Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.körperte Hölle selbst erblickte, würde er weder Feuer noch Schwert gescheut haben, und er machte nach seiner Art auch nirgends ein Hehl aus diesen Gesinnungen. Unter diesen Umständen konnte das ungewöhnliche Interesse, das der Vater an dem fremden Haarkräusler zu nehmen schien, für seine Tochter kein großes Räthsel bleiben. Daß er nicht an die über denselben verbreiteten Gerüchte glaubte, hatte er deutlich gesagt, und das war auch selbstverständlich; aber fast ebenso gewiß war es, daß er mit der Verbreitung dieser Gerüchte nicht einen bloßen lächerlichen Zufall, sondern eine tiefer verborgene Absicht erblickte. Er vermuthete in dem Fremden entweder einen verkappten Revolutzer, von denen er seit einiger Zeit tagtäglich mit wachenden Augen träumte, oder gedachte vielleicht, wenn diese Annahme sich nicht erwahren sollte, denselben zu einem seiner Späherwerkzeuge zu machen; denn daß er sich auch mit solchen zu umgeben anfing, war der still beobachtenden Tochter ebenfalls nicht entgangen. Das Eine wie das Andere hatte gleich viel Verletzendes für den reinen, milden Sinn des Fräuleins, und je mehr sie darüber nachsann, um so peinlicher wurde ihr der Gedanke, wie rücksichtslos der Vater sie selbst habe mißbrauchen wollen, einen unbekannten Menschen, mochte er nun Dieser oder Jener sein, in sein eigenes leidenschaftliches Tun hereinzuziehen. Hatte sie doch sonst genug zu leiden davon, wie sehr sie auch stets bemüht war, sich von all diesem Kämpfen und körperte Hölle selbst erblickte, würde er weder Feuer noch Schwert gescheut haben, und er machte nach seiner Art auch nirgends ein Hehl aus diesen Gesinnungen. Unter diesen Umständen konnte das ungewöhnliche Interesse, das der Vater an dem fremden Haarkräusler zu nehmen schien, für seine Tochter kein großes Räthsel bleiben. Daß er nicht an die über denselben verbreiteten Gerüchte glaubte, hatte er deutlich gesagt, und das war auch selbstverständlich; aber fast ebenso gewiß war es, daß er mit der Verbreitung dieser Gerüchte nicht einen bloßen lächerlichen Zufall, sondern eine tiefer verborgene Absicht erblickte. Er vermuthete in dem Fremden entweder einen verkappten Revolutzer, von denen er seit einiger Zeit tagtäglich mit wachenden Augen träumte, oder gedachte vielleicht, wenn diese Annahme sich nicht erwahren sollte, denselben zu einem seiner Späherwerkzeuge zu machen; denn daß er sich auch mit solchen zu umgeben anfing, war der still beobachtenden Tochter ebenfalls nicht entgangen. Das Eine wie das Andere hatte gleich viel Verletzendes für den reinen, milden Sinn des Fräuleins, und je mehr sie darüber nachsann, um so peinlicher wurde ihr der Gedanke, wie rücksichtslos der Vater sie selbst habe mißbrauchen wollen, einen unbekannten Menschen, mochte er nun Dieser oder Jener sein, in sein eigenes leidenschaftliches Tun hereinzuziehen. Hatte sie doch sonst genug zu leiden davon, wie sehr sie auch stets bemüht war, sich von all diesem Kämpfen und <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0024"/> körperte Hölle selbst erblickte, würde er weder Feuer noch Schwert gescheut haben, und er machte nach seiner Art auch nirgends ein Hehl aus diesen Gesinnungen.</p><lb/> <p>Unter diesen Umständen konnte das ungewöhnliche Interesse, das der Vater an dem fremden Haarkräusler zu nehmen schien, für seine Tochter kein großes Räthsel bleiben. Daß er nicht an die über denselben verbreiteten Gerüchte glaubte, hatte er deutlich gesagt, und das war auch selbstverständlich; aber fast ebenso gewiß war es, daß er mit der Verbreitung dieser Gerüchte nicht einen bloßen lächerlichen Zufall, sondern eine tiefer verborgene Absicht erblickte. Er vermuthete in dem Fremden entweder einen verkappten Revolutzer, von denen er seit einiger Zeit tagtäglich mit wachenden Augen träumte, oder gedachte vielleicht, wenn diese Annahme sich nicht erwahren sollte, denselben zu einem seiner Späherwerkzeuge zu machen; denn daß er sich auch mit solchen zu umgeben anfing, war der still beobachtenden Tochter ebenfalls nicht entgangen.</p><lb/> <p>Das Eine wie das Andere hatte gleich viel Verletzendes für den reinen, milden Sinn des Fräuleins, und je mehr sie darüber nachsann, um so peinlicher wurde ihr der Gedanke, wie rücksichtslos der Vater sie selbst habe mißbrauchen wollen, einen unbekannten Menschen, mochte er nun Dieser oder Jener sein, in sein eigenes leidenschaftliches Tun hereinzuziehen. Hatte sie doch sonst genug zu leiden davon, wie sehr sie auch stets bemüht war, sich von all diesem Kämpfen und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
körperte Hölle selbst erblickte, würde er weder Feuer noch Schwert gescheut haben, und er machte nach seiner Art auch nirgends ein Hehl aus diesen Gesinnungen.
Unter diesen Umständen konnte das ungewöhnliche Interesse, das der Vater an dem fremden Haarkräusler zu nehmen schien, für seine Tochter kein großes Räthsel bleiben. Daß er nicht an die über denselben verbreiteten Gerüchte glaubte, hatte er deutlich gesagt, und das war auch selbstverständlich; aber fast ebenso gewiß war es, daß er mit der Verbreitung dieser Gerüchte nicht einen bloßen lächerlichen Zufall, sondern eine tiefer verborgene Absicht erblickte. Er vermuthete in dem Fremden entweder einen verkappten Revolutzer, von denen er seit einiger Zeit tagtäglich mit wachenden Augen träumte, oder gedachte vielleicht, wenn diese Annahme sich nicht erwahren sollte, denselben zu einem seiner Späherwerkzeuge zu machen; denn daß er sich auch mit solchen zu umgeben anfing, war der still beobachtenden Tochter ebenfalls nicht entgangen.
Das Eine wie das Andere hatte gleich viel Verletzendes für den reinen, milden Sinn des Fräuleins, und je mehr sie darüber nachsann, um so peinlicher wurde ihr der Gedanke, wie rücksichtslos der Vater sie selbst habe mißbrauchen wollen, einen unbekannten Menschen, mochte er nun Dieser oder Jener sein, in sein eigenes leidenschaftliches Tun hereinzuziehen. Hatte sie doch sonst genug zu leiden davon, wie sehr sie auch stets bemüht war, sich von all diesem Kämpfen und
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/24>, abgerufen am 26.07.2024. |