Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

doch keine vollständige Erledigung stattgefunden hat. Eine Wiederkehr in verschiedener Intensität, zuerst als Andeutung, dann in voller Helligkeit kommt hingegen häufig vor, widerspricht aber nicht der eben aufgestellten Behauptung. -

Wenn sich unter den Aufgaben der Analyse die Beseitigung eines Symptoms befindet, welches der Intensitätssteigerung oder der Wiederkehr fähig ist (Schmerzen, Reizsymptome wie Erbrechen, Sensationen, Contracturen), so beobachtet man während der Arbeit von Seiten dieses Symptoms das interessante und nicht unerwünschte Phänomen des "Mitsprechens". Das fragliche Symptom erscheint wieder oder erscheint in verstärkter Intensität, sobald man in die Region der pathogenen Organisation gerathen ist, welche die Aetiologie dieses Symptoms enthält, und es begleitet nun die Arbeit mit charakteristischen und für den Arzt lehrreichen Schwankungen weiter. Die Intensität desselben (sagen wir: einer Brechneigung) steigt, je tiefer man in eine der hiefür pathogenen Erinnerungen eindringt, erreicht die grösste Höhe kurz vor dem Aussprechen der letzteren und sinkt mit vollendeter Aussprache plötzlich ab oder verschwindet auch völlig für eine Weile. Wenn der Kranke aus Widerstand das Aussprechen lange verzögert, wird die Spannung der Sensation, der Brechneigung, unerträglich und kann man das Aussprechen nicht erzwingen, so tritt wirklich Erbrechen ein. Man gewinnt so einen plastischen Eindruck davon, dass das "Erbrechen" an Stelle einer psychischen Action (hier des Aussprechens) steht, wie es die Conversionstheorie der Hysterie behauptet.

Diese Intensitätsschwankung von Seiten des hysterischen Symptoms wiederholt sich nun jedesmal, so oft man eine neue, hiefür pathogene Erinnerung in Angriff nimmt; das Symptom steht sozusagen die ganze Zeit über auf der Tagesordnung. Ist man genöthigt, den Faden, an dem dies Symptom hängt, für eine Weile fallen zu lassen, so tritt auch das Symptom in die Dunkelheit zurück, um in einer späteren Periode der Analyse wieder aufzutauchen. Dieses Spiel währt so lange, bis durch das Aufarbeiten des pathogenen Materials für dieses Symptom endgiltige Erledigung geschaffen ist.

Streng genommen, verhält sich hierbei das hysterische Symptom gar nicht anders als das Erinnerungsbild oder der reproducirte Gedanke, den man unter dem Drucke der Hand heraufbeschwört. Hier wie dort dieselbe obsedirende Hartnäckigkeit der Wiederkehr in der Erinnerung des Kranken, die Erledigung erheischt. Der Unterschied liegt nur in dem anscheinend spontanen Auftreten der hysterischen

doch keine vollständige Erledigung stattgefunden hat. Eine Wiederkehr in verschiedener Intensität, zuerst als Andeutung, dann in voller Helligkeit kommt hingegen häufig vor, widerspricht aber nicht der eben aufgestellten Behauptung. –

Wenn sich unter den Aufgaben der Analyse die Beseitigung eines Symptoms befindet, welches der Intensitätssteigerung oder der Wiederkehr fähig ist (Schmerzen, Reizsymptome wie Erbrechen, Sensationen, Contracturen), so beobachtet man während der Arbeit von Seiten dieses Symptoms das interessante und nicht unerwünschte Phänomen des „Mitsprechens“. Das fragliche Symptom erscheint wieder oder erscheint in verstärkter Intensität, sobald man in die Region der pathogenen Organisation gerathen ist, welche die Aetiologie dieses Symptoms enthält, und es begleitet nun die Arbeit mit charakteristischen und für den Arzt lehrreichen Schwankungen weiter. Die Intensität desselben (sagen wir: einer Brechneigung) steigt, je tiefer man in eine der hiefür pathogenen Erinnerungen eindringt, erreicht die grösste Höhe kurz vor dem Aussprechen der letzteren und sinkt mit vollendeter Aussprache plötzlich ab oder verschwindet auch völlig für eine Weile. Wenn der Kranke aus Widerstand das Aussprechen lange verzögert, wird die Spannung der Sensation, der Brechneigung, unerträglich und kann man das Aussprechen nicht erzwingen, so tritt wirklich Erbrechen ein. Man gewinnt so einen plastischen Eindruck davon, dass das „Erbrechen“ an Stelle einer psychischen Action (hier des Aussprechens) steht, wie es die Conversionstheorie der Hysterie behauptet.

