Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

behüte! Er an die Vierzig, sie Mitte der Dreißiger, aber beide von der Menschensorte, bei der die Elasticität des Geistes, die Energie des Gefühls die Jugendzeit weit überdauert. Sie hatten einander Noten geliehen und musikalische Begeisterung ausgetauscht. An einem Charfreitage vor nun zweiundzwanzig Jahren bekam die Klavierlehrerin zwei Billette für die Schöpfung; der Musikalien-Händler schenkte sie ihr, da er selber am Gehen verhindert war. Hermine Rothe aber schickte eine der Karten ihrem Hausgenossen Schaible aufs Zimmer; und nachmittags um drei saßen sie verlegen und gespannt, ziemlich fremd noch und wortlos neben einander auf der obersten Galerie, bis nach dem Tongewirre des Chaos, ganz wie heute, das Licht sich ausgoß wie eine breite segnende Strahlengarbe, und ihre Blicke sich zum ersten Mal in einem entzückten, Verständniß suchenden und findenden Leuchten begegneten. Schnell hatten sie sich damals wieder abgewandt, aber nur, um sich prüfend, tastend wieder zusammenzuschleichen, sobald sie sich von einer Stelle tiefer gepackt fühlten. ,Der helle Bach', ,das zarte Taubenpaar', ,die Sonne, - ein wonnevoller Bräutigam, ein Riese stolz und froh, zu rennen seine Bahn'. ,Vor Freude brüllend steht der Löwe da'. - ,In langen Zügen das Gewürm'. - Sie wußten später ganz genau, wie die Stellen hießen, die ihre Blicke zusammengeführt hatten. Und dann in der Arie,

behüte! Er an die Vierzig, sie Mitte der Dreißiger, aber beide von der Menschensorte, bei der die Elasticität des Geistes, die Energie des Gefühls die Jugendzeit weit überdauert. Sie hatten einander Noten geliehen und musikalische Begeisterung ausgetauscht. An einem Charfreitage vor nun zweiundzwanzig Jahren bekam die Klavierlehrerin zwei Billette für die Schöpfung; der Musikalien-Händler schenkte sie ihr, da er selber am Gehen verhindert war. Hermine Rothe aber schickte eine der Karten ihrem Hausgenossen Schaible aufs Zimmer; und nachmittags um drei saßen sie verlegen und gespannt, ziemlich fremd noch und wortlos neben einander auf der obersten Galerie, bis nach dem Tongewirre des Chaos, ganz wie heute, das Licht sich ausgoß wie eine breite segnende Strahlengarbe, und ihre Blicke sich zum ersten Mal in einem entzückten, Verständniß suchenden und findenden Leuchten begegneten. Schnell hatten sie sich damals wieder abgewandt, aber nur, um sich prüfend, tastend wieder zusammenzuschleichen, sobald sie sich von einer Stelle tiefer gepackt fühlten. ‚Der helle Bach‘, ‚das zarte Taubenpaar‘, ‚die Sonne, – ein wonnevoller Bräutigam, ein Riese stolz und froh, zu rennen seine Bahn‘. ‚Vor Freude brüllend steht der Löwe da‘. – ‚In langen Zügen das Gewürm‘. – Sie wußten später ganz genau, wie die Stellen hießen, die ihre Blicke zusammengeführt hatten. Und dann in der Arie,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0300" n="292"/>
behüte! Er an die Vierzig, sie Mitte der Dreißiger, aber beide von der Menschensorte, bei der die Elasticität des Geistes, die Energie des Gefühls die Jugendzeit weit überdauert. Sie hatten einander Noten geliehen und musikalische Begeisterung ausgetauscht. An einem Charfreitage vor nun zweiundzwanzig Jahren bekam die Klavierlehrerin zwei Billette für die Schöpfung; der Musikalien-Händler schenkte sie ihr, da er selber am Gehen verhindert war. Hermine Rothe aber schickte eine der Karten ihrem Hausgenossen Schaible aufs Zimmer; und nachmittags um drei saßen sie verlegen und gespannt, ziemlich fremd noch und wortlos neben einander auf der obersten Galerie, bis nach dem Tongewirre des Chaos, ganz wie heute, das Licht sich ausgoß wie eine breite segnende Strahlengarbe, und ihre Blicke sich zum ersten Mal in einem entzückten, Verständniß suchenden und findenden Leuchten begegneten. Schnell hatten sie sich damals wieder abgewandt, aber nur, um sich prüfend, tastend wieder zusammenzuschleichen, sobald sie sich von einer Stelle tiefer gepackt fühlten. &#x201A;Der helle Bach&#x2018;, &#x201A;das zarte Taubenpaar&#x2018;, &#x201A;die Sonne, &#x2013; ein wonnevoller Bräutigam, ein Riese stolz und froh, zu rennen seine Bahn&#x2018;. &#x201A;Vor Freude brüllend steht der Löwe da&#x2018;. &#x2013; &#x201A;In langen Zügen das Gewürm&#x2018;. &#x2013; Sie wußten später ganz genau, wie die Stellen hießen, die ihre Blicke zusammengeführt hatten. Und dann in der Arie,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[292/0300] behüte! Er an die Vierzig, sie Mitte der Dreißiger, aber beide von der Menschensorte, bei der die Elasticität des Geistes, die Energie des Gefühls die Jugendzeit weit überdauert. Sie hatten einander Noten geliehen und musikalische Begeisterung ausgetauscht. An einem Charfreitage vor nun zweiundzwanzig Jahren bekam die Klavierlehrerin zwei Billette für die Schöpfung; der Musikalien-Händler schenkte sie ihr, da er selber am Gehen verhindert war. Hermine Rothe aber schickte eine der Karten ihrem Hausgenossen Schaible aufs Zimmer; und nachmittags um drei saßen sie verlegen und gespannt, ziemlich fremd noch und wortlos neben einander auf der obersten Galerie, bis nach dem Tongewirre des Chaos, ganz wie heute, das Licht sich ausgoß wie eine breite segnende Strahlengarbe, und ihre Blicke sich zum ersten Mal in einem entzückten, Verständniß suchenden und findenden Leuchten begegneten. Schnell hatten sie sich damals wieder abgewandt, aber nur, um sich prüfend, tastend wieder zusammenzuschleichen, sobald sie sich von einer Stelle tiefer gepackt fühlten. ‚Der helle Bach‘, ‚das zarte Taubenpaar‘, ‚die Sonne, – ein wonnevoller Bräutigam, ein Riese stolz und froh, zu rennen seine Bahn‘. ‚Vor Freude brüllend steht der Löwe da‘. – ‚In langen Zügen das Gewürm‘. – Sie wußten später ganz genau, wie die Stellen hießen, die ihre Blicke zusammengeführt hatten. Und dann in der Arie,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.
  • Geviertstriche (—) wurden durch Halbgeviertstriche ersetzt (–).



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/300
Zitationshilfe: Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/300>, abgerufen am 23.11.2024.