Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.ab. Sie plauderten dann, und wider Willen - er hatte übrigens seine zuletzt geschriebenen Verse in der Hand - sprach Iversen einige Worte über das seltsame Verhältnis. "Denken Sie sich, ich kenne meine Korrespondentin bis zur Stunde nicht," sagte er zutraulich. "Aber ich werde sie kennen lernen, und dann soll sie mir büßen für alle diese Wochen," setzte er übermüthigen Tones hinzu. Ihr verwunderter, verlegener Blick machte ihn lächeln. "Wenn Sie eine Tochter hätten, könnte sie Ihre Tochter sein." Er überraschte sich selbst mit diesem Einfall; irgend eine plötzliche Kombination, deren Glieder ihm selber dunkel waren, hatte sich da vollzogen. Von der Doktorin hatte er nur einen unbestimmten Laut als Erwiderung gehört. "Ich habe Sie doch nicht beleidigt?" sagte er lebhaft nach einer Pause. "Sie brauchten sich wahrhaftig nicht zu schämen, wenn Sie solche Tochter hätten, oder finden Sie, daß eine Dame überhaupt nicht comme il faut ist, wenn sie an einen Mann schreibt?" Er beugte sich neugierig vor, um ihre Antwort zu hören; sie blickte nicht von ihrer Handarbeit auf, er fand sie blaß und erschöpft aussehen und schloß aus ihrer Einsilbigkeit, daß er sich empfehlen solle. "Ich glaube, die Frauen und Mädchen sind furchtbar engherzig gegen ihre eigenen Geschlechtsgenossinnen," bemerkte er etwas hochfahrend, während er aufstand, "ich wette, ab. Sie plauderten dann, und wider Willen – er hatte übrigens seine zuletzt geschriebenen Verse in der Hand – sprach Iversen einige Worte über das seltsame Verhältnis. „Denken Sie sich, ich kenne meine Korrespondentin bis zur Stunde nicht,“ sagte er zutraulich. „Aber ich werde sie kennen lernen, und dann soll sie mir büßen für alle diese Wochen,“ setzte er übermüthigen Tones hinzu. Ihr verwunderter, verlegener Blick machte ihn lächeln. „Wenn Sie eine Tochter hätten, könnte sie Ihre Tochter sein.“ Er überraschte sich selbst mit diesem Einfall; irgend eine plötzliche Kombination, deren Glieder ihm selber dunkel waren, hatte sich da vollzogen. Von der Doktorin hatte er nur einen unbestimmten Laut als Erwiderung gehört. „Ich habe Sie doch nicht beleidigt?“ sagte er lebhaft nach einer Pause. „Sie brauchten sich wahrhaftig nicht zu schämen, wenn Sie solche Tochter hätten, oder finden Sie, daß eine Dame überhaupt nicht comme il faut ist, wenn sie an einen Mann schreibt?“ Er beugte sich neugierig vor, um ihre Antwort zu hören; sie blickte nicht von ihrer Handarbeit auf, er fand sie blaß und erschöpft aussehen und schloß aus ihrer Einsilbigkeit, daß er sich empfehlen solle. „Ich glaube, die Frauen und Mädchen sind furchtbar engherzig gegen ihre eigenen Geschlechtsgenossinnen,“ bemerkte er etwas hochfahrend, während er aufstand, „ich wette, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0069" n="61"/> ab. Sie plauderten dann, und wider Willen – er hatte übrigens seine zuletzt geschriebenen Verse in der Hand – sprach Iversen einige Worte über das seltsame Verhältnis.</p> <p>„Denken Sie sich, ich kenne meine Korrespondentin bis zur Stunde nicht,“ sagte er zutraulich. „Aber ich werde sie kennen lernen, und dann soll sie mir büßen für alle diese Wochen,“ setzte er übermüthigen Tones hinzu. Ihr verwunderter, verlegener Blick machte ihn lächeln. „Wenn Sie eine Tochter hätten, könnte sie Ihre Tochter sein.“ Er überraschte sich selbst mit diesem Einfall; irgend eine plötzliche Kombination, deren Glieder ihm selber dunkel waren, hatte sich da vollzogen. Von der Doktorin hatte er nur einen unbestimmten Laut als Erwiderung gehört. „Ich habe Sie doch nicht beleidigt?“ sagte er lebhaft nach einer Pause. „Sie brauchten sich wahrhaftig nicht zu schämen, wenn Sie solche Tochter hätten, oder finden Sie, daß eine Dame überhaupt nicht <hi rendition="#aq">comme il faut</hi> ist, wenn sie an einen Mann schreibt?“ Er beugte sich neugierig vor, um ihre Antwort zu hören; sie blickte nicht von ihrer Handarbeit auf, er fand sie blaß und erschöpft aussehen und schloß aus ihrer Einsilbigkeit, daß er sich empfehlen solle. „Ich glaube, die Frauen und Mädchen sind furchtbar engherzig gegen ihre eigenen Geschlechtsgenossinnen,“ bemerkte er etwas hochfahrend, während er aufstand, „ich wette, </p> </div> </body> </text> </TEI> [61/0069]
ab. Sie plauderten dann, und wider Willen – er hatte übrigens seine zuletzt geschriebenen Verse in der Hand – sprach Iversen einige Worte über das seltsame Verhältnis.
„Denken Sie sich, ich kenne meine Korrespondentin bis zur Stunde nicht,“ sagte er zutraulich. „Aber ich werde sie kennen lernen, und dann soll sie mir büßen für alle diese Wochen,“ setzte er übermüthigen Tones hinzu. Ihr verwunderter, verlegener Blick machte ihn lächeln. „Wenn Sie eine Tochter hätten, könnte sie Ihre Tochter sein.“ Er überraschte sich selbst mit diesem Einfall; irgend eine plötzliche Kombination, deren Glieder ihm selber dunkel waren, hatte sich da vollzogen. Von der Doktorin hatte er nur einen unbestimmten Laut als Erwiderung gehört. „Ich habe Sie doch nicht beleidigt?“ sagte er lebhaft nach einer Pause. „Sie brauchten sich wahrhaftig nicht zu schämen, wenn Sie solche Tochter hätten, oder finden Sie, daß eine Dame überhaupt nicht comme il faut ist, wenn sie an einen Mann schreibt?“ Er beugte sich neugierig vor, um ihre Antwort zu hören; sie blickte nicht von ihrer Handarbeit auf, er fand sie blaß und erschöpft aussehen und schloß aus ihrer Einsilbigkeit, daß er sich empfehlen solle. „Ich glaube, die Frauen und Mädchen sind furchtbar engherzig gegen ihre eigenen Geschlechtsgenossinnen,“ bemerkte er etwas hochfahrend, während er aufstand, „ich wette,
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Zitationshilfe: | Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/69>, abgerufen am 23.07.2024. |