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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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Symptome, während man sich wohl erinnert, die Scenen und Einfälle selbst provocirt zu haben. Es führt aber in der Wirklichkeit eine ununterbrochene Reihe von den unveränderten Erinnerungsresten affectvoller Erlebnisse und Denkacte bis zu den hysterischen Symptomen, ihren Erinnerungssymbolen.

Das Phänomen des Mitsprechens des hysterischen Symptoms während der Analyse bringt einen praktischen Uebelstand mit sich, mit welchem man den Kranken sollte aussöhnen können. Es ist ja ganz unmöglich, eine Analyse eines Symptoms in einem Zuge vorzunehmen oder die Pausen in der Arbeit so zu vertheilen, dass sie gerade mit Ruhepunkten in der Erledigung zusammentreffen. Vielmehr fällt die Unterbrechung, die durch die Nebenumstände der Behandlung, die vorgerückte Stunde und dgl. gebieterisch vorgeschrieben wird, oft an die ungeschicktesten Stellen, gerade wo man sich einer Entscheidung nähern könnte, gerade wo ein neues Thema auftaucht. Es sind dieselben Uebelstände, die jedem Zeitungsleser die Lectüre des täglichen Fragmentes seines Zeitungsromanes verleiden, wenn unmittelbar nach der entscheidenden Rede der Heldin, nach dem Knallen des Schusses udgl. zu lesen steht: (Fortsetzung folgt). In unserem Falle bleibt das aufgerührte, aber nicht abgethane, Thema, das zunächst verstärkte und noch nicht erklärte Symptom, im Seelenleben des Kranken bestehen und belästigt ihn ärger vielleicht, als es sonst der Fall war. Damit muss er sich eben abfinden können; es lässt sich nicht anders einrichten. Es gibt überhaupt Kranke, die während einer solchen Analyse das einmal berührte Thema nicht wieder loslassen können, die von ihm auch in der Zwischenzeit zwischen zwei Behandlungen obsedirt sind, und da sie doch allein mit der Erledigung nicht weiter kommen, zunächst mehr leiden als vor der Behandlung. Auch solche Patienten lernen es schliesslich, auf den Arzt zu warten, alles Interesse, das sie an der Erledigung des pathogenen Materials haben, in die Stunden der Behandlung zu verlegen, und sie beginnen dann, sich in den Zwischenzeiten freier zu fühlen.



Auch das Allgemeinbefinden der Kranken während einer solchen Analyse erscheint der Beachtung werth. Eine Weile noch bleibt es, von der Behandlung unbeeinflusst, Ausdruck der früher wirksamen Factoren, dann aber kommt ein Moment, in dem der Kranke "gepackt", sein Interesse gefesselt wird, und von ab geräth auch sein Allgemeinzustand immer mehr in Abhängigkeit von dem Stande der Arbeit. Jedesmal, wenn eine neue Aufklärung gewonnen, ein wichtiger

Symptome, während man sich wohl erinnert, die Scenen und Einfälle selbst provocirt zu haben. Es führt aber in der Wirklichkeit eine ununterbrochene Reihe von den unveränderten Erinnerungsresten affectvoller Erlebnisse und Denkacte bis zu den hysterischen Symptomen, ihren Erinnerungssymbolen.

Das Phänomen des Mitsprechens des hysterischen Symptoms während der Analyse bringt einen praktischen Uebelstand mit sich, mit welchem man den Kranken sollte aussöhnen können. Es ist ja ganz unmöglich, eine Analyse eines Symptoms in einem Zuge vorzunehmen oder die Pausen in der Arbeit so zu vertheilen, dass sie gerade mit Ruhepunkten in der Erledigung zusammentreffen. Vielmehr fällt die Unterbrechung, die durch die Nebenumstände der Behandlung, die vorgerückte Stunde und dgl. gebieterisch vorgeschrieben wird, oft an die ungeschicktesten Stellen, gerade wo man sich einer Entscheidung nähern könnte, gerade wo ein neues Thema auftaucht. Es sind dieselben Uebelstände, die jedem Zeitungsleser die Lectüre des täglichen Fragmentes seines Zeitungsromanes verleiden, wenn unmittelbar nach der entscheidenden Rede der Heldin, nach dem Knallen des Schusses udgl. zu lesen steht: (Fortsetzung folgt). In unserem Falle bleibt das aufgerührte, aber nicht abgethane, Thema, das zunächst verstärkte und noch nicht erklärte Symptom, im Seelenleben des Kranken bestehen und belästigt ihn ärger vielleicht, als es sonst der Fall war. Damit muss er sich eben abfinden können; es lässt sich nicht anders einrichten. Es gibt überhaupt Kranke, die während einer solchen Analyse das einmal berührte Thema nicht wieder loslassen können, die von ihm auch in der Zwischenzeit zwischen zwei Behandlungen obsedirt sind, und da sie doch allein mit der Erledigung nicht weiter kommen, zunächst mehr leiden als vor der Behandlung. Auch solche Patienten lernen es schliesslich, auf den Arzt zu warten, alles Interesse, das sie an der Erledigung des pathogenen Materials haben, in die Stunden der Behandlung zu verlegen, und sie beginnen dann, sich in den Zwischenzeiten freier zu fühlen.



