Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.ihm die weinende Pflegemutter, und ihr Mann mit abgezogenem Hut und einer verlegenen, reuevollen Verdrießlichkeit in dem stumpfen Gesicht. Der Pfarrer sprach, - laut, strafend, unversöhnlich. Das größte Verbrechen ist das gegen das eigene gottgeschenkte Leben. Verirrte junge Sünderin, was wirst Du antworten, wenn jene Stimme von oben Dich fragt: "wie hast Du mein Geschenk angewendet?" Hohle nichtige Eitelkeit ist hier Herr geworden, alle natürlichen Pflichten sind in den Staub getreten worden. O, lasset uns beten, daß Gnade vor Recht ergehe, daß auch dies sündige Kind nicht auf ewig verworfen werde. - - So ging es fort. Nach den ersten Worten schon hatten die Schaibles einen langen Blick getauscht und sich die Hand gereicht, wie zu Schutz und Trutz. Frau Herminens Antlitz gerieth immer mehr in zuckende Bewegung, sie hielt sich mit Mühe zurück. Kaum waren die letzten Gebetworte verklungen, so trat sie einen Schritt vor und sagte mit Schrill vor Aufregung klingender Stimme: "Herr Pfarrer, ich protestiere gegen Ihre unchristliche, in jeder Beziehung verständnißlose - -" Der Angegriffene blinzelte, zog die Brauen zusammen, hielt die Hand hinters Ohr und sagte kalt: "Wünschen Sie etwas von mir, gute Frau?" - Der Souffleur hatte seine Hermine schon zurückgezogen. "Du siehscht, er will net verstanden haben, - komm, komm, sonst gibt's 'n ihm die weinende Pflegemutter, und ihr Mann mit abgezogenem Hut und einer verlegenen, reuevollen Verdrießlichkeit in dem stumpfen Gesicht. Der Pfarrer sprach, – laut, strafend, unversöhnlich. Das größte Verbrechen ist das gegen das eigene gottgeschenkte Leben. Verirrte junge Sünderin, was wirst Du antworten, wenn jene Stimme von oben Dich fragt: „wie hast Du mein Geschenk angewendet?“ Hohle nichtige Eitelkeit ist hier Herr geworden, alle natürlichen Pflichten sind in den Staub getreten worden. O, lasset uns beten, daß Gnade vor Recht ergehe, daß auch dies sündige Kind nicht auf ewig verworfen werde. – – So ging es fort. Nach den ersten Worten schon hatten die Schaibles einen langen Blick getauscht und sich die Hand gereicht, wie zu Schutz und Trutz. Frau Herminens Antlitz gerieth immer mehr in zuckende Bewegung, sie hielt sich mit Mühe zurück. Kaum waren die letzten Gebetworte verklungen, so trat sie einen Schritt vor und sagte mit Schrill vor Aufregung klingender Stimme: „Herr Pfarrer, ich protestiere gegen Ihre unchristliche, in jeder Beziehung verständnißlose – –“ Der Angegriffene blinzelte, zog die Brauen zusammen, hielt die Hand hinters Ohr und sagte kalt: „Wünschen Sie etwas von mir, gute Frau?“ – Der Souffleur hatte seine Hermine schon zurückgezogen. „Du siehscht, er will net verstanden haben, – komm, komm, sonst gibt’s ’n <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0295" n="287"/> ihm die weinende Pflegemutter, und ihr Mann mit abgezogenem Hut und einer verlegenen, reuevollen Verdrießlichkeit in dem stumpfen Gesicht.</p> <p>Der Pfarrer sprach, – laut, strafend, unversöhnlich. Das größte Verbrechen ist das gegen das eigene gottgeschenkte Leben. Verirrte junge Sünderin, was wirst Du antworten, wenn jene Stimme von oben Dich fragt: „wie hast Du mein Geschenk angewendet?“ Hohle nichtige Eitelkeit ist hier Herr geworden, alle natürlichen Pflichten sind in den Staub getreten worden. O, lasset uns beten, daß Gnade vor Recht ergehe, daß auch dies sündige Kind nicht auf ewig verworfen werde. – – So ging es fort.</p> <p>Nach den ersten Worten schon hatten die Schaibles einen langen Blick getauscht und sich die Hand gereicht, wie zu Schutz und Trutz. Frau Herminens Antlitz gerieth immer mehr in zuckende Bewegung, sie hielt sich mit Mühe zurück. Kaum waren die letzten Gebetworte verklungen, so trat sie einen Schritt vor und sagte mit Schrill vor Aufregung klingender Stimme: „Herr Pfarrer, ich protestiere gegen Ihre unchristliche, in jeder Beziehung verständnißlose – –“ Der Angegriffene blinzelte, zog die Brauen zusammen, hielt die Hand hinters Ohr und sagte kalt: „Wünschen Sie etwas von mir, gute Frau?“ – Der Souffleur hatte seine Hermine schon zurückgezogen. „Du siehscht, er will net verstanden haben, – komm, komm, sonst gibt’s ’n </p> </div> </body> </text> </TEI> [287/0295]
ihm die weinende Pflegemutter, und ihr Mann mit abgezogenem Hut und einer verlegenen, reuevollen Verdrießlichkeit in dem stumpfen Gesicht.
Der Pfarrer sprach, – laut, strafend, unversöhnlich. Das größte Verbrechen ist das gegen das eigene gottgeschenkte Leben. Verirrte junge Sünderin, was wirst Du antworten, wenn jene Stimme von oben Dich fragt: „wie hast Du mein Geschenk angewendet?“ Hohle nichtige Eitelkeit ist hier Herr geworden, alle natürlichen Pflichten sind in den Staub getreten worden. O, lasset uns beten, daß Gnade vor Recht ergehe, daß auch dies sündige Kind nicht auf ewig verworfen werde. – – So ging es fort.
Nach den ersten Worten schon hatten die Schaibles einen langen Blick getauscht und sich die Hand gereicht, wie zu Schutz und Trutz. Frau Herminens Antlitz gerieth immer mehr in zuckende Bewegung, sie hielt sich mit Mühe zurück. Kaum waren die letzten Gebetworte verklungen, so trat sie einen Schritt vor und sagte mit Schrill vor Aufregung klingender Stimme: „Herr Pfarrer, ich protestiere gegen Ihre unchristliche, in jeder Beziehung verständnißlose – –“ Der Angegriffene blinzelte, zog die Brauen zusammen, hielt die Hand hinters Ohr und sagte kalt: „Wünschen Sie etwas von mir, gute Frau?“ – Der Souffleur hatte seine Hermine schon zurückgezogen. „Du siehscht, er will net verstanden haben, – komm, komm, sonst gibt’s ’n
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