten, Therese, denn ein Betrug bleibt es immer! Aber thue, was du willst.
Der Graf aber nahm seinen eigenen Mantel ab und schlug ihn um das Kind und bat Therese, ihm ihr Mädchen mitzugeben, von dem das Kind auch willig
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