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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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auf's höchste. Dass solcher Conflict unvereinbarer Vorstellungen pathogen wirkt, ist Sache der täglichen Erfahrung. Es handelt sich meist um Vorstellungen und Vorgänge des sexualen Lebens: um Masturbation bei moralisch empfindlichen Adolescenten, um das Bewusstsein der Neigung zu einem fremden Manne bei einer sittenstrengen Frau. Ja, sehr oft genügt das erste Auftauchen sexualer Empfindungen und Vorstellungen an sich schon, um durch den Conflict mit der festgewurzelten Vorstellung von sittlicher Reinheit einen hochgradigen Erregungszustand zu schaffen.1

Diesem entspringen gewöhnlich psychische Folgen; pathologische Verstimmung, Angstzustände (Freud). Manchmal wird aber durch concurrirende Umstände ein anomales somatisches Phänomen determinirt, in welchem sich die Erregung entladet: Erbrechen, wenn das Gefühl moralischer Beschmutzung ein physisches Ekelgefühl erzeugt; eine Tussis nervosa wie bei Anna O. (Beob. I.), wenn die Gewissensangst Glottiskrampf hervorruft u. dgl.2

Die Erregung, welche durch sehr lebhafte und durch unvereinbare Vorstellungen erzeugt wird, hat eine normale, adäquate Reaction; die Mittheilung durch die Rede. Wir finden den Drang danach in komischer Uebertreibung in der Geschichte vom Barbier des Midas, der sein Geheimniss in's Schilf hineinruft; wir finden ihn als eine der Grundlagen einer grossartigen historischen Institution in der katholischen Ohrenbeichte. Die Mittheilung erleichtert, sie entladet die Spannung auch dann, wenn sie nicht gegen den Priester geschieht und nicht von der Absolution gefolgt ist. Wird der Erregung dieser Ausweg versperrt, so convertirt sie sich manchmal in ein somatisches Phänomen ebenso wie die Erregung traumatischer Affecte, und wir können die ganze

1 Vgl. für diesen Punkt einige interessante Mittheilungen und Bemerkungen Benedikt's (1889), wiederabgedruckt in der Schrift "Hypnotismus und Suggestion" 1894 (p. 51 u. ff.)
2 Ich finde in Mach's "Bewegungsempfindungen" eine Bemerkung, an welche hier wohl erinnert werden darf: "Es hat sich bei den beschriebenen (Schwindel-) Versuchen wiederholt gezeigt, dass ein Ekelgefühl sich hauptsächlich dann einstellte, wenn es schwer war, die Bewegungsempfindungen mit den optischen Eindrücken in Einklang zu bringen. Es sah so aus, als ob ein Theil des vom Labyrinth ausgehenden Reizes gezwungen worden wäre, die optischen Bahnen, die ihm durch einen andern Reiz verschlossen waren, zu verlassen und ganz andere Bahnen einzuschlagen. . . . Auch beim Versuch, Stereoskopbilder mit starken Differenzen zu combiniren, habe ich wiederholt ein Ekelgefühl beobachtet." Das ist geradezu das physiologische Schema für die Entstehung pathologischer, hysterischer Phänomene durch die Coexistenz lebhafter, unvereinbarer Vorstellungen.

auf’s höchste. Dass solcher Conflict unvereinbarer Vorstellungen pathogen wirkt, ist Sache der täglichen Erfahrung. Es handelt sich meist um Vorstellungen und Vorgänge des sexualen Lebens: um Masturbation bei moralisch empfindlichen Adolescenten, um das Bewusstsein der Neigung zu einem fremden Manne bei einer sittenstrengen Frau. Ja, sehr oft genügt das erste Auftauchen sexualer Empfindungen und Vorstellungen an sich schon, um durch den Conflict mit der festgewurzelten Vorstellung von sittlicher Reinheit einen hochgradigen Erregungszustand zu schaffen.1

Diesem entspringen gewöhnlich psychische Folgen; pathologische Verstimmung, Angstzustände (Freud). Manchmal wird aber durch concurrirende Umstände ein anomales somatisches Phänomen determinirt, in welchem sich die Erregung entladet: Erbrechen, wenn das Gefühl moralischer Beschmutzung ein physisches Ekelgefühl erzeugt; eine Tussis nervosa wie bei Anna O. (Beob. I.), wenn die Gewissensangst Glottiskrampf hervorruft u. dgl.2

Die Erregung, welche durch sehr lebhafte und durch unvereinbare Vorstellungen erzeugt wird, hat eine normale, adäquate Reaction; die Mittheilung durch die Rede. Wir finden den Drang danach in komischer Uebertreibung in der Geschichte vom Barbier des Midas, der sein Geheimniss in's Schilf hineinruft; wir finden ihn als eine der Grundlagen einer grossartigen historischen Institution in der katholischen Ohrenbeichte. Die Mittheilung erleichtert, sie entladet die Spannung auch dann, wenn sie nicht gegen den Priester geschieht und nicht von der Absolution gefolgt ist. Wird der Erregung dieser Ausweg versperrt, so convertirt sie sich manchmal in ein somatisches Phänomen ebenso wie die Erregung traumatischer Affecte, und wir können die ganze

