Du glaubst nicht, welchen eigenthümlichen Reiz dieses Nomadenleben hat, selbst für den kultivir- ten Menschen; ich wundre mich gar nicht, daß die Eingebohrenen es nicht verlassen mögen.
Den 30sten Junius. Schon seit vier Tagen irren wir in den Ge- birgen umher, uns bloß nach der Sonne und den Gestirnen richtend, worauf sich John sehr gut versteht. Oft denke ich mir, wie Du dich ängstigen würdest, Du weintest ja ehmahls fast jedes Mahl, wenn auf unsern Spaziergängen die Thurmspitze von Chaumerive sich uns ver- steckte, aus Furcht Dich zu verirren. Hier sind wir deßhalb ganz unbesorgt, denn diese Wild- nisse sind so überraschend schön, daß man sie nie wieder verlassen möchte. Die Waldvögel über unsern Häuptern, lassen ihre hundertfältigen, oft so fremden und seltsamen Stimmen hören, Erdbeeren und die Beeren anderer Rankengewächse röthen den Rasen an den Abhängen der Berge, von deren Wipfeln neugierige Gazellen auf uns
Du glaubſt nicht, welchen eigenthuͤmlichen Reiz dieſes Nomadenleben hat, ſelbſt fuͤr den kultivir- ten Menſchen; ich wundre mich gar nicht, daß die Eingebohrenen es nicht verlaſſen moͤgen.
Den 30ſten Junius. Schon ſeit vier Tagen irren wir in den Ge- birgen umher, uns bloß nach der Sonne und den Geſtirnen richtend, worauf ſich John ſehr gut verſteht. Oft denke ich mir, wie Du dich aͤngſtigen wuͤrdeſt, Du weinteſt ja ehmahls faſt jedes Mahl, wenn auf unſern Spaziergaͤngen die Thurmſpitze von Chaumerive ſich uns ver- ſteckte, aus Furcht Dich zu verirren. Hier ſind wir deßhalb ganz unbeſorgt, denn dieſe Wild- niſſe ſind ſo uͤberraſchend ſchoͤn, daß man ſie nie wieder verlaſſen moͤchte. Die Waldvoͤgel uͤber unſern Haͤuptern, laſſen ihre hundertfaͤltigen, oft ſo fremden und ſeltſamen Stimmen hoͤren, Erdbeeren und die Beeren anderer Rankengewaͤchſe roͤthen den Raſen an den Abhaͤngen der Berge, von deren Wipfeln neugierige Gazellen auf uns
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Du glaubſt nicht, welchen eigenthuͤmlichen Reiz
dieſes Nomadenleben hat, ſelbſt fuͤr den kultivir-
ten Menſchen; ich wundre mich gar nicht, daß
die Eingebohrenen es nicht verlaſſen moͤgen.
Den 30ſten Junius.
Schon ſeit vier Tagen irren wir in den Ge-
birgen umher, uns bloß nach der Sonne und
den Geſtirnen richtend, worauf ſich John ſehr
gut verſteht. Oft denke ich mir, wie Du dich
aͤngſtigen wuͤrdeſt, Du weinteſt ja ehmahls faſt
jedes Mahl, wenn auf unſern Spaziergaͤngen
die Thurmſpitze von Chaumerive ſich uns ver-
ſteckte, aus Furcht Dich zu verirren. Hier ſind
wir deßhalb ganz unbeſorgt, denn dieſe Wild-
niſſe ſind ſo uͤberraſchend ſchoͤn, daß man ſie nie
wieder verlaſſen moͤchte. Die Waldvoͤgel uͤber
unſern Haͤuptern, laſſen ihre hundertfaͤltigen,
oft ſo fremden und ſeltſamen Stimmen hoͤren,
Erdbeeren und die Beeren anderer Rankengewaͤchſe
roͤthen den Raſen an den Abhaͤngen der Berge,
von deren Wipfeln neugierige Gazellen auf uns
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 2. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia02_1820/49>, abgerufen am 27.07.2024.
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