Diese Intensitätsschwankung von Seiten des hysterischen Symptoms wiederholt sich nun jedesmal, so oft man eine neue, hiefür pathogene Erinnerung in Angriff nimmt; das Symptom steht sozusagen die ganze Zeit über auf der Tagesordnung. Ist man genöthigt, den Faden, an dem dies Symptom hängt, für eine Weile fallen zu lassen, so tritt auch das Symptom in die Dunkelheit zurück, um in einer späteren Periode der Analyse wieder aufzutauchen. Dieses Spiel währt so lange, bis durch das Aufarbeiten des pathogenen Materials für dieses Symptom endgiltige Erledigung geschaffen ist.

Streng genommen, verhält sich hierbei das hysterische Symptom gar nicht anders als das Erinnerungsbild oder der reproducirte Gedanke, den man unter dem Drucke der Hand heraufbeschwört. Hier wie dort dieselbe obsedirende Hartnäckigkeit der Wiederkehr in der Erinnerung des Kranken, die Erledigung erheischt. Der Unterschied liegt nur in dem anscheinend spontanen Auftreten der hysterischen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0267" n="261"/>
doch keine vollständige Erledigung stattgefunden hat. Eine Wiederkehr in verschiedener Intensität, zuerst als Andeutung, dann in voller Helligkeit kommt hingegen häufig vor, widerspricht aber nicht der eben aufgestellten Behauptung. &#x2013;</p>
          <p>Wenn sich unter den Aufgaben der Analyse die Beseitigung eines Symptoms befindet, welches der Intensitätssteigerung oder der Wiederkehr fähig ist (Schmerzen, Reizsymptome wie Erbrechen, Sensationen, Contracturen), so beobachtet man während der Arbeit von Seiten dieses Symptoms das interessante und nicht unerwünschte Phänomen des &#x201E;<hi rendition="#g">Mitsprechens</hi>&#x201C;. Das fragliche Symptom erscheint wieder oder erscheint in verstärkter Intensität, sobald man in die Region der pathogenen Organisation gerathen ist, welche die Aetiologie dieses Symptoms enthält, und es begleitet nun die Arbeit mit charakteristischen und für den Arzt lehrreichen Schwankungen weiter. Die Intensität desselben (sagen wir: einer Brechneigung) steigt, je tiefer man in eine der hiefür pathogenen Erinnerungen eindringt, erreicht die grösste Höhe kurz vor dem Aussprechen der letzteren und sinkt mit vollendeter Aussprache plötzlich ab oder verschwindet auch völlig für eine Weile. Wenn der Kranke aus Widerstand das Aussprechen lange verzögert, wird die Spannung der Sensation, der Brechneigung, unerträglich und kann man das Aussprechen nicht erzwingen, so tritt wirklich Erbrechen ein. Man gewinnt so einen plastischen Eindruck davon, dass das &#x201E;Erbrechen&#x201C; an Stelle einer psychischen Action (hier des Aussprechens) steht, wie es die Conversionstheorie der Hysterie behauptet.</p>
          <p>Diese Intensitätsschwankung von Seiten des hysterischen Symptoms wiederholt sich nun jedesmal, so oft man eine neue, hiefür pathogene Erinnerung in Angriff nimmt; das Symptom steht sozusagen die ganze Zeit über <hi rendition="#g">auf der Tagesordnung</hi>. Ist man genöthigt, den Faden, an dem dies Symptom hängt, für eine Weile fallen zu lassen, so tritt auch das Symptom in die Dunkelheit zurück, um in einer späteren Periode der Analyse wieder aufzutauchen. Dieses Spiel währt so lange, bis durch das Aufarbeiten des pathogenen Materials für dieses Symptom endgiltige Erledigung geschaffen ist.</p>