1 Vgl. für diesen Punkt einige interessante Mittheilungen und Bemerkungen Benedikt's (1889), wiederabgedruckt in der Schrift „Hypnotismus und Suggestion“ 1894 (p. 51 u. ff.)
2 Ich finde in Mach's „Bewegungsempfindungen“ eine Bemerkung, an welche hier wohl erinnert werden darf: „Es hat sich bei den beschriebenen (Schwindel-) Versuchen wiederholt gezeigt, dass ein Ekelgefühl sich hauptsächlich dann einstellte, wenn es schwer war, die Bewegungsempfindungen mit den optischen Eindrücken in Einklang zu bringen. Es sah so aus, als ob ein Theil des vom Labyrinth ausgehenden Reizes gezwungen worden wäre, die optischen Bahnen, die ihm durch einen andern Reiz verschlossen waren, zu verlassen und ganz andere Bahnen einzuschlagen. . . . Auch beim Versuch, Stereoskopbilder mit starken Differenzen zu combiniren, habe ich wiederholt ein Ekelgefühl beobachtet.“ Das ist geradezu das physiologische Schema für die Entstehung pathologischer, hysterischer Phänomene durch die Coexistenz lebhafter, unvereinbarer Vorstellungen.
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[184/0190] auf’s höchste. Dass solcher Conflict unvereinbarer Vorstellungen pathogen wirkt, ist Sache der täglichen Erfahrung. Es handelt sich meist um Vorstellungen und Vorgänge des sexualen Lebens: um Masturbation bei moralisch empfindlichen Adolescenten, um das Bewusstsein der Neigung zu einem fremden Manne bei einer sittenstrengen Frau. Ja, sehr oft genügt das erste Auftauchen sexualer Empfindungen und Vorstellungen an sich schon, um durch den Conflict mit der festgewurzelten Vorstellung von sittlicher Reinheit einen hochgradigen Erregungszustand zu schaffen. 1 Diesem entspringen gewöhnlich psychische Folgen; pathologische Verstimmung, Angstzustände (Freud). Manchmal wird aber durch concurrirende Umstände ein anomales somatisches Phänomen determinirt, in welchem sich die Erregung entladet: Erbrechen, wenn das Gefühl moralischer Beschmutzung ein physisches Ekelgefühl erzeugt; eine Tussis nervosa wie bei Anna O. (Beob. I.), wenn die Gewissensangst Glottiskrampf hervorruft u. dgl. 2 Die Erregung, welche durch sehr lebhafte und durch unvereinbare Vorstellungen erzeugt wird, hat eine normale, adäquate Reaction; die Mittheilung durch die Rede. Wir finden den Drang danach in komischer Uebertreibung in der Geschichte vom Barbier des Midas, der sein Geheimniss in's Schilf hineinruft; wir finden ihn als eine der Grundlagen einer grossartigen historischen Institution in der katholischen Ohrenbeichte. Die Mittheilung erleichtert, sie entladet die Spannung auch dann, wenn sie nicht gegen den Priester geschieht und nicht von der Absolution gefolgt ist. Wird der Erregung dieser Ausweg versperrt, so convertirt sie sich manchmal in ein somatisches Phänomen ebenso wie die Erregung traumatischer Affecte, und wir können die ganze 1 Vgl. für diesen Punkt einige interessante Mittheilungen und Bemerkungen Benedikt's (1889), wiederabgedruckt in der Schrift „Hypnotismus und Suggestion“ 1894 (p. 51 u. ff.) 2 Ich finde in Mach's „Bewegungsempfindungen“ eine Bemerkung, an welche hier wohl erinnert werden darf: „Es hat sich bei den beschriebenen (Schwindel-) Versuchen wiederholt gezeigt, dass ein Ekelgefühl sich hauptsächlich dann einstellte, wenn es schwer war, die Bewegungsempfindungen mit den optischen Eindrücken in Einklang zu bringen. Es sah so aus, als ob ein Theil des vom Labyrinth ausgehenden Reizes gezwungen worden wäre, die optischen Bahnen, die ihm durch einen andern Reiz verschlossen waren, zu verlassen und ganz andere Bahnen einzuschlagen. . . . Auch beim Versuch, Stereoskopbilder mit starken Differenzen zu combiniren, habe ich wiederholt ein Ekelgefühl beobachtet.“ Das ist geradezu das physiologische Schema für die Entstehung pathologischer, hysterischer Phänomene durch die Coexistenz lebhafter, unvereinbarer Vorstellungen.

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/190>, abgerufen am 22.11.2024.