Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.sagte er halb zu sich selbst. "Gute Nacht, und nichts für ungut." Er schüttelte ihr die Hand, die schwach und leblos an ihrer Seite niederhing. Dann traf er seine Reisevorbereitungen. Er wollte sich entschädigen für all' die Anläufe des Fleißes und für diese unterirdischen Monate. In wenigen Tagen war Semesterschluß; er gedachte nicht, so lange auszuhalten. Und ob ich nachher hier zurückkomme? Schwerlich. Ich brauche wieder einmal andere Luft. Aber ich kann's ihr von unterwegs und schriftlich anzeigen, möglich auch, daß ich mich noch anders besinne. Eines Morgens - er war noch nicht lange eingeschlafen - weckte ihn Klopfen und Geschrei vor seiner Zimmerthür. Es war Kathi, die ihn rief, doch um Gotteswillen schnell aufzustehen und zu kommen. Ohne sich recht zu besinnen, fuhr er in die Kleider; draußen stand die breite bäuerliche Person, die Schürze vor den Augen, lief ihm vorauf nach dem Wohnzimmer der Frau, die Thür stand offen, das Putzgeräth lag im Weg. "Was ist?" wollte Iversen fragen; da sah er schon: die Doktorin Röslin saß zurückgelehnt in ihrem Schreibstuhl ohne Bewegung. Erschrocken trat er näher, rief sie an, berührte ihre Hände, die gefaltet im Schoß lagen. Es waren die kalten Hände einer Todten. Das sagte er halb zu sich selbst. „Gute Nacht, und nichts für ungut.“ Er schüttelte ihr die Hand, die schwach und leblos an ihrer Seite niederhing. Dann traf er seine Reisevorbereitungen. Er wollte sich entschädigen für all’ die Anläufe des Fleißes und für diese unterirdischen Monate. In wenigen Tagen war Semesterschluß; er gedachte nicht, so lange auszuhalten. Und ob ich nachher hier zurückkomme? Schwerlich. Ich brauche wieder einmal andere Luft. Aber ich kann’s ihr von unterwegs und schriftlich anzeigen, möglich auch, daß ich mich noch anders besinne. Eines Morgens – er war noch nicht lange eingeschlafen – weckte ihn Klopfen und Geschrei vor seiner Zimmerthür. Es war Kathi, die ihn rief, doch um Gotteswillen schnell aufzustehen und zu kommen. Ohne sich recht zu besinnen, fuhr er in die Kleider; draußen stand die breite bäuerliche Person, die Schürze vor den Augen, lief ihm vorauf nach dem Wohnzimmer der Frau, die Thür stand offen, das Putzgeräth lag im Weg. „Was ist?“ wollte Iversen fragen; da sah er schon: die Doktorin Röslin saß zurückgelehnt in ihrem Schreibstuhl ohne Bewegung. Erschrocken trat er näher, rief sie an, berührte ihre Hände, die gefaltet im Schoß lagen. Es waren die kalten Hände einer Todten. Das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0080" n="72"/> sagte er halb zu sich selbst. „Gute Nacht, und nichts für ungut.“ Er schüttelte ihr die Hand, die schwach und leblos an ihrer Seite niederhing.</p> <p>Dann traf er seine Reisevorbereitungen. Er wollte sich entschädigen für all’ die Anläufe des Fleißes und für diese unterirdischen Monate. In wenigen Tagen war Semesterschluß; er gedachte nicht, so lange auszuhalten. Und ob ich nachher hier zurückkomme? Schwerlich. Ich brauche wieder einmal andere Luft. Aber ich kann’s ihr von unterwegs und schriftlich anzeigen, möglich auch, daß ich mich noch anders besinne.</p> <p>Eines Morgens – er war noch nicht lange eingeschlafen – weckte ihn Klopfen und Geschrei vor seiner Zimmerthür.</p> <p>Es war Kathi, die ihn rief, doch um Gotteswillen schnell aufzustehen und zu kommen.</p> <p>Ohne sich recht zu besinnen, fuhr er in die Kleider; draußen stand die breite bäuerliche Person, die Schürze vor den Augen, lief ihm vorauf nach dem Wohnzimmer der Frau, die Thür stand offen, das Putzgeräth lag im Weg.</p> <p>„Was ist?“ wollte Iversen fragen; da sah er schon: die Doktorin Röslin saß zurückgelehnt in ihrem Schreibstuhl ohne Bewegung. Erschrocken trat er näher, rief sie an, berührte ihre Hände, die gefaltet im Schoß lagen.</p> <p>Es waren die kalten Hände einer Todten. Das </p> </div> </body> </text> </TEI> [72/0080]
sagte er halb zu sich selbst. „Gute Nacht, und nichts für ungut.“ Er schüttelte ihr die Hand, die schwach und leblos an ihrer Seite niederhing.
Dann traf er seine Reisevorbereitungen. Er wollte sich entschädigen für all’ die Anläufe des Fleißes und für diese unterirdischen Monate. In wenigen Tagen war Semesterschluß; er gedachte nicht, so lange auszuhalten. Und ob ich nachher hier zurückkomme? Schwerlich. Ich brauche wieder einmal andere Luft. Aber ich kann’s ihr von unterwegs und schriftlich anzeigen, möglich auch, daß ich mich noch anders besinne.
Eines Morgens – er war noch nicht lange eingeschlafen – weckte ihn Klopfen und Geschrei vor seiner Zimmerthür.
Es war Kathi, die ihn rief, doch um Gotteswillen schnell aufzustehen und zu kommen.
Ohne sich recht zu besinnen, fuhr er in die Kleider; draußen stand die breite bäuerliche Person, die Schürze vor den Augen, lief ihm vorauf nach dem Wohnzimmer der Frau, die Thür stand offen, das Putzgeräth lag im Weg.
„Was ist?“ wollte Iversen fragen; da sah er schon: die Doktorin Röslin saß zurückgelehnt in ihrem Schreibstuhl ohne Bewegung. Erschrocken trat er näher, rief sie an, berührte ihre Hände, die gefaltet im Schoß lagen.
Es waren die kalten Hände einer Todten. Das
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Zitationshilfe: | Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/80>, abgerufen am 23.07.2024. |