Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.wenn mein Schwager morgen auf die Synode fährt" frohlockte Tante Martha. "Ich bin nämlich immer etwas ängstlicher Natur. So ein Haus voll unbeschützter Frauen, das ist wirklich - ich weiß wohl, wir stehen Alle in Gottes Hand, aber das hindert doch nicht, das manchmal eingebrochen wird." Axel schien an Ernst und Würde noch zu wachsen. Er füllte sogar bei Tisch die Suppe auf die Teller. Nur vermied er, Lisbeth anzusehen, wenn er so den Hausvater spielte. Ihre Lippen zuckten zu ansteckend. Im dunklen Treppenwinkel begegneten sie sich wieder einmal allein. Er zog sie dicht in seine Arme. "Lisbeth, wie wollen wir uns schadlos halten, wenn wir erst zusammen sind! All die Philisterei übern Haufen, freust Du Dich?" Es war das erste Mal, daß sie sich küßten, lautlos und heiß; Lisbeth vergaß alle Vorsicht, auf ein Haar hätte Frieda sie überrascht. "Sobald Papa zurückkommt, frag ich ihn," sagte Axel, aber Lisbeth wollte, daß es erst am letzten Tage seines Dortseins geschehen solle. Sie wäre am liebsten jetzt mit ihm davongegangen, ohne ein Wort über ihr Verhältniß zu hören: "Sie werden es machen, bis alles gewöhnlich ist, wie bei den anderen Menschen," klagte sie; "ich möchte es ganz für mich behalten, aber sie leiden es nicht - und ich mag kein Familiengespräch sein." wenn mein Schwager morgen auf die Synode fährt“ frohlockte Tante Martha. „Ich bin nämlich immer etwas ängstlicher Natur. So ein Haus voll unbeschützter Frauen, das ist wirklich – ich weiß wohl, wir stehen Alle in Gottes Hand, aber das hindert doch nicht, das manchmal eingebrochen wird.“ Axel schien an Ernst und Würde noch zu wachsen. Er füllte sogar bei Tisch die Suppe auf die Teller. Nur vermied er, Lisbeth anzusehen, wenn er so den Hausvater spielte. Ihre Lippen zuckten zu ansteckend. Im dunklen Treppenwinkel begegneten sie sich wieder einmal allein. Er zog sie dicht in seine Arme. „Lisbeth, wie wollen wir uns schadlos halten, wenn wir erst zusammen sind! All die Philisterei übern Haufen, freust Du Dich?“ Es war das erste Mal, daß sie sich küßten, lautlos und heiß; Lisbeth vergaß alle Vorsicht, auf ein Haar hätte Frieda sie überrascht. „Sobald Papa zurückkommt, frag ich ihn,“ sagte Axel, aber Lisbeth wollte, daß es erst am letzten Tage seines Dortseins geschehen solle. Sie wäre am liebsten jetzt mit ihm davongegangen, ohne ein Wort über ihr Verhältniß zu hören: „Sie werden es machen, bis alles gewöhnlich ist, wie bei den anderen Menschen,“ klagte sie; „ich möchte es ganz für mich behalten, aber sie leiden es nicht – und ich mag kein Familiengespräch sein.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0377" n="369"/> wenn mein Schwager morgen auf die Synode fährt“ frohlockte Tante Martha. „Ich bin nämlich immer etwas ängstlicher Natur. So ein Haus voll unbeschützter Frauen, das ist wirklich – ich weiß wohl, wir stehen Alle in Gottes Hand, aber das hindert doch nicht, das manchmal eingebrochen wird.“</p> <p>Axel schien an Ernst und Würde noch zu wachsen. Er füllte sogar bei Tisch die Suppe auf die Teller. Nur vermied er, Lisbeth anzusehen, wenn er so den Hausvater spielte. Ihre Lippen zuckten zu ansteckend. Im dunklen Treppenwinkel begegneten sie sich wieder einmal allein. Er zog sie dicht in seine Arme. „Lisbeth, wie wollen wir uns schadlos halten, wenn wir erst zusammen sind! All die Philisterei übern Haufen, freust Du Dich?“</p> <p>Es war das erste Mal, daß sie sich küßten, lautlos und heiß; Lisbeth vergaß alle Vorsicht, auf ein Haar hätte Frieda sie überrascht.</p> <p>„Sobald Papa zurückkommt, frag ich ihn,“ sagte Axel, aber Lisbeth wollte, daß es erst am letzten Tage seines Dortseins geschehen solle. Sie wäre am liebsten jetzt mit ihm davongegangen, ohne ein Wort über ihr Verhältniß zu hören: „Sie werden es machen, bis alles gewöhnlich ist, wie bei den anderen Menschen,“ klagte sie; „ich möchte es ganz für mich behalten, aber sie leiden es nicht – und ich mag kein Familiengespräch sein.“</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [369/0377]
wenn mein Schwager morgen auf die Synode fährt“ frohlockte Tante Martha. „Ich bin nämlich immer etwas ängstlicher Natur. So ein Haus voll unbeschützter Frauen, das ist wirklich – ich weiß wohl, wir stehen Alle in Gottes Hand, aber das hindert doch nicht, das manchmal eingebrochen wird.“
Axel schien an Ernst und Würde noch zu wachsen. Er füllte sogar bei Tisch die Suppe auf die Teller. Nur vermied er, Lisbeth anzusehen, wenn er so den Hausvater spielte. Ihre Lippen zuckten zu ansteckend. Im dunklen Treppenwinkel begegneten sie sich wieder einmal allein. Er zog sie dicht in seine Arme. „Lisbeth, wie wollen wir uns schadlos halten, wenn wir erst zusammen sind! All die Philisterei übern Haufen, freust Du Dich?“
Es war das erste Mal, daß sie sich küßten, lautlos und heiß; Lisbeth vergaß alle Vorsicht, auf ein Haar hätte Frieda sie überrascht.
„Sobald Papa zurückkommt, frag ich ihn,“ sagte Axel, aber Lisbeth wollte, daß es erst am letzten Tage seines Dortseins geschehen solle. Sie wäre am liebsten jetzt mit ihm davongegangen, ohne ein Wort über ihr Verhältniß zu hören: „Sie werden es machen, bis alles gewöhnlich ist, wie bei den anderen Menschen,“ klagte sie; „ich möchte es ganz für mich behalten, aber sie leiden es nicht – und ich mag kein Familiengespräch sein.“
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Zitationshilfe: | Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 369. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/377>, abgerufen am 23.07.2024. |