Auch das Allgemeinbefinden der Kranken während einer solchen Analyse erscheint der Beachtung werth. Eine Weile noch bleibt es, von der Behandlung unbeeinflusst, Ausdruck der früher wirksamen Factoren, dann aber kommt ein Moment, in dem der Kranke „gepackt“, sein Interesse gefesselt wird, und von ab geräth auch sein Allgemeinzustand immer mehr in Abhängigkeit von dem Stande der Arbeit. Jedesmal, wenn eine neue Aufklärung gewonnen, ein wichtiger

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[262/0268] Symptome, während man sich wohl erinnert, die Scenen und Einfälle selbst provocirt zu haben. Es führt aber in der Wirklichkeit eine ununterbrochene Reihe von den unveränderten Erinnerungsresten affectvoller Erlebnisse und Denkacte bis zu den hysterischen Symptomen, ihren Erinnerungssymbolen. Das Phänomen des Mitsprechens des hysterischen Symptoms während der Analyse bringt einen praktischen Uebelstand mit sich, mit welchem man den Kranken sollte aussöhnen können. Es ist ja ganz unmöglich, eine Analyse eines Symptoms in einem Zuge vorzunehmen oder die Pausen in der Arbeit so zu vertheilen, dass sie gerade mit Ruhepunkten in der Erledigung zusammentreffen. Vielmehr fällt die Unterbrechung, die durch die Nebenumstände der Behandlung, die vorgerückte Stunde und dgl. gebieterisch vorgeschrieben wird, oft an die ungeschicktesten Stellen, gerade wo man sich einer Entscheidung nähern könnte, gerade wo ein neues Thema auftaucht. Es sind dieselben Uebelstände, die jedem Zeitungsleser die Lectüre des täglichen Fragmentes seines Zeitungsromanes verleiden, wenn unmittelbar nach der entscheidenden Rede der Heldin, nach dem Knallen des Schusses udgl. zu lesen steht: (Fortsetzung folgt). In unserem Falle bleibt das aufgerührte, aber nicht abgethane, Thema, das zunächst verstärkte und noch nicht erklärte Symptom, im Seelenleben des Kranken bestehen und belästigt ihn ärger vielleicht, als es sonst der Fall war. Damit muss er sich eben abfinden können; es lässt sich nicht anders einrichten. Es gibt überhaupt Kranke, die während einer solchen Analyse das einmal berührte Thema nicht wieder loslassen können, die von ihm auch in der Zwischenzeit zwischen zwei Behandlungen obsedirt sind, und da sie doch allein mit der Erledigung nicht weiter kommen, zunächst mehr leiden als vor der Behandlung. Auch solche Patienten lernen es schliesslich, auf den Arzt zu warten, alles Interesse, das sie an der Erledigung des pathogenen Materials haben, in die Stunden der Behandlung zu verlegen, und sie beginnen dann, sich in den Zwischenzeiten freier zu fühlen. Auch das Allgemeinbefinden der Kranken während einer solchen Analyse erscheint der Beachtung werth. Eine Weile noch bleibt es, von der Behandlung unbeeinflusst, Ausdruck der früher wirksamen Factoren, dann aber kommt ein Moment, in dem der Kranke „gepackt“, sein Interesse gefesselt wird, und von ab geräth auch sein Allgemeinzustand immer mehr in Abhängigkeit von dem Stande der Arbeit. Jedesmal, wenn eine neue Aufklärung gewonnen, ein wichtiger

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/268>, abgerufen am 01.05.2024.