Blumen mit ihnen zu pflücken und Kränze zu winden, lieber aber saß ich doch mit meinem Vater Abends unter unsern Kastanienbäumen, und blickte nach dem zahllosen Sternenheere des dunkelblauen Himmels auf. Da war ich uner- schöpflich an Fragen, und mein guter Vater antwortete so gern. Er nannte mir die Stern- bilder, machte mich aufmerksam auf die Unzähl- barkeit der Sonnensysteme, auf die Unendlichkeit des Raumes und der Zeit, und knüpfte daran den Begriff von der überschwänglichen Größe und Erhabenheit des Schöpfers. Oft überraschte uns noch die Mitternacht bei diesen Gesprächen, über welche meine Mutter längst eingeschlafen war. Sie liebte diese Unterhaltungen nicht sehr, sahe auch meine fortschreitende Ausbildung nicht allzugern.
Jhre Kindheit hatte sie, nach der Sitte der Zeit, in einem Kloster verlebt. Weibliche Ar- beiten, etwas lesen und schreiben, und häufige Religionsübungen waren dort alle zu erlangen- den Kenntnisse gewesen. Mit diesen hatte sie ausgereicht, und nun in meinem Vater das Glück ihres Lebens gefunden; daher bildete sie sich ein, alles, was darüber, sey überflüssig, wo
Blumen mit ihnen zu pfluͤcken und Kraͤnze zu winden, lieber aber ſaß ich doch mit meinem Vater Abends unter unſern Kaſtanienbaͤumen, und blickte nach dem zahlloſen Sternenheere des dunkelblauen Himmels auf. Da war ich uner- ſchoͤpflich an Fragen, und mein guter Vater antwortete ſo gern. Er nannte mir die Stern- bilder, machte mich aufmerkſam auf die Unzaͤhl- barkeit der Sonnenſyſteme, auf die Unendlichkeit des Raumes und der Zeit, und knuͤpfte daran den Begriff von der uͤberſchwaͤnglichen Groͤße und Erhabenheit des Schoͤpfers. Oft uͤberraſchte uns noch die Mitternacht bei dieſen Geſpraͤchen, uͤber welche meine Mutter laͤngſt eingeſchlafen war. Sie liebte dieſe Unterhaltungen nicht ſehr, ſahe auch meine fortſchreitende Ausbildung nicht allzugern.
Jhre Kindheit hatte ſie, nach der Sitte der Zeit, in einem Kloſter verlebt. Weibliche Ar- beiten, etwas leſen und ſchreiben, und haͤufige Religionsuͤbungen waren dort alle zu erlangen- den Kenntniſſe geweſen. Mit dieſen hatte ſie ausgereicht, und nun in meinem Vater das Gluͤck ihres Lebens gefunden; daher bildete ſie ſich ein, alles, was daruͤber, ſey uͤberfluͤſſig, wo
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Blumen mit ihnen zu pfluͤcken und Kraͤnze zu
winden, lieber aber ſaß ich doch mit meinem
Vater Abends unter unſern Kaſtanienbaͤumen,
und blickte nach dem zahlloſen Sternenheere des
dunkelblauen Himmels auf. Da war ich uner-
ſchoͤpflich an Fragen, und mein guter Vater
antwortete ſo gern. Er nannte mir die Stern-
bilder, machte mich aufmerkſam auf die Unzaͤhl-
barkeit der Sonnenſyſteme, auf die Unendlichkeit
des Raumes und der Zeit, und knuͤpfte daran
den Begriff von der uͤberſchwaͤnglichen Groͤße und
Erhabenheit des Schoͤpfers. Oft uͤberraſchte uns
noch die Mitternacht bei dieſen Geſpraͤchen, uͤber
welche meine Mutter laͤngſt eingeſchlafen war.
Sie liebte dieſe Unterhaltungen nicht ſehr, ſahe auch
meine fortſchreitende Ausbildung nicht allzugern.
Jhre Kindheit hatte ſie, nach der Sitte der
Zeit, in einem Kloſter verlebt. Weibliche Ar-
beiten, etwas leſen und ſchreiben, und haͤufige
Religionsuͤbungen waren dort alle zu erlangen-
den Kenntniſſe geweſen. Mit dieſen hatte ſie
ausgereicht, und nun in meinem Vater das
Gluͤck ihres Lebens gefunden; daher bildete ſie
ſich ein, alles, was daruͤber, ſey uͤberfluͤſſig, wo
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/71>, abgerufen am 27.07.2024.
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