Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.es lag in seiner Natur, sie zu suchen. Er schrieb nun Verse, Klagen über seine Verlassenheit, die ihn selber bewegten; er sagte der Doktorin Röslin eines Tages: "Morgen werd' ich mir wieder erlauben, Ihnen ein Briefchen anzuvertrauen, meine Korrespondentin wartet schon seit vierzehn Tagen." Die Doktorin war von ungewohntem Ernst: "Ich habe versprechen müssen, nichts mehr anzunehmen; ich dachte, Sie wüßten es." Iversen blickte sie durchdringend an. "Ich wußte es nicht," sagte er langsam, "aber, Sie scherzen nicht? Sie würden kein Billet mehr annehmen?" Die Frau verneinte stumm. "Aber, mein Gott, was ist denn vorgefallen? Warum werde ich so im Dunklen gehalten? Glauben Sie denn, daß es mir gleichgültig ist?" Eine ungewohnte Wärme war in seiner Stimme, sein Gesicht hatte sich gefärbt, deutliche Spannung sprach aus seinen Augen. "Ich darf Ihnen nichts verrathen! Verzeihen Sie mir!" Die Frau ergriff die Klinke ihrer Schlafzimmerthür, sie hatte mit tief bewegtem Ton gesprochen, er zweifelte nicht, daß sie ihm alles mitgetheilt, wenn sie gedurft hätte. Dennoch kam er sich wie ein Narr vor, wie ein Kind, das man weggelockt hat und das den Weg nach Hause nicht mehr findet. Und diese Weiber hängen es lag in seiner Natur, sie zu suchen. Er schrieb nun Verse, Klagen über seine Verlassenheit, die ihn selber bewegten; er sagte der Doktorin Röslin eines Tages: „Morgen werd’ ich mir wieder erlauben, Ihnen ein Briefchen anzuvertrauen, meine Korrespondentin wartet schon seit vierzehn Tagen.“ Die Doktorin war von ungewohntem Ernst: „Ich habe versprechen müssen, nichts mehr anzunehmen; ich dachte, Sie wüßten es.“ Iversen blickte sie durchdringend an. „Ich wußte es nicht,“ sagte er langsam, „aber, Sie scherzen nicht? Sie würden kein Billet mehr annehmen?“ Die Frau verneinte stumm. „Aber, mein Gott, was ist denn vorgefallen? Warum werde ich so im Dunklen gehalten? Glauben Sie denn, daß es mir gleichgültig ist?“ Eine ungewohnte Wärme war in seiner Stimme, sein Gesicht hatte sich gefärbt, deutliche Spannung sprach aus seinen Augen. „Ich darf Ihnen nichts verrathen! Verzeihen Sie mir!“ Die Frau ergriff die Klinke ihrer Schlafzimmerthür, sie hatte mit tief bewegtem Ton gesprochen, er zweifelte nicht, daß sie ihm alles mitgetheilt, wenn sie gedurft hätte. Dennoch kam er sich wie ein Narr vor, wie ein Kind, das man weggelockt hat und das den Weg nach Hause nicht mehr findet. Und diese Weiber hängen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0078" n="70"/> es lag in seiner Natur, sie zu suchen. Er schrieb nun Verse, Klagen über seine Verlassenheit, die ihn selber bewegten; er sagte der Doktorin Röslin eines Tages: „Morgen werd’ ich mir wieder erlauben, Ihnen ein Briefchen anzuvertrauen, meine Korrespondentin wartet schon seit vierzehn Tagen.“</p> <p>Die Doktorin war von ungewohntem Ernst: „Ich habe versprechen müssen, nichts mehr anzunehmen; ich dachte, Sie wüßten es.“</p> <p>Iversen blickte sie durchdringend an. „Ich wußte es nicht,“ sagte er langsam, „aber, Sie scherzen nicht? Sie würden kein Billet mehr annehmen?“</p> <p>Die Frau verneinte stumm.</p> <p>„Aber, mein Gott, was ist denn vorgefallen? Warum werde ich so im Dunklen gehalten? Glauben Sie denn, daß es mir gleichgültig ist?“ Eine ungewohnte Wärme war in seiner Stimme, sein Gesicht hatte sich gefärbt, deutliche Spannung sprach aus seinen Augen.</p> <p>„Ich darf Ihnen nichts verrathen! Verzeihen Sie mir!“</p> <p>Die Frau ergriff die Klinke ihrer Schlafzimmerthür, sie hatte mit tief bewegtem Ton gesprochen, er zweifelte nicht, daß sie ihm alles mitgetheilt, wenn sie gedurft hätte.</p> <p>Dennoch kam er sich wie ein Narr vor, wie ein Kind, das man weggelockt hat und das den Weg nach Hause nicht mehr findet. Und diese Weiber hängen </p> </div> </body> </text> </TEI> [70/0078]
es lag in seiner Natur, sie zu suchen. Er schrieb nun Verse, Klagen über seine Verlassenheit, die ihn selber bewegten; er sagte der Doktorin Röslin eines Tages: „Morgen werd’ ich mir wieder erlauben, Ihnen ein Briefchen anzuvertrauen, meine Korrespondentin wartet schon seit vierzehn Tagen.“
Die Doktorin war von ungewohntem Ernst: „Ich habe versprechen müssen, nichts mehr anzunehmen; ich dachte, Sie wüßten es.“
Iversen blickte sie durchdringend an. „Ich wußte es nicht,“ sagte er langsam, „aber, Sie scherzen nicht? Sie würden kein Billet mehr annehmen?“
Die Frau verneinte stumm.
„Aber, mein Gott, was ist denn vorgefallen? Warum werde ich so im Dunklen gehalten? Glauben Sie denn, daß es mir gleichgültig ist?“ Eine ungewohnte Wärme war in seiner Stimme, sein Gesicht hatte sich gefärbt, deutliche Spannung sprach aus seinen Augen.
„Ich darf Ihnen nichts verrathen! Verzeihen Sie mir!“
Die Frau ergriff die Klinke ihrer Schlafzimmerthür, sie hatte mit tief bewegtem Ton gesprochen, er zweifelte nicht, daß sie ihm alles mitgetheilt, wenn sie gedurft hätte.
Dennoch kam er sich wie ein Narr vor, wie ein Kind, das man weggelockt hat und das den Weg nach Hause nicht mehr findet. Und diese Weiber hängen
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