blieb ich stehen. Er war es, Er! der Gedanke meiner einsamen Stunden, der Traum mei- ner Nächte. Wie ähnlich meinem Bilde, und wie unähnlich zugleich? Du hast sein Gemählde von David gesehen, es gleicht; nur freundlicher war sein Mund, sein Lächeln bezaubernd. Eben so liebenswürdig hatte meine Phantasie ihn ge- mahlt, nur größer die Verhältnisse. Aber was sie ihm nicht zu geben vermocht, war die Ho- heit seines Auges, dieser Herscherblick, welcher mich im Nu, so tief und klein vor ihn stellte, daß ich die Augen nicht zu erheben wagte. Jch, die gebohrene Republikanerinn, und stolz auf Freiheit, Gleichheit und Menschenwerth, kniete vor ihm nieder, ohne zu wissen was ich that, und legte das Körbchen mit dem Kranze zu seinen Füßen. Er hob mich mit einiger Verlegenheit auf, küßte mich auf die Stirn, nahm den Korb, und dankte in abgerissenen Worten für die feine Ueberraschung. "Virginia stellte in dem Augenblicke das dankbare Vaterland dar," sagte mein Vater. -- Jch bin dem Vater- lande viel größere Dankbarkeit schuldig, erwie- derte der Held, indem eine freundliche Neigung
blieb ich ſtehen. Er war es, Er! der Gedanke meiner einſamen Stunden, der Traum mei- ner Naͤchte. Wie aͤhnlich meinem Bilde, und wie unaͤhnlich zugleich? Du haſt ſein Gemaͤhlde von David geſehen, es gleicht; nur freundlicher war ſein Mund, ſein Laͤcheln bezaubernd. Eben ſo liebenswuͤrdig hatte meine Phantaſie ihn ge- mahlt, nur groͤßer die Verhaͤltniſſe. Aber was ſie ihm nicht zu geben vermocht, war die Ho- heit ſeines Auges, dieſer Herſcherblick, welcher mich im Nu, ſo tief und klein vor ihn ſtellte, daß ich die Augen nicht zu erheben wagte. Jch, die gebohrene Republikanerinn, und ſtolz auf Freiheit, Gleichheit und Menſchenwerth, kniete vor ihm nieder, ohne zu wiſſen was ich that, und legte das Koͤrbchen mit dem Kranze zu ſeinen Fuͤßen. Er hob mich mit einiger Verlegenheit auf, kuͤßte mich auf die Stirn, nahm den Korb, und dankte in abgeriſſenen Worten fuͤr die feine Ueberraſchung. „Virginia ſtellte in dem Augenblicke das dankbare Vaterland dar,‟ ſagte mein Vater. — Jch bin dem Vater- lande viel groͤßere Dankbarkeit ſchuldig, erwie- derte der Held, indem eine freundliche Neigung
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blieb ich ſtehen. Er war es, Er! der Gedanke
meiner einſamen Stunden, der Traum mei-
ner Naͤchte. Wie aͤhnlich meinem Bilde, und
wie unaͤhnlich zugleich? Du haſt ſein Gemaͤhlde
von David geſehen, es gleicht; nur freundlicher
war ſein Mund, ſein Laͤcheln bezaubernd. Eben
ſo liebenswuͤrdig hatte meine Phantaſie ihn ge-
mahlt, nur groͤßer die Verhaͤltniſſe. Aber was
ſie ihm nicht zu geben vermocht, war die Ho-
heit ſeines Auges, dieſer Herſcherblick, welcher
mich im Nu, ſo tief und klein vor ihn ſtellte,
daß ich die Augen nicht zu erheben wagte. Jch,
die gebohrene Republikanerinn, und ſtolz auf
Freiheit, Gleichheit und Menſchenwerth, kniete
vor ihm nieder, ohne zu wiſſen was ich that, und
legte das Koͤrbchen mit dem Kranze zu ſeinen
Fuͤßen. Er hob mich mit einiger Verlegenheit
auf, kuͤßte mich auf die Stirn, nahm den Korb,
und dankte in abgeriſſenen Worten fuͤr die
feine Ueberraſchung. „Virginia ſtellte in dem
Augenblicke das dankbare Vaterland dar,‟
ſagte mein Vater. — Jch bin dem Vater-
lande viel groͤßere Dankbarkeit ſchuldig, erwie-
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/89>, abgerufen am 27.07.2024.
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