Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

sind uns bekanntlich an Schlauheit weit überlegen. Na, werden Deine Alten aber Augen machen, wenn Du nicht wiederkommst! Famos, so muß man's ihnen zeigen, dann geben sie sich sofort und kriegen den nöthigen Respekt. Zeigen, daß man eine Individualität hat, darauf kommt es an. Allein könntest Du es natürlich nicht zu Stande bringen, aber mit meiner Hülfe geht alles. Hinterlasse ja keinen Abschiedsbrief, den sie womöglich früh finden; wir schreiben ihnen dann beide von hier aus. Überhaupt keine Sentimentalitäten! ich sage Dir, mit Weglaufen kommt man am weitesten. Ich möchte auch nicht, daß Du noch einmal einem solchen Tyrannen in die Hände fielest wie Deinem verflossenen Bräutigam, von dem ich bis dahin kein Sterbenswort gewußt habe. Übrigens muß ich sagen, es wird wohl nicht viel Liebe dabei gewesen sein, denn in solchem Falle thut man wirklich alles, was der andere haben will. Ich weiß das aus Erfahrung, Lisbeth, ich könnte Dir auch ein paar Geschichten erzählen - nun, vielleicht mündlich. - Du willst wissen, was ein symbiotischer Zustand ist, hast also nie von Symbiose gehört? Das ist stark! Also Symbiose heißt eigentlich Zusammenleben, und zwar eines, das nicht auf den Geschlechtsunterschied gegründet ist, sondern auf gegenseitige Dienstleistung. So bei den Flechten: der Pilz gibt die Festigkeit, den Boden so zu sagen, die Alge schafft das Chlorophyll, die

sind uns bekanntlich an Schlauheit weit überlegen. Na, werden Deine Alten aber Augen machen, wenn Du nicht wiederkommst! Famos, so muß man’s ihnen zeigen, dann geben sie sich sofort und kriegen den nöthigen Respekt. Zeigen, daß man eine Individualität hat, darauf kommt es an. Allein könntest Du es natürlich nicht zu Stande bringen, aber mit meiner Hülfe geht alles. Hinterlasse ja keinen Abschiedsbrief, den sie womöglich früh finden; wir schreiben ihnen dann beide von hier aus. Überhaupt keine Sentimentalitäten! ich sage Dir, mit Weglaufen kommt man am weitesten. Ich möchte auch nicht, daß Du noch einmal einem solchen Tyrannen in die Hände fielest wie Deinem verflossenen Bräutigam, von dem ich bis dahin kein Sterbenswort gewußt habe. Übrigens muß ich sagen, es wird wohl nicht viel Liebe dabei gewesen sein, denn in solchem Falle thut man wirklich alles, was der andere haben will. Ich weiß das aus Erfahrung, Lisbeth, ich könnte Dir auch ein paar Geschichten erzählen – nun, vielleicht mündlich. – Du willst wissen, was ein symbiotischer Zustand ist, hast also nie von Symbiose gehört? Das ist stark! Also Symbiose heißt eigentlich Zusammenleben, und zwar eines, das nicht auf den Geschlechtsunterschied gegründet ist, sondern auf gegenseitige Dienstleistung. So bei den Flechten: der Pilz gibt die Festigkeit, den Boden so zu sagen, die Alge schafft das Chlorophyll, die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="letter" n="2">
          <p><pb facs="#f0340" n="332"/>
sind uns bekanntlich an Schlauheit weit überlegen. Na, werden Deine Alten aber Augen machen, wenn Du nicht wiederkommst! Famos, so muß man&#x2019;s ihnen zeigen, dann geben sie sich sofort und kriegen den nöthigen Respekt. Zeigen, daß man eine Individualität hat, darauf kommt es an. Allein könntest Du es natürlich nicht zu Stande bringen, aber mit meiner Hülfe geht alles. Hinterlasse ja keinen Abschiedsbrief, den sie womöglich früh finden; wir schreiben ihnen dann beide von hier aus. Überhaupt keine Sentimentalitäten! ich sage Dir, mit Weglaufen kommt man am weitesten. Ich möchte auch nicht, daß Du noch einmal einem solchen Tyrannen in die Hände fielest wie Deinem verflossenen Bräutigam, von dem ich bis dahin kein Sterbenswort gewußt habe. Übrigens muß ich sagen, es wird wohl nicht viel Liebe dabei gewesen sein, denn in solchem Falle thut man wirklich alles, was der andere haben will. Ich weiß das aus Erfahrung, Lisbeth, ich könnte Dir auch ein paar Geschichten erzählen &#x2013; nun, vielleicht mündlich. &#x2013; Du willst wissen, was ein symbiotischer Zustand ist, hast also nie von Symbiose gehört? Das ist stark! Also Symbiose heißt eigentlich Zusammenleben, und zwar eines, das nicht auf den Geschlechtsunterschied gegründet ist, sondern auf gegenseitige Dienstleistung. So bei den Flechten: der Pilz gibt die Festigkeit, den Boden so zu sagen, die Alge schafft das Chlorophyll, die
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[332/0340] sind uns bekanntlich an Schlauheit weit überlegen. Na, werden Deine Alten aber Augen machen, wenn Du nicht wiederkommst! Famos, so muß man’s ihnen zeigen, dann geben sie sich sofort und kriegen den nöthigen Respekt. Zeigen, daß man eine Individualität hat, darauf kommt es an. Allein könntest Du es natürlich nicht zu Stande bringen, aber mit meiner Hülfe geht alles. Hinterlasse ja keinen Abschiedsbrief, den sie womöglich früh finden; wir schreiben ihnen dann beide von hier aus. Überhaupt keine Sentimentalitäten! ich sage Dir, mit Weglaufen kommt man am weitesten. Ich möchte auch nicht, daß Du noch einmal einem solchen Tyrannen in die Hände fielest wie Deinem verflossenen Bräutigam, von dem ich bis dahin kein Sterbenswort gewußt habe. Übrigens muß ich sagen, es wird wohl nicht viel Liebe dabei gewesen sein, denn in solchem Falle thut man wirklich alles, was der andere haben will. Ich weiß das aus Erfahrung, Lisbeth, ich könnte Dir auch ein paar Geschichten erzählen – nun, vielleicht mündlich. – Du willst wissen, was ein symbiotischer Zustand ist, hast also nie von Symbiose gehört? Das ist stark! Also Symbiose heißt eigentlich Zusammenleben, und zwar eines, das nicht auf den Geschlechtsunterschied gegründet ist, sondern auf gegenseitige Dienstleistung. So bei den Flechten: der Pilz gibt die Festigkeit, den Boden so zu sagen, die Alge schafft das Chlorophyll, die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/340
Zitationshilfe: Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/340>, abgerufen am 21.11.2024.