          <p>Streng genommen, verhält sich hierbei das hysterische Symptom gar nicht anders als das Erinnerungsbild oder der reproducirte Gedanke, den man unter dem Drucke der Hand heraufbeschwört. Hier wie dort dieselbe obsedirende Hartnäckigkeit der Wiederkehr in der Erinnerung des Kranken, die Erledigung erheischt. Der Unterschied liegt nur in dem anscheinend spontanen Auftreten der hysterischen
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0267] doch keine vollständige Erledigung stattgefunden hat. Eine Wiederkehr in verschiedener Intensität, zuerst als Andeutung, dann in voller Helligkeit kommt hingegen häufig vor, widerspricht aber nicht der eben aufgestellten Behauptung. – Wenn sich unter den Aufgaben der Analyse die Beseitigung eines Symptoms befindet, welches der Intensitätssteigerung oder der Wiederkehr fähig ist (Schmerzen, Reizsymptome wie Erbrechen, Sensationen, Contracturen), so beobachtet man während der Arbeit von Seiten dieses Symptoms das interessante und nicht unerwünschte Phänomen des „Mitsprechens“. Das fragliche Symptom erscheint wieder oder erscheint in verstärkter Intensität, sobald man in die Region der pathogenen Organisation gerathen ist, welche die Aetiologie dieses Symptoms enthält, und es begleitet nun die Arbeit mit charakteristischen und für den Arzt lehrreichen Schwankungen weiter. Die Intensität desselben (sagen wir: einer Brechneigung) steigt, je tiefer man in eine der hiefür pathogenen Erinnerungen eindringt, erreicht die grösste Höhe kurz vor dem Aussprechen der letzteren und sinkt mit vollendeter Aussprache plötzlich ab oder verschwindet auch völlig für eine Weile. Wenn der Kranke aus Widerstand das Aussprechen lange verzögert, wird die Spannung der Sensation, der Brechneigung, unerträglich und kann man das Aussprechen nicht erzwingen, so tritt wirklich Erbrechen ein. Man gewinnt so einen plastischen Eindruck davon, dass das „Erbrechen“ an Stelle einer psychischen Action (hier des Aussprechens) steht, wie es die Conversionstheorie der Hysterie behauptet. Diese Intensitätsschwankung von Seiten des hysterischen Symptoms wiederholt sich nun jedesmal, so oft man eine neue, hiefür pathogene Erinnerung in Angriff nimmt; das Symptom steht sozusagen die ganze Zeit über auf der Tagesordnung. Ist man genöthigt, den Faden, an dem dies Symptom hängt, für eine Weile fallen zu lassen, so tritt auch das Symptom in die Dunkelheit zurück, um in einer späteren Periode der Analyse wieder aufzutauchen. Dieses Spiel währt so lange, bis durch das Aufarbeiten des pathogenen Materials für dieses Symptom endgiltige Erledigung geschaffen ist. Streng genommen, verhält sich hierbei das hysterische Symptom gar nicht anders als das Erinnerungsbild oder der reproducirte Gedanke, den man unter dem Drucke der Hand heraufbeschwört. Hier wie dort dieselbe obsedirende Hartnäckigkeit der Wiederkehr in der Erinnerung des Kranken, die Erledigung erheischt. Der Unterschied liegt nur in dem anscheinend spontanen Auftreten der hysterischen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/267
Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/267>, abgerufen am 22.11.2024.