Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Noch ein Glas, Herr Oberst, wenn ich bitten darf, sagte der Hauptmann. Ha, hab's gedacht, rief der Alte; noch zwei, wenn's Euch schmeckt. Der Gefangene legte seinen Hut, den er bisher unter dem linken Arme gehalten, auf den Tisch, trank das große Glas wieder bis zur Neige und beugte sich dann vorwärts, als wollte er's sorgsam niederstellen; aber der Becher klirrte auf den Boden, und der Mann schoß wie ein aufschnellender Federball in die Fluten hinunter. Ein Schrei der Ueberraschung und Bestürzung erfolgte, es knallte ein Schuß; aber mit bebender Hand schleuderte der Oberst die rauchende Pistole über den Felsenrand dem verwegenen Flüchtlinge nach. Theobald stürzte aus seinem Verstecke hervor mit den Andern der Stelle zu, von welcher der Gefangene verschwunden war. Die Wasser waren in Folge eines warmen Föhnes, der im Gebirge geherrscht, hoch angeschwollen und trüb gefärbt, mit Reisig und mancherlei Treibholz bedeckt; von dem Hauptmanne war nichts mehr zu entdecken -- die wilde Flut schien ihn augenblicklich in die Tiefe gezogen zu haben. Der Oberst stand starr, mit vorgestreckten Händen über den Abhang gebeugt, und hätte nicht sein unstäter, verzweifelnder Blick das Leben verrathen, das in ihm kochte, würde man ihn für eine graue Steinsäule haben halten können. Theobald erhob unwillkürlich den Finger und deutete auf einen dunkeln Fleck, der sich schon Noch ein Glas, Herr Oberst, wenn ich bitten darf, sagte der Hauptmann. Ha, hab's gedacht, rief der Alte; noch zwei, wenn's Euch schmeckt. Der Gefangene legte seinen Hut, den er bisher unter dem linken Arme gehalten, auf den Tisch, trank das große Glas wieder bis zur Neige und beugte sich dann vorwärts, als wollte er's sorgsam niederstellen; aber der Becher klirrte auf den Boden, und der Mann schoß wie ein aufschnellender Federball in die Fluten hinunter. Ein Schrei der Ueberraschung und Bestürzung erfolgte, es knallte ein Schuß; aber mit bebender Hand schleuderte der Oberst die rauchende Pistole über den Felsenrand dem verwegenen Flüchtlinge nach. Theobald stürzte aus seinem Verstecke hervor mit den Andern der Stelle zu, von welcher der Gefangene verschwunden war. Die Wasser waren in Folge eines warmen Föhnes, der im Gebirge geherrscht, hoch angeschwollen und trüb gefärbt, mit Reisig und mancherlei Treibholz bedeckt; von dem Hauptmanne war nichts mehr zu entdecken — die wilde Flut schien ihn augenblicklich in die Tiefe gezogen zu haben. Der Oberst stand starr, mit vorgestreckten Händen über den Abhang gebeugt, und hätte nicht sein unstäter, verzweifelnder Blick das Leben verrathen, das in ihm kochte, würde man ihn für eine graue Steinsäule haben halten können. Theobald erhob unwillkürlich den Finger und deutete auf einen dunkeln Fleck, der sich schon <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <pb facs="#f0068"/> <p>Noch ein Glas, Herr Oberst, wenn ich bitten darf, sagte der Hauptmann.</p><lb/> <p>Ha, hab's gedacht, rief der Alte; noch zwei, wenn's Euch schmeckt. Der Gefangene legte seinen Hut, den er bisher unter dem linken Arme gehalten, auf den Tisch, trank das große Glas wieder bis zur Neige und beugte sich dann vorwärts, als wollte er's sorgsam niederstellen; aber der Becher klirrte auf den Boden, und der Mann schoß wie ein aufschnellender Federball in die Fluten hinunter. Ein Schrei der Ueberraschung und Bestürzung erfolgte, es knallte ein Schuß; aber mit bebender Hand schleuderte der Oberst die rauchende Pistole über den Felsenrand dem verwegenen Flüchtlinge nach.</p><lb/> <p>Theobald stürzte aus seinem Verstecke hervor mit den Andern der Stelle zu, von welcher der Gefangene verschwunden war. Die Wasser waren in Folge eines warmen Föhnes, der im Gebirge geherrscht, hoch angeschwollen und trüb gefärbt, mit Reisig und mancherlei Treibholz bedeckt; von dem Hauptmanne war nichts mehr zu entdecken — die wilde Flut schien ihn augenblicklich in die Tiefe gezogen zu haben.</p><lb/> <p>Der Oberst stand starr, mit vorgestreckten Händen über den Abhang gebeugt, und hätte nicht sein unstäter, verzweifelnder Blick das Leben verrathen, das in ihm kochte, würde man ihn für eine graue Steinsäule haben halten können. Theobald erhob unwillkürlich den Finger und deutete auf einen dunkeln Fleck, der sich schon<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0068]
Noch ein Glas, Herr Oberst, wenn ich bitten darf, sagte der Hauptmann.
Ha, hab's gedacht, rief der Alte; noch zwei, wenn's Euch schmeckt. Der Gefangene legte seinen Hut, den er bisher unter dem linken Arme gehalten, auf den Tisch, trank das große Glas wieder bis zur Neige und beugte sich dann vorwärts, als wollte er's sorgsam niederstellen; aber der Becher klirrte auf den Boden, und der Mann schoß wie ein aufschnellender Federball in die Fluten hinunter. Ein Schrei der Ueberraschung und Bestürzung erfolgte, es knallte ein Schuß; aber mit bebender Hand schleuderte der Oberst die rauchende Pistole über den Felsenrand dem verwegenen Flüchtlinge nach.
Theobald stürzte aus seinem Verstecke hervor mit den Andern der Stelle zu, von welcher der Gefangene verschwunden war. Die Wasser waren in Folge eines warmen Föhnes, der im Gebirge geherrscht, hoch angeschwollen und trüb gefärbt, mit Reisig und mancherlei Treibholz bedeckt; von dem Hauptmanne war nichts mehr zu entdecken — die wilde Flut schien ihn augenblicklich in die Tiefe gezogen zu haben.
Der Oberst stand starr, mit vorgestreckten Händen über den Abhang gebeugt, und hätte nicht sein unstäter, verzweifelnder Blick das Leben verrathen, das in ihm kochte, würde man ihn für eine graue Steinsäule haben halten können. Theobald erhob unwillkürlich den Finger und deutete auf einen dunkeln Fleck, der sich schon
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-14T15:04:13Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-14T15:04:13Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |