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Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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seinem einundzwanzigsten Jahre schon eine Geliebte -- redete ihm auch zu, der Wissenschaft, zu deren Erlernung ihm ja doch die reichen Mittel fehlten, Valet zu sagen und seinen Acker zu bauen. Er frug, ob sie ihm nach Westfalen folgen wolle, sie sagte freudig zu.

Therese war keine Berlinerin. Ihr feiner sächsischer Accent verrieth das bald; eine Waise, war sie zu Verwandten nach Berlin gekommen, die ihr das junge Leben, welches sie durch mühsame Arbeit und schwere Pflichten ernst und trübe machten, nur zu verherrlichen meinten, indem sie ihr von Zeit zu Zeit ein neues Kleid schenkten.

Aber, frug Therese, nachdem sie so rasch ihr Jawort gegeben, werden mich deine Landsleute auch unter sich dulden, mich, die Ketzerin, die "Calvinerin", wie du sagst, daß sie noch immer Alle nennen, die dem evangelischen Glauben anhängen?

Bernhard lachte. So schönen blauen Augen verzeihen auch meine Landsleute etwas Ketzerthum; Niemand wird dir eine Locke deines schönen braunen Haares krümmen.

Und Bernhard ging und wurde Pachter.

Einige Monate später holte er seine Braut aus Berlin, und die sonst so fanatischen Bauern ließen auch wirklich dem lieblichen Geschöpf sein Ketzerthum nicht entgelten, wenigstens bemerkte sie nichts davon, und als sie ein Jahr darauf Bernhard einen Sohn schenkte und dieser Sohn zum Kirchenportale hereingetragen

seinem einundzwanzigsten Jahre schon eine Geliebte — redete ihm auch zu, der Wissenschaft, zu deren Erlernung ihm ja doch die reichen Mittel fehlten, Valet zu sagen und seinen Acker zu bauen. Er frug, ob sie ihm nach Westfalen folgen wolle, sie sagte freudig zu.

Therese war keine Berlinerin. Ihr feiner sächsischer Accent verrieth das bald; eine Waise, war sie zu Verwandten nach Berlin gekommen, die ihr das junge Leben, welches sie durch mühsame Arbeit und schwere Pflichten ernst und trübe machten, nur zu verherrlichen meinten, indem sie ihr von Zeit zu Zeit ein neues Kleid schenkten.

Aber, frug Therese, nachdem sie so rasch ihr Jawort gegeben, werden mich deine Landsleute auch unter sich dulden, mich, die Ketzerin, die „Calvinerin“, wie du sagst, daß sie noch immer Alle nennen, die dem evangelischen Glauben anhängen?

Bernhard lachte. So schönen blauen Augen verzeihen auch meine Landsleute etwas Ketzerthum; Niemand wird dir eine Locke deines schönen braunen Haares krümmen.

Und Bernhard ging und wurde Pachter.

Einige Monate später holte er seine Braut aus Berlin, und die sonst so fanatischen Bauern ließen auch wirklich dem lieblichen Geschöpf sein Ketzerthum nicht entgelten, wenigstens bemerkte sie nichts davon, und als sie ein Jahr darauf Bernhard einen Sohn schenkte und dieser Sohn zum Kirchenportale hereingetragen

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[0011] seinem einundzwanzigsten Jahre schon eine Geliebte — redete ihm auch zu, der Wissenschaft, zu deren Erlernung ihm ja doch die reichen Mittel fehlten, Valet zu sagen und seinen Acker zu bauen. Er frug, ob sie ihm nach Westfalen folgen wolle, sie sagte freudig zu. Therese war keine Berlinerin. Ihr feiner sächsischer Accent verrieth das bald; eine Waise, war sie zu Verwandten nach Berlin gekommen, die ihr das junge Leben, welches sie durch mühsame Arbeit und schwere Pflichten ernst und trübe machten, nur zu verherrlichen meinten, indem sie ihr von Zeit zu Zeit ein neues Kleid schenkten. Aber, frug Therese, nachdem sie so rasch ihr Jawort gegeben, werden mich deine Landsleute auch unter sich dulden, mich, die Ketzerin, die „Calvinerin“, wie du sagst, daß sie noch immer Alle nennen, die dem evangelischen Glauben anhängen? Bernhard lachte. So schönen blauen Augen verzeihen auch meine Landsleute etwas Ketzerthum; Niemand wird dir eine Locke deines schönen braunen Haares krümmen. Und Bernhard ging und wurde Pachter. Einige Monate später holte er seine Braut aus Berlin, und die sonst so fanatischen Bauern ließen auch wirklich dem lieblichen Geschöpf sein Ketzerthum nicht entgelten, wenigstens bemerkte sie nichts davon, und als sie ein Jahr darauf Bernhard einen Sohn schenkte und dieser Sohn zum Kirchenportale hereingetragen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:13:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:13:13Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/11>, abgerufen am 22.11.2024.