Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.-- Der schwarze Jacob hat ihn gebracht; es werde wohl eine fröhliche Botschaft sein, hat er gemeint, sagte der Meister; die Herrschaft sei diesen Abend wieder angelangt, und auch die beiden Junker, die Söhne des Obersten, seien mitgekommen. Theobald starrte das Blatt mit dem großen, behelmten Siegel und den feinen Schriftzeichen der Aufschrift lange an, als ob er sich nicht getraute, dasselbe für sich in Empfang zu nehmen, und winkte dann dem Meister, ihn allein zu lassen. Es waren die leichten, wie hingehauchten Handzüge Juliens, in denen ihm sein Name entgegentrat. Er drückte das Blatt an die Lippen, legte es wieder auf den Tisch und preßte es abermals an Mund und Augen, während er schmerzlich ausrief: O Gott, Julie, warum gerade heute, warum in dieser Stunde dieses Lebenszeichen von dir, da ich von einem Sterbenden komme! ... Doch trage das Unvermeidliche in Glück und Leid, wie er es thut. "Mein Theobald", schrieb Julie, "ich habe dir im Namen meines Vaters seinen Willen mitzutheilen. Morgen Mittag sollen wir durch das Wort des Priesters verbunden werden. Du kannst mir glauben, daß ich die wichtigste Stunde meines Lebens lieber an einem andern Tage gefeiert hätte; aber wir wollen uns als gehorsame Kinder erweisen, vielleicht daß wir dadurch den Segen des Himmels für unsere Liebe gewinnen mögen. Meine zwei Brüder werden dich zur feierlichen Handlung abholen. Bis in den Tod deine Julia." — Der schwarze Jacob hat ihn gebracht; es werde wohl eine fröhliche Botschaft sein, hat er gemeint, sagte der Meister; die Herrschaft sei diesen Abend wieder angelangt, und auch die beiden Junker, die Söhne des Obersten, seien mitgekommen. Theobald starrte das Blatt mit dem großen, behelmten Siegel und den feinen Schriftzeichen der Aufschrift lange an, als ob er sich nicht getraute, dasselbe für sich in Empfang zu nehmen, und winkte dann dem Meister, ihn allein zu lassen. Es waren die leichten, wie hingehauchten Handzüge Juliens, in denen ihm sein Name entgegentrat. Er drückte das Blatt an die Lippen, legte es wieder auf den Tisch und preßte es abermals an Mund und Augen, während er schmerzlich ausrief: O Gott, Julie, warum gerade heute, warum in dieser Stunde dieses Lebenszeichen von dir, da ich von einem Sterbenden komme! … Doch trage das Unvermeidliche in Glück und Leid, wie er es thut. „Mein Theobald“, schrieb Julie, „ich habe dir im Namen meines Vaters seinen Willen mitzutheilen. Morgen Mittag sollen wir durch das Wort des Priesters verbunden werden. Du kannst mir glauben, daß ich die wichtigste Stunde meines Lebens lieber an einem andern Tage gefeiert hätte; aber wir wollen uns als gehorsame Kinder erweisen, vielleicht daß wir dadurch den Segen des Himmels für unsere Liebe gewinnen mögen. Meine zwei Brüder werden dich zur feierlichen Handlung abholen. Bis in den Tod deine Julia.“ <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <pb facs="#f0099"/> <p>— Der schwarze Jacob hat ihn gebracht; es werde wohl eine fröhliche Botschaft sein, hat er gemeint, sagte der Meister; die Herrschaft sei diesen Abend wieder angelangt, und auch die beiden Junker, die Söhne des Obersten, seien mitgekommen. Theobald starrte das Blatt mit dem großen, behelmten Siegel und den feinen Schriftzeichen der Aufschrift lange an, als ob er sich nicht getraute, dasselbe für sich in Empfang zu nehmen, und winkte dann dem Meister, ihn allein zu lassen.</p><lb/> <p>Es waren die leichten, wie hingehauchten Handzüge Juliens, in denen ihm sein Name entgegentrat. Er drückte das Blatt an die Lippen, legte es wieder auf den Tisch und preßte es abermals an Mund und Augen, während er schmerzlich ausrief: O Gott, Julie, warum gerade heute, warum in dieser Stunde dieses Lebenszeichen von dir, da ich von einem Sterbenden komme! … Doch trage das Unvermeidliche in Glück und Leid, wie er es thut.</p><lb/> <p>„Mein Theobald“, schrieb Julie, „ich habe dir im Namen meines Vaters seinen Willen mitzutheilen. Morgen Mittag sollen wir durch das Wort des Priesters verbunden werden. Du kannst mir glauben, daß ich die wichtigste Stunde meines Lebens lieber an einem andern Tage gefeiert hätte; aber wir wollen uns als gehorsame Kinder erweisen, vielleicht daß wir dadurch den Segen des Himmels für unsere Liebe gewinnen mögen. Meine zwei Brüder werden dich zur feierlichen Handlung abholen. Bis in den Tod deine Julia.“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0099]
— Der schwarze Jacob hat ihn gebracht; es werde wohl eine fröhliche Botschaft sein, hat er gemeint, sagte der Meister; die Herrschaft sei diesen Abend wieder angelangt, und auch die beiden Junker, die Söhne des Obersten, seien mitgekommen. Theobald starrte das Blatt mit dem großen, behelmten Siegel und den feinen Schriftzeichen der Aufschrift lange an, als ob er sich nicht getraute, dasselbe für sich in Empfang zu nehmen, und winkte dann dem Meister, ihn allein zu lassen.
Es waren die leichten, wie hingehauchten Handzüge Juliens, in denen ihm sein Name entgegentrat. Er drückte das Blatt an die Lippen, legte es wieder auf den Tisch und preßte es abermals an Mund und Augen, während er schmerzlich ausrief: O Gott, Julie, warum gerade heute, warum in dieser Stunde dieses Lebenszeichen von dir, da ich von einem Sterbenden komme! … Doch trage das Unvermeidliche in Glück und Leid, wie er es thut.
„Mein Theobald“, schrieb Julie, „ich habe dir im Namen meines Vaters seinen Willen mitzutheilen. Morgen Mittag sollen wir durch das Wort des Priesters verbunden werden. Du kannst mir glauben, daß ich die wichtigste Stunde meines Lebens lieber an einem andern Tage gefeiert hätte; aber wir wollen uns als gehorsame Kinder erweisen, vielleicht daß wir dadurch den Segen des Himmels für unsere Liebe gewinnen mögen. Meine zwei Brüder werden dich zur feierlichen Handlung abholen. Bis in den Tod deine Julia.“
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/99>, abgerufen am 27.07.2024. |