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Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780.

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pfohlen. Zur Bildung in der Logik giebt es keine bes-
sere Bücher, als Baylens Gedanken über die Co-
meten
, und seinen Commentar über die Worte: Nö-
thige sie hereinzugehn
. Nach meiner Einsicht ist
Bayle der erste Dialektiker, den Europa je gehabt hat.
Er raisonnirt nicht nur mit Stärke und Präcision; son-
dern sein Hauptvorzug besteht besonders darinn, daß
er immer mit einem Blick alles übersieht, was nur ir-
gend an einem Gegenstande gesehen werden kann;
nichts entgeht ihm, nicht die schwache, nicht die starke
Seite. Er weiß sogleich, wie ein Satz behauptet wer-
den, und wie man die Einwürfe derer, die ihn angreif-
fen möchten, wiederlegen müsse. In seinem großen
Dictionaire tadelt er den Ovid wegen seiner Erklärung
vom Chaos; die Artikel über die Manichäer, den Zoroa-
ster
, den Epikur und so viele andre, sind vortreflich.
Alle verdienen gelesen und studirt zu werden. Es wür-
de ein unschätzbarer Vortheil für junge Leute seyn,
wenn sie die Stärke des Raisonnements und den aus-
nehmenden Scharfsinn dieses großen Mannes sich ganz
eigen machten.

Sie errathen schon von selbst, welche Schriftsteller
ich besonders denen empfehlen werde, die sich vorzüg-
lich auf die Beredsamkeit legen wollen. Damit sie
den Grazien opfern lernen, würde ich ihnen rathen, die
großen Dichter Homer und Virgil zu lesen, und eini-
ge der auserlesensten Oden vom Horatz, einige Lieder

vom
C

pfohlen. Zur Bildung in der Logik giebt es keine beſ-
ſere Buͤcher, als Baylens Gedanken uͤber die Co-
meten
, und ſeinen Commentar uͤber die Worte: Noͤ-
thige ſie hereinzugehn
. Nach meiner Einſicht iſt
Bayle der erſte Dialektiker, den Europa je gehabt hat.
Er raiſonnirt nicht nur mit Staͤrke und Praͤciſion; ſon-
dern ſein Hauptvorzug beſteht beſonders darinn, daß
er immer mit einem Blick alles uͤberſieht, was nur ir-
gend an einem Gegenſtande geſehen werden kann;
nichts entgeht ihm, nicht die ſchwache, nicht die ſtarke
Seite. Er weiß ſogleich, wie ein Satz behauptet wer-
den, und wie man die Einwuͤrfe derer, die ihn angreif-
fen moͤchten, wiederlegen muͤſſe. In ſeinem großen
Dictionaire tadelt er den Ovid wegen ſeiner Erklaͤrung
vom Chaos; die Artikel uͤber die Manichaͤer, den Zoroa-
ſter
, den Epikur und ſo viele andre, ſind vortreflich.
Alle verdienen geleſen und ſtudirt zu werden. Es wuͤr-
de ein unſchaͤtzbarer Vortheil fuͤr junge Leute ſeyn,
wenn ſie die Staͤrke des Raiſonnements und den aus-
nehmenden Scharfſinn dieſes großen Mannes ſich ganz
eigen machten.

Sie errathen ſchon von ſelbſt, welche Schriftſteller
ich beſonders denen empfehlen werde, die ſich vorzuͤg-
lich auf die Beredſamkeit legen wollen. Damit ſie
den Grazien opfern lernen, wuͤrde ich ihnen rathen, die
großen Dichter Homer und Virgil zu leſen, und eini-
ge der auserleſenſten Oden vom Horatz, einige Lieder

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[33/0039] pfohlen. Zur Bildung in der Logik giebt es keine beſ- ſere Buͤcher, als Baylens Gedanken uͤber die Co- meten, und ſeinen Commentar uͤber die Worte: Noͤ- thige ſie hereinzugehn. Nach meiner Einſicht iſt Bayle der erſte Dialektiker, den Europa je gehabt hat. Er raiſonnirt nicht nur mit Staͤrke und Praͤciſion; ſon- dern ſein Hauptvorzug beſteht beſonders darinn, daß er immer mit einem Blick alles uͤberſieht, was nur ir- gend an einem Gegenſtande geſehen werden kann; nichts entgeht ihm, nicht die ſchwache, nicht die ſtarke Seite. Er weiß ſogleich, wie ein Satz behauptet wer- den, und wie man die Einwuͤrfe derer, die ihn angreif- fen moͤchten, wiederlegen muͤſſe. In ſeinem großen Dictionaire tadelt er den Ovid wegen ſeiner Erklaͤrung vom Chaos; die Artikel uͤber die Manichaͤer, den Zoroa- ſter, den Epikur und ſo viele andre, ſind vortreflich. Alle verdienen geleſen und ſtudirt zu werden. Es wuͤr- de ein unſchaͤtzbarer Vortheil fuͤr junge Leute ſeyn, wenn ſie die Staͤrke des Raiſonnements und den aus- nehmenden Scharfſinn dieſes großen Mannes ſich ganz eigen machten. Sie errathen ſchon von ſelbſt, welche Schriftſteller ich beſonders denen empfehlen werde, die ſich vorzuͤg- lich auf die Beredſamkeit legen wollen. Damit ſie den Grazien opfern lernen, wuͤrde ich ihnen rathen, die großen Dichter Homer und Virgil zu leſen, und eini- ge der auserleſenſten Oden vom Horatz, einige Lieder vom C

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Zitationshilfe: Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/friedrich_literatur_1780/39>, abgerufen am 24.04.2024.